wie ist das denn, wenn die alltäglichen Gegenstände nur als wahrgenommene existieren. Was passiert in Berkeleys Theorie denn mit den Gegenständen, wenn keiner hinguckt? Da hat er eine ganz pfiffige Antwort. Er war Theist, er glaubte an Gott, und hat gesagt: Gott schaut immer hin. Solange Gott hinschaut, sind auch die Gegenstände da. Die Gegenstände sind sozusagen Wahrnehmungen Gottes. Das heißt, selbst in dieser Theorie, wo alles nur aus Wahrnehmungen besteht, zugegebenerweise eine etwas abstruse metaphysische Theorie, aber eine, die immerhin doch argumentativ gute Gründe für sich hat, selbst in dieser Theorie kann man es schaffen, dass es eine objektive Realität gibt. Sie ist unabhängig von dem, was der menschliche Geist sich ausdenkt. Indem nämlich hier ein objektiver Geist angenommen wird, der garantiert, dass die Dinge auch dann noch da sind, wenn wir nicht hinschauen. Und trotzdem sind die Dinge nichts anderes als wahrgenommen werden – esse est percipi.
Dieses Beispiel sollte Ihnen einfach mal in einem Kurzdurchgang eine ziemlich gewagte metaphysische These vor Augen führen, dass Sie ein Gespür bekommen dafür, was überhaupt eine metaphysische Weltsicht ist. Sie spüren sofort, dass sie jetzt Argumente brauchen wenn Sie sagen, das ist nicht meine Sicht. Wo macht Berkeley etwas falsch? Und schon sind Sie mitten im metaphysischen Diskurs.
Aber wir sind an dieser Stelle auch an etwas anderes, auf etwas anderes Wichtiges gestoßen. Nämlich, dass das metaphysische Denken immer ein Denken ist, das für die Objektivität der Außenwelt argumentiert. Selbst Bischof Berkeley, der sagt, „alles Sein ist wahrgenommen werden“ postuliert, „die Dinge sind objektiv“, weil der absolute Geist oder Gott sie wahrnimmt. Das heißt, wenn der Mensch wegschaut, sind die Dinge trotzdem noch da. Wir machen die Welt nicht. Wir bringen die Welt nicht hervor.
Man spricht deshalb auch von metaphysischem Realismus. Alle Kritiker, die meisten Kritiker der Metaphysik, lehnen diesen sog. metaphysischen Realismus, die Idee der Objektivität der Außenwelt ab. Das werden wir im Folgenden der Vorlesungen noch genauer sehen. Aber schauen wir uns das einmal an. Was ist metaphysischer Realismus?
Die erste These ist, dass die von uns unabhängig existierende Außenwelt jeden sinnvollen Behauptungssatz entweder wahr oder falsch macht. Man spricht auch von Bivalenz – zwei Wahrheitswerten, wahr oder falsch. Und die Welt besteht, die nächste These, aus Dingen oder Entitäten, deren Identitätsbedingungen, also das, was sie ausmacht, was sie sind, unabhängig von unserem Wissen über sie bestehen. Also wir machen nicht die Welt. Die Dinge identifizieren sich selbst. Und daraus folgt dann die nächste These: Es gibt eine einzige wahre Theorie über die Welt, die die Welt genauso beschreibt, wie sie ist. Die ist aber für den begrenzten Verstand des Menschen unerreichbar.
Und schließlich - das ist sozusagen der Lackmustest, ob jemand Realist oder Antirealist ist - sagt der Realist, der metaphysische Realist, dass Wahrheit nicht nach menschlichem Maß gemessen werden kann. Wahrheit ist die Übereinstimmung von Aussage und Sachverhalt. Und unsere Wahrheitskriterien, dass eine Theorie gute Vorhersagen liefert, dass sie praktisch ist, dass sie gut angewendet werden kann, all diese menschlichen Kriterien für Wahrheit garantieren nicht, dass die Theorie die Wirklichkeit richtig trifft. Das heißt, auch eine nach menschlichem Maß ideale Theorie könnte immer noch falsch sein, sagt der metaphysische Realist.
Die Gegenposition, und das sind gleichzeitig die Kritiker der Metaphysik, verneinen genau das.
Bleiben wir gleich beim letzten Punkt. Sie sagen, dass eine nach menschlichem Maß ideale Theorie per definitionem wahr ist. Denn Wahrheit wird nach menschlichem Maß definiert. Wahrheit ist nicht die Übereinstimmung der Sache, der Aussage mit der Sache, sondern Wahrheit ist, dass unsere menschlichen Anforderungen an die Theorie erfüllt werden. Die Antirealisten verneinen auch die erste These, nämlich dass die unabhängige Außenwelt jeden Satz, über sie sinnvollen Satz wahr oder falsch macht. Sie sagen, es gibt Fälle, in denen ein Satz, der zwar sinnvoll ist, weder wahr noch falsch ist. Also einen dritten Wahrheitswert. Und die gesamte Vorstellung einer geistunabhängigen fertigen Welt, sagen sie, ergibt gar keinen Sinn, ist unintelligibel.
