Wie können wir vorgehen, um den Inhalt unseres Kopfes zu untersuchen?
Der naheliegende Ansatz ist der Versuch, den direkten Zugang zu unserer eigenen Erfahrung zu nutzen. »Warum«, fragt der Philosoph Sokrates in Platons Theaitetos, »sollten wir nicht ruhig und beharrlich unsere eigenen Gedanken prüfen und erwägen, was diese Erscheinungen in uns tatsächlich sind?« Der französische Philosoph René Descartes hatte im 17. Jahrhundert mit dieser Vorstellung keine Probleme. Als er in seinem Winterschlafrock neben dem im Kamin brennenden Feuer saß, befasste er sich mit seinen eigenen Gedankenprozessen und erkannte, dass ihre Existenz das Einzige war, was er nicht infrage stellen konnte. Cogito ergo sum: Ich denke, also bin ich. Die Reflexion über seine eigenen geistigen Zustände war das »erste Prinzip« der kartesischen Methode. Der amerikanische Philosoph und Psychologe William James schrieb im Jahr 1890, dass die Existenz von Bewusstseinszuständen zwar unbestreitbar, sie in uns selbst zu beobachten, aber »schwierig und fehlbar«14 sei. Doch diese Art von Beobachtung sei dennoch möglich. Sie unterscheide sich im Prinzip nicht von jeder anderen Methode, die Welt zu beschreiben. Wenn der Mensch angeleitet werde, sorgfältig vorzugehen, könne er dazu gebracht werden, es besser zu machen.
Es war das Werk des deutschen Psychologen Wilhelm Wundt, das die Innenschau aus dem Philosophensessel ins wissenschaftliche Labor verlagerte. Wundt war der Gründer des ersten wissenschaftlichen psychologischen Labors, 1879 in Leipzig eingerichtet, aber er erlangte auch als Autor des ersten psychologischen Lehrbuchs Berühmtheit.
Wundt unterschied bei seinen Überlegungen über innere Erlebnisse zwischen zwei Arten der Introspektion.15 Zunächst gebe es das, was er als Selbstbeobachtung bezeichnete: jene Art von beiläufiger Beobachtung der eigenen geistigen Prozesse, die jeder Mensch in Angriff nehmen kann. Man braucht kein Descartes zu sein, um am Kamin zu sitzen und über die eigenen Gedanken nachzudenken. Aber es stellt sich die Frage, ob das wissenschaftlich fundiert ist?
Etwas ganz anderes war für Wundt die formalere Kategorie der inneren Wahrnehmung. Die wissenschaftliche Methodik verlangt, dass der Beobachter versucht, sich, wann immer möglich, aus dem Prozess der Beobachtung herauszuhalten, und dies hatte Wundt bei seinem zweiten Ansatz im Sinn, der eine gewissenhafte Trennung des Beobachters vom beobachteten Objekt voraussetzte. Bei Wundts Technik der inneren Wahrnehmung nahm der Wissenschaftler tatsächlich eine klinisch distanzierte Haltung seinen eigenen Gedanken gegenüber ein. Die innere Wahrnehmung war laut Wundt keine solide wissenschaftliche Methode. Doch sie könne nach einer gründlichen Ausbildung der Teilnehmer eine solche werden.
Und Wundt bildete seine Teilnehmer aus. Kritiker der Innenschau vermittelten gelegentlich den Eindruck, dass es sich bei der Leipziger Introspektion um eine ziemlich legere – in Wahrheit kartesische – Reflektion im Lehnstuhl über die eigenen geistigen Prozesse handele. Aber Wundts Selbstbeobachter waren ausgebildete Fachkräfte. Es wurde berichtet, dass ein Mitglied von Wundts Labor nicht weniger als 10.000 introspektive »Erscheinungen«16 gehabt haben musste, um Daten für Forschungsveröffentlichungen beitragen zu dürfen.
Bei der Analyse von William James unterschied sich die Introspektion nicht von jeder anderen Art der Beobachtung; sie konnte gut oder schlecht durchgeführt werden. Man musste eben lernen, es gut zu machen. Nur die Erfahrung zu haben reichte nicht aus, um zu garantieren, dass man irgendeine Fähigkeit besaß, um diese Erfahrung zu beobachten oder zu beschreiben. Andernfalls, so stellte James fest, wären Babys ausgezeichnete Selbstbeobachter.17
Wundts Bemühungen führten zu einer neuen Methodik für die Untersuchung innerer Erfahrungen, die schließlich über den Atlantik nach Amerika gelangte. In den Händen von Wundts Anhängern, wie zum Beispiel Edward B. Titchener, wurde die introspektive Methode begrenzter und mechanistischer, und ihre Schwächen – insbesondere ihre Abhängigkeit von einer nicht nachweisbaren Selbstbeobachtung – gerieten deutlicher in den Fokus.
