Godehard Brüntrup

Theoretische Philosophie


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die die klassische Mechanik nicht erklären kann.

      Eine dritte Interpretation der Quantenmechanik sagt, dass sich zu jedem Zeitpunkt die Welt in viele Parallelwelten aufspaltet und alle Möglichkeiten, die die grundlegenden Gleichungen der Quantenmechanik erlauben, werden in Parallelwelten realisiert. Wenn wir uns also die Frage stellen, warum ist das real geworden, was ich gerade in dieser Welt erlebe unter all den Möglichkeiten, die von der Quantenmechanik her möglich gewesen wären, sagt dieser, man nennt sie die viele-Welten-Theoretiker. Da ist gar nichts Erstaunliches dabei, dass gerade diese Möglichkeit real geworden ist, denn alle anderen Möglichkeiten sind auch real geworden, nur in Parallel-Universen, in anderen Welten. Sie sehen schon, diese drei Interpretationen der Quantenmechanik implizieren ein völlig verschiedenes Weltbild, wenn Sie so wollen. Im einen ist es der Geist des Beobachters, der auswählt. Im zweiten Fall haben wir eine neue nichtmaterialistische Sicht der Welt, in der es geistige Informationsfelder gibt, die die Teilchen auf ihrem Weg steuern. Und im dritten haben wir plötzlich ganz viele Parallel-Universen, um die Probleme der Quantenmechanik, die Paradoxien der Quantenmechanik, aufzulösen. Das frappierende ist nun, dass jede dieser drei Theorien mit den empirischen Daten und dem mathematischen Formalismus der Quantenmechanik völlig verträglich ist. Welche der drei Theorien nun ein Physiker für die richtige Interpretation der Quantenmechanik hält, ist kein rein naturwissenschaftliches Problem. Es ist eine Interpretation der empirischen Daten auf einer allgemeinen begrifflichen Ebene. Und der eine wird, wenn er zum Beispiel Freiheit betonen will und Spontanität, vielleicht eher zu der ersten Interpretation, wo der Geist des Beobachters so eine Rolle spielt und die Welt indeterministisch ist, mehr auf solch eine Position Wert legen, ein anderer, der eher deterministisch denkt, wird vielleicht eher an all diese Parallel-Universen denken. Wie wir die Quantenmechanik interpretieren, ist keine rein naturwissenschaftliche Frage mehr, sondern wir sind hier bereits in die Metaphysik langsam, vorsichtig jedenfalls hinübergestiegen. Wir machen eine ganz allgemeine begriffliche Interpretation der Wirklichkeit, die weit über das hinausgeht, was uns empirisch und sinnlich gegeben ist.

      Also meine These: Der Übergang von Naturwissenschaft zur Ontologie oder Metaphysik ist fließend. Die zentralen Probleme der Metaphysik sind aber noch mal allgemeiner und begrifflicher als die eben vorgestellte Interpretation der Quantenmechanik.

      Ich möchte Ihnen das am Beispiel des Freiheitsbegriffes verdeutlichen. Die Welt, in der wir leben, ist entweder deterministisch oder sie ist nicht deterministisch, also indeterministisch. Wenn sie deterministisch ist, dann gibt es zu jedem beliebigen Zeitpunkt nur eine mögliche Zukunft. Wenn sie nicht deterministisch ist, dann gibt es zu beliebigen Zeitpunkten mehr als eine mögliche Zukunft. Nun sagen manche, dass in einer deterministischen Welt, in der zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Zukunft bereits feststeht, weil es nur eine mögliche Zukunft gibt, keine Freiheit vorkommen kann, weil Freiheit bedeutet, dass man zwischen zwei Möglichkeiten auswählt, mindestens zweien. Und es ist noch nicht entschieden, welche der beiden denn nun eintritt. Andere wiederum sagen, für den Freiheitsbegriff ist es gar nicht wichtig, ob die Zukunft offen ist. Für den Freiheitsbegriff, damit ich frei handle, reicht vollkommen, dass ich nicht einem äußeren Zwang unterliege, dass mir nicht sozusagen jemand die Pistole auf die Brust setzt und sagt: Halte jetzt diese Vorlesung, und wenn nicht, passiert was. Welcher dieser beiden Freiheitsbegriffe, nämlich der, der sagt, die Zukunft muss offen sein und ich muss auswählen können, ob ich A oder B tue, oder der Freiheitsbegriff, der sagt, Freiheit ist die Abwesenheit von Zwang, welcher der beiden Freiheitsbegriffe der richtige ist, mit dem wir arbeiten wollen, wie wir Freiheit verstehen wollen, ist keine empirische Frage. Dazu können wir nicht oder sollten wir gar nicht Neurophysiologie betreiben und das Gehirn untersuchen, denn eine Antwort darauf, was Freiheit überhaupt ist, werden wir im Gehirn nicht finden.

      Die Frage nach dem Freiheitsbegriff, das wird später eine eigene Vorlesung in dieser Reihe sein, ist also eine genuin philosophische Frage, eine Frage der Begriffsanalyse.