Und sie sagen drittens: Es gibt nicht nur eine komplette, wahre Beschreibung der Welt, sondern es gibt mehrere konkurrierende wahre Beschreibungen der Welt, die möglicherweise miteinander logisch nicht verträglich sind. Dieses ganze Paket der Verneinungen des Realismus ist typischerweise das, was wir bei den Kritikern der Metaphysik finden, während die Metaphysiker auf der Seite des Realismus stehen. Deshalb spricht man eben auch oft von metaphysischem Realismus.
Um das wieder konkreter zu machen, möchte ich Ihnen ein Beispiel geben, nämlich die berühmte Goldbach’sche Vermutung des Mathematikers Goldbach. Goldbach hatte die Vermutung, dass jede gerade Zahl größer als 4 die Summe zweier Primzahlen ist. Diese Vermutung hat man bereits mit modernen Computern mit bis extrem großen, ohne maschinelle Hilfe gar nicht handhabbaren Zahlen überprüft, und sie hat sich bisher immer als richtig erwiesen. Aber, wie Sie wissen, in der Mathematik reicht es nicht, die Sache durch Beispiele zu testen. Um eine Theorie zu beweisen, braucht man einen konstruktiven Beweis, der zeigt, dass sie für alle Fälle gilt. Und einen solchen Beweis hat man für die Goldbach’sche Vermutung bisher nicht gefunden. Es könnte sich also immer noch herausstellen, dass sie nicht stimmt. Aber eine solche Widerlegung, einen Beweis, dass sie nicht stimmt, hat man auch nicht gefunden.
Jetzt können wir sehr schön den Unterschied zwischen Realisten, metaphysischen Realisten, und Antirealisten sehen. Der metaphysische Realist wird sagen: Da draußen gibt es eine mathematische Wirklichkeit. Die Welt der Zahlen. Ganz unabhängig von unserem Denken. Ob wir über die Zahlen nachdenken oder nicht, das ist völlig egal. Die existieren unabhängig von uns. Und diese Welt der Zahlen legt fest, ob die Goldbach’sche Vermutung wahr ist oder falsch. Und ob wir das wissen, spielt überhaupt keine Rolle. Wir können das vielleicht in der Zukunft entdecken durch einen konstruktiven Beweis. Die Vermutung ist aber ganz unabhängig von unseren Leistungen, unseren Verstandesleistungen, entweder wahr oder falsch. Es ist die Wirklichkeit, die mathematische Wirklichkeit selbst, die sie wahr oder falsch macht.
Dagegen sagt der Antirealist: Für mich ist ja Wahrheit, nach menschlichem Maß zu messen. Da draußen gibt es keine Realität der Zahlen. Wenn wir die Goldbach’sche Vermutung bewiesen haben, dann ist sie wahr. Wenn wir sie widerlegt haben, dann ist sie falsch. Wenn wir sie weder bewiesen haben noch widerlegt haben, wie im Moment, dann ist sie weder wahr noch falsch.
Sehen Sie, da wird der dritte Wahrheitswert eingeführt, der Realist hat nur wahr und falsch, der Antirealist hat den dritten Wahrheitswert: weder wahr noch falsch.
1.5 Kritik der Metaphysik
An diesem Beispiel können Sie bereits einen wichtigen Unterschied zwischen dem metaphysischen Denken und dem metaphysikkritischen Denken des Antirealismus erkennen. Die Kritiker der Metaphysik, mit denen ich mich nun zum Schluss dieser ersten Vorlesung wenigstens ganz kursorisch beschäftigen möchte, sind meistens Antirealisten. Ihre Kernthese ist die Folgende: Der Bereich der menschlichen Vernunft, der Bereich, in dem die menschliche Vernunft verlässlich funktioniert, der Bereich des sinnvollen Sprechens, ist klar abgrenzbar. Die Metaphysik liegt dann aus näher anzugebenden Gründen, außerhalb dieses Bereiches, in dem die menschliche Vernunft funktioniert.
Genauer ist im Allgemeinen noch, dass die menschliche Vernunft nur in dem Bereich funktioniert, wo sie sinnliche Anschauungen vorgegeben hat, wo ihr das Material, mit dem sie arbeitet, sinnlich gegeben ist. Die metaphysischen Begriffe wie zum Beispiel Seele oder Substanz, die ein Einzelding zum Einzelding macht, sind uns nicht sinnlich gegeben. Sie sind nicht sinnlich anschaulich und deshalb außerhalb der Grenzen der Vernunft.
Ich werde in aller Kürze etwas über Kant einerseits und den logischen Positivismus andererseits sagen. Kant behauptete, dass die Sätze der Metaphysik zwar sprachlich sinnvoll sind, aber außerhalb des Bereiches der Vernunft liegen. Sie sind außerhalb des Bereiches der Geltung der menschlichen Vernunft, die immer an sinnliche Anschauungen gebunden bleibt. Und der logische Positivismus, eine wissenschaftsnahe Strömung der Philosophie am Anfang des 20. Jahrhunderts, die zumindestens in der breiten akademischen Öffentlichkeit auch heute noch eine gewisse Präsenz hat, sagt, dass die Sätze der Metaphysik sogar sprachlich sinnlos sind. Sie scheinen nur sinnvolle Sätze zu sein. Aber nur