Mitte des 20. Jahrhunderts stand die anglo-amerikanische Psychologie ganz im Bann der behavioristischen Theorien von John B. Watson und Burrhus F. Skinner und deren Behauptung, dass nur die Messung beobachtbaren Verhaltens eine solide Erforschung des Geistes garantieren könne. Die Selbstbeobachtung schien bereits der Vergangenheit anzugehören. Ein von William James angesprochenes Problem bestand darin, dass Introspektionen immer bis zu einem gewissen Grad Erinnerungen an Erfahrungen waren, nicht etwa die Erfahrungen selbst – und Erinnerungen sind bekanntermaßen mit Fehlern behaftet. Vor allem wurde man sich zunehmend bewusst, dass Erfahrungen nicht beschrieben werden konnten, ohne durch den Akt der Beobachtung selbst verändert zu werden. Der Versuch, über die eigenen Gedanken zu reflektieren, sei, mit den denkwürdigen Worten von James, als »würde man versuchen, das Gas [der Lampe] schnell genug aufzudrehen, um zu sehen, wie die Dunkelheit aussieht«18.
Für viele war die kognitive Revolution, die in den 1950er-Jahren begann und in den folgenden zwei Jahrzehnten an Fahrt gewann, der letzte Sargnagel der Selbstbeobachtung.19 Richard Nisbett und Timothy Wilson überprüften 1977 die Beweislage bezüglich der Korrektheit der Berichte von Menschen über ihre komplizierteren kognitiven Prozesse. Eines der Experimente, die sie unter die Lupe nahmen, war mit Menschen durchgeführt worden, die an Schlafproblemen gelitten hatten. Einigen der Teilnehmer wurde eine »anregende« Tablette verabreicht, ein Placebo, von dem es hieß, es würde die körperlichen und emotionalen Symptome von Schlaflosigkeit hervorrufen, in Wahrheit jedoch keine physiologische Wirkung hatte. Einer anderen Gruppe wurde mitgeteilt, ihre Tabletten (ebenfalls wirkstofffrei) würden sie entspannen. In beiden Fällen enthielten die Tabletten keinerlei aktive Wirkstoffe, aber die Erwartungen der Untersuchungsteilnehmer gegenüber deren Wirkung wurden manipuliert, sodass die Ergebnisse ganz unterschiedlich ausfielen.20
Die Forscher beobachteten, wie jede Gruppe mit ihrer Schlaflosigkeit umging. Wie erwartet, schliefen diejenigen Teilnehmer, denen gesagt worden war, ihre Tabletten würden sie wach halten, schneller ein als gewöhnlich, weil sie ihre erhöhte Wachheit der Wirkung der Tabletten statt ihrer eigenen Schlaflosigkeit zuschrieben. Bei der Gruppe mit den entspannenden Tabletten wurde das Gegenteil beobachtet. Die Teilnehmer dieser Gruppe brauchten tatsächlich länger, um einschlafen zu können. Vermutlich weil sie davon ausgingen, entspannt zu sein, sich aber ganz anders fühlten, was sie zu der Schlussfolgerung veranlasste, dass sie noch aufgedrehter sein mussten als gewöhnlich.
Doch bei der anschließenden Befragung zeigten die Teilnehmer sehr geringe Einsicht in die psychologische Wirkung der Tabletten und führten die Veränderung ihres Schlafmusters stattdessen auf äußere Faktoren zurück, wie zum Beispiel auf ihr Abschneiden bei einer Prüfung oder auf Probleme mit der Freundin.
Nisbett und Wilson gelangten zu dem Schluss, dass es wenig Sinn hatte, Untersuchungsteilnehmer aufzufordern, ihre eigenen kognitiven Prozesse zu erklären. Trotz der vielen sorgfältigen Beobachtungen der Anhänger der Introspektion ist festzustellen, dass wir erstaunlich wenig wissen, wie unser eigener Geist tatsächlich funktioniert.
Es ist ein schwüler Julitag in Berlin, und Lara überlegt sich, ob sie noch ein Bier trinken soll.
»Ich stellte die leere Flasche ab, und es war, als würde ich denken: Will ich noch eines? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich diese Wörter dachte. Und in diesem Moment war der Piepston zu hören.«
Lara ist eine junge Amerikanerin chinesischer Abstammung aus Los Angeles, die ein Studienjahr in Berlin absolviert. Sie nimmt an einem Experiment teil, für das sie ein kleines Gerät an ihrer Kleidung befestigt bei sich trägt (etwa von der Größe einer Tonkassette). In Zufallsintervallen schaltet sich das Gerät ein und gibt durch einen Ohrstecker ein piepsendes Geräusch ab. Das ist für sie das Signal, darauf zu achten, welche Erfahrung sie in dem Augenblick unmittelbar vor dem Piepsen gemacht hat. Dann muss sie sich in irgendeiner Form, die ihr günstig erscheint, auf einem ihr zu diesem Zweck ausgehändigten Notepad Notizen über den Augenblick der Erfahrung machen. Das tut sie, bis sie Notizen über sechs Signaltöne und sechs Momente der Wahrnehmung gesammelt hat, dann darf sie den Ohrstecker herausnehmen und weglegen.
Am folgenden Tag kommt sie ins Labor und wird ausführlich über diese sechs Augenblicke befragt. Der Vorfall mit dem Bier betraf das dritte Piepsen am ersten Tag ihrer Teilnahme an diesem Experiment. Über diese Bewusstseinsmomente wird sie von Russell T. Hurlburt befragt,