das ist die Art von Denken, die mich interessiert. Dieses ist in dem Sinne bewusst, dass wir wissen, was wir gerade denken, aber auch in dem Sinne, dass es das besitzt, was Philosophen als phänomenologische Eigenschaft bezeichnen: Es gibt etwas Ähnliches, womit man es vergleichen kann. Es erfolgt sprachlich, und wie wir sehen werden, hängt das Denken häufig direkter mit der Sprache zusammen, als es anfänglich den Anschein hat. Auch die Bildsprache spielt eine Rolle, ebenso wie andere sensorische und emotionale Elemente, aber diese sind nur ein Teil des Ganzen. Darüber hinaus ist das Denken (in Wörtern oder auf andere Weise) privat: Was wir denken, denken wir im Kontext der bestimmten festen Annahme, dass es für andere nicht wahrnehmbar ist. Gedanken sind in der Regel kohärent: Sie fügen sich in Ideenstränge ein, die mit dem, was zuvor geschehen ist, in Verbindung stehen, egal, wie zufällig sie erfolgen. Und schließlich sind Gedanken aktiv: Denken ist etwas, was wir tun, und gewöhnlich erkennen wir es als unser eigenes Werk.
Ich bin nicht der Erste, der sich für die Rolle interessiert, die Wörter bei unseren mentalen Prozessen spielen. Seit Jahrhunderten streiten sich Philosophen über die Frage, ob Sprache für das Denken notwendig ist (während sie häufig ein bisschen vage bleiben, was sie mit »Denken« überhaupt meinen)7. Und Tierverhaltensforscher haben einfallsreiche Experimente durchgeführt, um herauszufinden, zu welcher Art von Denken Tiere fähig sind und ob ihnen eine Sprache beigebracht werden kann. All diese Erkenntnisse sind für meine Untersuchung relevant. Aber ich verfolge einen etwas anderen Ansatz. Ich möchte mit einer schlichten Tatsache beginnen: nämlich dass wir feststellen, dass unser Kopf voller Wörter ist, wenn wir über unsere eigenen Erfahrungen nachdenken oder wenn wir andere Menschen bitten, davon zu berichten, was bei ihnen im Kopf gerade vor sich geht. Das bedeutet nicht, dass jeder von solchen gedanklichen Wortströmen berichtet: Die Tatsache, dass es manche von uns nicht tun, bedarf einer Erklärung. Wird diese Frage richtiggestellt, dann kann sie sich über das Verhältnis von Sprache und Denken als sehr informativ erweisen.
Könnten wir Gedanken lesen, dann wären wir in der Lage, diese Frage einfach dadurch zu klären, dass wir die Gedanken der Menschen um uns herum lesen würden. Aber die geistige Privatsphäre ist nun einmal Realität, deshalb müssen wir einen anderen Weg einschlagen. Wir können zum Beispiel die verschiedenen Möglichkeiten nutzen, mit welchen die Menschen ihre Gedanken mitteilen, indem sie erzählen, schreiben, bloggen, tweeten und texten, was bei ihnen im Kopf gerade vor sich geht. Wir können betrachten, was Autoren über innere Erfahrungen geschrieben und was Psychologen von den Beschreibungen der Menschen dokumentiert haben. Und wir werden von der Neurowissenschaft Hilfe erhalten, die uns die Bilder eines Scanners davon liefern wird, wie sich Gedanken im Gehirn formen. Wir können beobachten, wie sich das Denken in der Kindheit entwickelt, und was passiert, wenn es schiefläuft. Doch mein Ausgangspunkt ist näherliegend. Ich möchte ja nichts Fremdes oder Unbekanntes darstellen, wie zum Beispiel das Bewusstsein des Haustiers oder wie es ist, ein Neugeborenes zu sein. Ich weiß, wie es ist, wenn sich die Sache in meinem Kopf abspielt. Ich muss lediglich eine Möglichkeit finden, sie in Worte zu fassen.
In Terminal eins erhalten Sie lustige Käsescheiben. Es handelt sich nicht um den bedeutendsten Gedankengang, für den ich je verantwortlich war. Ich picke ihn aufs Geratewohl heraus, biete ihn nicht etwa als lebensverändernde Weisheit an, sondern als Beispiel für den Bewusstseinsstrom am heutigen Morgen. Als ich aufwachte, war er in meinem Kopf, aber ich war mir nicht bewusst, dass ich unmittelbar davor geträumt hatte oder dass der Gedanke in irgendeiner Weise mit etwas anderem zusammenhing. In Terminal eins erhalten Sie lustige Käsescheiben. Das ist alles. Ich weiß noch immer nicht, um welchen Flughafen es sich handelte oder was Käse überhaupt damit zu tun hat. Aber ich weiß, dass der Gedanke da war, wie die Äußerung einer schwachen inneren Stimme, und dass sie sich für mich real anfühlte. Ich behaupte, nicht zu wissen, woher sie kam, aber in gewisser Weise weiß ich es doch. Sie kam von mir. Als rationaler Psychologe würde ich sagen, dass es sich um einen jener Sätze handelte, die mir gewöhnlich in den Sinn kommen und Teil der geistigen Produktion sind, die den Bewusstseinsstrom am Laufen halten.
