Stephanie Red Feather

Empathie - Ich fühle, was du fühlst


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Bettys ständiger Schikane ausgeliefert war, verbrachte ich viel Zeit allein, war draußen, wann immer ich konnte, spielte im Wald oder schlich mich auf die nahe Weide zu den Pferden. Ich blieb für mich. Meine Auseinandersetzungen mit Betty veränderten sich dahingehend, dass ich nicht mehr so aufsässig war, sondern mit verschränkten Armen und zusammengepressten Lippen auf dem Stuhl saß und auf den Boden starrte, während sie mit mir schimpfte. Ich sagte nur selten ein Wort.

      Ich zeigte immer seltener mein authentisches Selbst und verwandelte mich widerwillig immer mehr in das „gute Mädchen“, das ich nach Bettys Willen sein sollte. Es ärgerte sie immer, wenn ich allein sein wollte, und sie nahm fälschlich an, ich sei verschlossen oder hätte etwas zu verbergen. Offensichtlich war ich so, wie ich war, weder kostbar noch wichtig und nicht wert, dass man in mich investierte – oder mich verstand. Meine Wünsche und Bedürfnisse waren nicht von Bedeutung.

      Mein Vater überließ Betty meine Erziehung und begriff nie, wie groß der Schaden war, den er durch sein Schweigen anrichtete. Es passierte selten, dass er für mich einstand, ihre Tiraden unterbrach oder mich emotional unterstützte. Meine empathische Natur hatte das Gefühl, vollkommen entblößt und nicht in Sicherheit zu sein. Meine natürliche Sensitivität, meine Gaben, Leidenschaften und Ausdrucksformen wurden langsam ausgelöscht und durch Vorgaben ersetzt, bei denen es um harte Arbeit, Produktivität, Logik, Verantwortung, praktische und mentale Fähigkeiten ging.

      Während meines Junior-Jahres wurde es allmählich Zeit, über die Zukunft nachzudenken. Zurückblickend erinnere ich mich, dass ich mich damals fragte, was passieren würde, wenn ich meine Fähigkeiten in der darstellenden Kunst wieder ausgrub und eine Karriere als Künstlerin oder Schauspielerin anstrebte. Zu diesem Zeitpunkt waren praktisches Denken und Logik allerdings schon fest in mir verwurzelt und ich schob diese Vorstellung rasch beiseite, weil sie keine vernünftige Wahl war. Nach vielen Überlegungen, an denen ausschließlich mein Kopf beteiligt war (mein Herz war schon lange von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen), entschied ich mich für die Luftwaffe. Ich nahm ein vierjähriges Stipendium in angewandter Mathematik an der Missouri University of Science and Technology an und erhielt nach meinem Abschluss mein Offizierspatent als Second Lieutenant in der United States Air Force.

      Wenn Sie jetzt zweimal hinschauen müssen und sich fragen, ob Sie in eine andere Geschichte geraten sind, dann sind Sie nicht allein … und ich versichere Ihnen, dass Sie noch immer dieselbe Geschichte lesen. Die Verwirrung darüber, wie ein kreatives und intuitives Kind, das in der Welt der darstellenden Künste lebte, einen Abschluss in Mathematik erhielt und zur Air Force ging, bestimmte meine Jugend und belastete mein Leben als junge Frau.

      In meinen prägenden Jugendjahren hatte man mich gelehrt, nicht meinem Herzen zu vertrauen oder auf meine Intuition zu hören. Man hatte mir erklärt, dass viele Dinge, die in mir ganz natürlich zum Ausdruck kommen wollten, falsch seien und von der Welt weder geschätzt würden noch gewollt wären. Meine Empfindungen wurden missverstanden und missachtet. Sie wurden fälschlich einem Hang zur Melodramatik, der Angst, ein Scheidungsprodukt zu sein, oder den Hormonschwankungen eines heranwachsenden Mädchens zugeschrieben. Zu diesem Missverständnis kam noch die zwar unbeabsichtigte, aber dennoch mächtige Botschaft meiner Mutter, klein zu bleiben und daran zu denken, wo mein Platz als Frau war. Als ich das College verließ, hatte mein innerer Dialog begonnen, die gleichen Botschaften der Verachtung, der Zurückweisung und der Geringschätzung nachzuplappern, die ich als Kind gehört hatte, und er tat es fünfzehn Jahre lang. Ich wurde selbst zu der Täterin, gegen die ich mich so sehr aufgelehnt hatte.

      ZUERST KOMMT DER SCHATTEN: AUS DEN UNGESUNDEN ASPEKTEN UNSERER EMPATHISCHEN QUALITÄTEN HERAUS LEBEN

      Meine Geschichte gleicht der vieler Empathen. Und natürlich sind wir durch die Zensur, die wir erleben, fast zwangsläufig dazu verurteilt, aus den ungesunden Aspekten unserer empathischen Natur heraus zu leben. Warum? Weil alles, was wir verleugnen, ins Reich der Schatten verbannt wird.