      Ich möchte Ihnen nun, damit es ein bisschen konkreter wird, an einem Beispiel zeigen, wie man metaphysisch denkt, nämlich an dem Idealismus von Berkeley. Bischof Berkeley, ein englischer Philosoph, hat ein frappierendes Argument vorgebracht, das wir wenigstens in seinen allergrößten Grundzügen hier einmal kurz als Beispiel für eine metaphysische Theorie vorstellen wollen. Berkeleys These, die ja detailliert entwickelt ist, sagt, dass alle existierenden Entitäten, also alle existierenden Seienden entweder Wahrnehmende sind oder sie werden wahrgenommen. Alltägliche Objekte existieren nur, insofern sie wahrgenommen werden.

      Es gibt also nichts, was nicht entweder selbst ein Wahrnehmendes ist oder ein Wahrgenommenes ist. Daher der berühmte Ausspruch: „esse est percipi – Sein ist wahrgenommen werden“.

      Die Argumente für diese Position von Berkeley waren: Jedes physische Objekt - schauen Sie sich um im Raum, wo Sie jetzt sind - ist doch nur eine Ansammlung wahrnehmbarer Qualitäten. Farben, Abschattierungen von Farben, taktile Qualitäten, Sie können es anfassen, es ist hart oder weich. Und er sagt, jede wahrnehmbare Qualität ist eine Idee. Und keine Idee existiert außerhalb der Wahrnehmung. Also existiert kein physisches Objekt außerhalb der Wahrnehmung.

      Und er sagt weiter: Man kann sich ein Objekt der Sinneserfahrung nicht außerhalb des Mentalen vorstellen. Jede Vorstellung von einem Ding an sich, jenseits all unserer Vorstellungen, ist wiederum nur ein mentales Bild, nur eine Idee. Also wenn ich mir etwas vorstelle, was außerhalb all unserer Vorstellungen liegt, ist es wieder nur eine Vorstellung. Wir kommen sozusagen aus dem Gefängnis unserer Vorstellungen nicht heraus. Das außerhalb der Vorstellungen Gedachte ist selbst wieder etwas Gedachtes, eine Vorstellung.

      Und nun kritisieren vor diesem Hintergrund Berkeley diejenigen Materialisten, die sagen, hinter den wahrgenommenen Dingen müsste sozusagen eine materielle Substanz liegen, die Materie. Ein reines Zugrundeliegendes, ein Substrat, wie die Philosophen sagen, das allen sinnlichen Erfahrungen zugrunde liegt. Aber man muss diesem Substratum ja wieder irgendwelche Eigenschaften zusprechen, zum Beispiel „ausgedehnt“. Das gelingt aber nur, wenn man erfahrbare Qualitäten annimmt. Zum Beispiel, dass es eine bestimmte Farbe hat. Wenn Sie dieses Zugrundelegende denken wollen ohne jegliche sinnliche Qualitäten, geht es Ihnen verloren. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Machen wir uns eine ganz einfache Welt. Ein Rechteck, das soll unsere Welt sein. Da drin sind drei kleine Teilchen, drei kleine Partikel. Der Rest unserer Welt ist Vakuum. Nennen wir das die Partikelwelt. Und jetzt stellen Sie sich noch eine zweite Welt vor, die genauso ist wie diese, nur ist es kein Vakuum. Diese Welt ist gleichmäßig mit irgendetwas gefüllt. Irgendeinem Medium. Wasser oder irgendetwas. Und in diesem Medium gibt es drei kleine Blasen, genauso groß wie vorher in der Partikelwelt unsere Partikel. Und auch noch an derselben Stelle. Nennen wir die eine die „Partikelwelt“ und die andere die „Plenumswelt“. In der einen Welt haben wir Vakuum mit drei Partikeln drin, in der anderen haben wir etwas Gefülltes, ein Plenum, in dem drei kleine Blasen sind, genauso groß und an derselben Stelle wie in der Partikelwelt die Partikel.

      Wenn Sie sich nun vorstellen wollen, dass zum Beispiel die Partikel ein materieller Träger sind, einen materiellen Träger haben, etwas Festes, und rundherum das Vakuum ist, stellen Sie sich das vor Ihrem geistigen Auge vor, dass Sie zum Beispiel die Partikel vor Ihrem geistigen Auge dunkel malen und das Vakuum rundherum hell, so dass sich diese Partikel davon absetzen. Und wenn Sie sich jetzt die Plenumswelt vorstellen, in der anstelle der Partikel an derselben Stelle nur drei kleine Vakua sind, drei kleine Blasen, und alles andere gefüllt ist, dann machen Sie es vielleicht umgekehrt, Sie füllen vor Ihrem geistigen Auge das Plenum dunkel und die drei kleinen Blasen hell.

      Das zeigt, wie auch immer Sie sich die letzte materielle Weltstruktur vorstellen wollen, Sie arbeiten immer mit sinnlichen Bildern, mit anschaulichen Bildern. Und daher, sagt Berkeley, kann man sich eine Welt jenseits jeglicher Anschaulichkeit nicht vorstellen. Und die muss man auch nicht annehmen. Das ist für ihn dann schlechte Metaphysik sozusagen.

      Der Materialist nimmt da eine Materie an, jenseits aller Wahrnehmungen, die es nicht gibt. Und dann folgt daraus eben, dass ein alltäglicher Gegenstand nichts anderes ist als seine wahrnehmbaren Eigenschaften. Und die wahrnehmbaren Eigenschaften alltäglicher Gegenstände sind identisch mit den Sinnesdaten, die wir haben,