Auch bei Claire tauchen Sätze im Kopf auf. Ihre inneren Stimmen sprechen leise und eindringlich und sagen ihr Dinge wie »Du bist ein Stück Scheiße« oder »Du wirst nie irgendetwas erreichen«. Claire leidet an einer Depression. Sie unterzieht sich gerade einer kognitiven Verhaltenstherapie, um diese aufdringlichen und unerwünschten sprachlichen Gedanken zu bekämpfen: sie zu dokumentieren, sie wissenschaftlich zu untersuchen und sie damit insoweit zu untergraben, dass sie am Ende (hoffentlich) verschwinden werden.
Auch in Jays Kopf tauchen Wörter auf. Diese unterscheiden sich deutlich von Claires. In den meisten Fällen klingen sie so, als würde jemand mit ihm reden. Sie können einen Akzent haben, eine Tonhöhe und einen Tonfall. Manchmal sprechen sie in ganzen Sätzen, manchmal sind ihre Äußerungen eher bruchstückhaft. Sie kommentieren Jays Handlungen und weisen ihn an, bestimmte Dinge zu tun: harmlose Dinge, wie zum Beispiel in den Laden zu gehen und Milch zu kaufen. Bei anderen Gelegenheiten sind sie deutlich schwieriger zu erkennen. Jay hat mir erzählt, er wisse, dass eine Stimme da ist, selbst wenn sie nicht spricht. Bei diesen Gelegenheiten handelt es sich nicht um eine Stimme, sondern vielmehr um eine Präsenz in seinem Kopf. Aber was ist eine Stimme, die nicht spricht? Vor ein paar Jahren wurde bei Jay eine psychische Erkrankung diagnostiziert, und er erlebt jetzt das, was man eine »Genesungsgeschichte« nennt. Er erholt sich von einem Zustand, den manche Leute für eine degenerative Gehirnerkrankung8 halten. Er hört die Stimmen noch immer, aber jetzt hat er eine andere Einstellung ihnen gegenüber angenommen. Er lebt mit ihnen und fürchtet sich nicht mehr vor ihnen.
Eine Stimmenhörerin, die wortgewandt von ihrer Erfahrung berichtete, hat ebenfalls zu einer neuen Einstellung ihren Stimmen gegenüber gefunden. In einer Videokonferenz aus dem Jahr 2013, die mehr als drei Millionen Mal angeklickt wurde, beschreibt Eleanor Longden, die Stimmen seien in der Zeit, als sie ihr Buch verfasste, so aggressiv geworden, dass sie plante, ein Loch in ihren Kopf zu bohren, um sie herauszulassen. Im Laufe mehrerer Jahre hat sich Eleanors Einstellung gegenüber ihren Stimmen ebenso wie Jays radikal verändert. Sie sind zwar noch immer gelegentlich sehr lästig, aber Eleanor betrachtet sie inzwischen als die Relikte eines »psychischen Bürgerkriegs«9, der von wiederholten Kindheitstraumata herrühre.
Es hat den Anschein, als könnten viele Menschen, wenn sie angemessene Unterstützung erhalten, das Verhältnis zu ihren Stimmen verändern und lernen, recht gut mit ihnen zu leben. Die Ansicht, dass Stimmen immer ein Zeichen einer ernsten geistigen Erkrankung sind, ist einschränkend und abträglich, weshalb ich den neutraleren Begriff Stimmenhören den negativen Konnotationen der Bezeichnung Halluzination vorziehe.10
Falls die Erfahrungen von Jay und Eleanor sich tatsächlich von meinen eigenen inneren Stimmen unterscheiden, dann stellt sich die Frage: Wie genau unterscheiden sie sich? Meine »Stimmen« haben häufig einen Akzent und eine Tonhöhe. Sie sind privat und nur für mich hörbar, und dennoch klingen sie häufig wie reale Personen. Doch auf einer bestimmten Ebene erkenne ich die Stimmen in meinem Kopf als meine eigenen, während Jay die seinen fremd zu sein scheinen. Er sagt, dass er gewöhnlich zwischen seinen Gedanken, die sich anfühlen, als wären sie seine eigenen Schöpfungen, und diesen anderen Erfahrungen unterscheiden kann, die von woanders zu kommen scheinen. Bei anderen Gelegenheiten ist die Unterscheidung deutlich verschwommener.
Ein weiterer Stimmenhörer, Adam, dessen Hauptstimme eine sehr klare, autoritäre Persönlichkeit besitzt (so sehr, dass Adam ihr den Spitznamen »der Captain« gegeben hat), erzählte mir, dass er trotzdem manchmal in Verwirrung geraten kann, ob es sich gerade um seine eigenen Gedanken oder um diejenigen seiner Stimme handelt. Ich habe erlebt, dass Stimmenhörer den Beginn ihrer ungewöhnlichen Erfahrungen beschrieben, als habe man einen Soundtrack eingeschaltet, der schon immer da gewesen sei, und als stelle er ein Hintergrundgeräusch des Bewusstseins dar, dem der Betroffene aus irgendeinem Grund auf einmal Aufmerksamkeit schenke.
Eine Ursache, weshalb Stimmenhörer ihre Erfahrungen einem äußeren Akteur zuschreiben, ist die Tatsache, dass die Stimmen Dinge sagen, die der Hörende meint, selbst niemals gesagt haben zu können. Eine Frau erzählte mir, ihre Stimme sage so schreckliche und widerliche Dinge, dass sie wisse, sie könnten unmöglich von ihr stammen.
Aber