      Unser Schatten besteht, einfach ausgedrückt, aus unseren ungeliebten und verleugneten Selbstanteilen. Weil unsere empathische Natur in den Untergrund gedrängt wurde, haben wir uns selbst aufgegeben. Jeder, der schon einmal mit dem Schatten gearbeitet hat, weiß aber, dass alles, was wir dorthin verbannen, nicht einfach so verschwindet. Diese Emotionen, Persönlichkeitsmerkmale und Überzeugungen wollen immer noch und immer wieder zum Ausdruck kommen. Solange wir nicht wieder in eine bewusste Beziehung zu diesen Anteilen treten, kommen sie weiterhin unerwartet, zu unpassenden Zeiten und auf ungesunde Weise zum Ausdruck.

      Wenn wir uns von einem unbewussten Ort aus auf das Leben einlassen, sind wir uns unserer wahren Beweggründe nicht bewusst. Deshalb ist uns auch nicht bewusst, was uns steuert oder warum wir ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen oder bestimmte Entscheidungen treffen. Es scheint ein Teil der menschlichen Natur zu sein, dass wir den ersten Abschnitt unseres Lebens im „Halbschlaf“ verbringen und irgendwann „erwachen“. Dieses Erwachen ist eine Zeit, in der wir erkennen, dass das, was wir tun, nicht länger funktioniert. Wir sind nicht länger bereit, uns mit unseren gegenwärtigen Erfahrungen oder mit dem zufriedenzugeben, was wir erreicht haben. Wahrscheinlich haben Sie auch schon einmal meine bevorzugte Definition von Wahnsinn gehört: immer wieder das Gleiche tun und andere Ergebnisse erwarten. Unser persönliches Erwachen ist ein Moment, der unser Leben in eine vollkommen neue Bahn lenkt und uns plötzlich unseren Wahnsinn erkennen lässt. Meist schrillen innere Alarmglocken, die etwa so klingen: Ich kann so nicht mehr weitermachen. Es muss sich etwas ändern. Es ist vorbei. Das funktioniert nicht mehr. Wenn ich hierbleibe, werde ich sterben.

      Bis wir diese Sternstunde erfahren, die unser Leben grundlegend verändert, sind wir jedoch dazu verurteilt, aus dem Schattenaspekt unserer selbst heraus zu leben. Das bedeutet, dass wir von einem Ort aus leben, an dem wir kaum ein oder überhaupt kein Bewusstsein für die Entscheidungen haben, die wir treffen. Wir leben nicht absichtsvoll, treffen keine erwachsenen Entscheidungen (weil wir häufig regressiv sind) und erkennen nicht, was uns antreibt. Wenn wir aus unserem Schatten heraus leben, laufen in unserem Kopf alte Tonbänder ab, die uns falsche Informationen vermitteln. Wir tragen ungeheilte Verletzungen und ein vernachlässigtes inneres Kind in uns. Wir ziehen Bewältigungsmechanismen hoch, als wollten wir bei einem Hurrikan das Haus mit Brettern vernageln. Das Leben aus unserem Schattenselbst heraus hat zur Folge, dass die ungesunden, unbewussten Aspekte unserer Persönlichkeit über unser Verhalten und unsere Reaktionen bestimmen.

      Wenn wir aus den Schattenaspekten unserer empathischen Natur heraus leben, leben wir in Co-Abhängigkeit, verlieren uns in Beziehungen, übernehmen die Emotionen und die Probleme anderer Menschen und tun uns schwer damit, Grenzen zu setzen. Weil wir nicht wissen, dass wir ein Empath sind, und diesen Anteil verleugnet haben, gehen wir mit dem Gefühl durch die Welt, innerlich zerbrochen und alles andere als heil zu sein.

      Wenn Sie der Frage nachgehen, welche Form das Leben aus dem Schatten heraus für Sie persönlich annimmt, ist es wichtig zu wissen, dass keine Qualität grundsätzlich gut oder schlecht ist. Die meisten Verhaltensweisen, Gefühle und Ausdrucksformen sind auf einem Kontinuum angesiedelt. Die Frage, wann und wie jedes Merkmal zum Ausdruck kommt, bestimmt darüber, ob es im Schatten oder im Bewusstsein agiert.

      So ist die Fähigkeit, mühelos mit anderen Menschen zu verschmelzen und ihren energetischen Zustand in sich aufzunehmen, nicht grundsätzlich gut oder schlecht. Sie ist einfach, was sie ist. Wenn Sie aber nicht erkennen, dass Sie mit jedem Menschen verschmelzen, mit dem Sie in Kontakt kommen, dann müssen Sie mit den ungesunden Folgen leben, die aus der unbewussten Verschmelzung herrühren. Wenn Ihnen nicht bewusst ist, dass Sie es tun, sind Sie nicht in der Lage, zentrale Fähigkeiten abzurufen, die den Prozess der Verschmelzung durch angemessene Grenzen, erdende Maßnahmen, die Ihnen helfen, in Ihrer Mitte zu bleiben, oder andere wichtige Praktiken, die Sie darin unterstützen, Energien zu klären, ausgleichen. Sie tragen Schaden davon und es ist nahezu sicher, dass Sie sich am Ende völlig verlieren. Leider haben viele Menschen jahrzehntelang auf diese Weise gelebt, ohne sich dessen bewusst zu sein.

      Bewältigungsstrategien

      Wenn wir aus dem unbewussten Aspekt unserer empathischen Natur heraus leben, entwickeln wir ganz automatisch Bewältigungsstrategien, die uns helfen sollen, zu überleben und mit den Dingen in unserem Umfeld zurechtzukommen. Bewältigungsstrategien (die auch als Abwehrmechanismen