abzubauen. Die Frage lautet: Was und wen brauche ich jetzt, damit es mir besser geht? Wo finde ich Halt und Beistand?
Das Klimakterium als Chance
Im Englischen heißen die Wechseljahre »change of life«. Ein Begriff, der nach Aufbruch klingt, nach der Aufforderung, aus engen Schuhen und Rollen hinauszuwachsen. Die allermeisten Frauen, die heute in der Mitte des Lebens stehen, wenn ihre fruchtbare Zeit endet, weinen ihrer letzten Monatsblutung kaum eine Träne nach. Solange sich Wechselbeschwerden in Grenzen halten, meistern sie die hormonellen Veränderungen selbstbestimmt und ohne medizinische Hilfe. Ich treffe nach Jahren immer wieder auf alte Schul- oder Studienkolleginnen, auf die »Verwandlung« im besten Sinne zutrifft. Sie sind umgeben von einer Aura innerer Souveränität, haben neue Facetten ihrer Persönlichkeit entwickelt. Liegt es daran, dass sie nicht mehr zu allem Ja und Amen sagen? Dass sie sich nicht mehr vorschreiben lassen, ihre besten Jahre als biologische Abschussrampe zu betrachten?
Einmal habe ich in einer Frauenrunde das Zitat eines Hormon-Papstes zum Besten gegeben: »Alles, was wir an Frauen lieben, hängt mit den Östrogenen zusammen.« Bei allen Anwesenden sorgte das für einen Sturm der Heiterkeit. Eine Meinung aus der munteren Runde: »Schuster, bleib bei deinen Leisten. Das Problem Impotenz haben wir jedenfalls nicht.« Prompt kam die Antwort: »Warum sagen wir nicht öfter, dass wir uns auf die Menopause freuen dürfen? Wir sind nicht dazu da, um Falten zu zählen, sondern um erwachsen zu werden.«
Das Klimakterium ist eine Chance: Wenn wir aufhören, einen Teil unseres Frauenlebens verschämt totzuschweigen. Wenn wir darüber so freimütig reden wie über Verhütung oder Schwangerschaft. Wenn wir uns nicht diktieren lassen, wo es jetzt langgeht.
Warum wir an Krisen wachsen
Dass Menschen grundsätzlich an Krisen wachsen können, zeigen die, die selbst an harten Schicksalsschlägen nicht zerbrechen. Diese innere Widerstandsfähigkeit bezeichnen Psychologen als Resilienz. Inzwischen ist Resilienz fast zu einem Modewort geworden. Resilienz-Seminare für Führungskräfte und Mitarbeiter werden allenthalben angeboten. Die Bedeutung von Resilienz darf aber nicht zu dem Zweck verkommen, die Schraube der eigenen Belastbarkeit noch fester zu ziehen. Resilient sind nicht die, die unverletzbar sind, sondern die, denen es gelingt, auch im Unglück noch ein Quäntchen Gutes zu finden.
Bei einem Freund von mir wurde ein bösartiger Hirntumor entdeckt. Die ärztliche Prognose: niederschmetternd, höchstens noch sechs Monate Lebenszeit. Einmal sagte er zu mir: »Der Kuchen ist zwar kleiner geworden, dafür schmecken mir die Stücke, die da sind, umso besser.« Das war ein ganzes Jahr später. Seitdem ist ein weiteres Jahr vergangen und die Chance, dass noch mehr dazukommen, ist gewachsen. Menschen wie er machen sich keine Illusionen, aber sie akzeptieren ihre Vergänglichkeit, ohne zu resignieren oder sich selbst aufzugeben. An Krisen zu wachsen kann bedeuten,
sich verletzlich zeigen zu dürfen.
zu entdecken, wem wir wirklich etwas bedeuten und wer in der Not beisteht.
die wesentlichen Dinge und den tieferen Lebenssinn zu erkennen.
nicht mehr durch den Alltag zu rauschen wie auf einer Schnellstraße.
sich zu öffnen für das Hier und Jetzt. Zu entdecken: Jeder Augenblick ist kostbar.
die Schönheit und Feinheiten der Natur bewusster zu erleben.
durch Akzeptanz und Selbstannahme zu innerer Kraft zu gelangen.
Vertrauen und Verbundenheit zu erleben.
Schicksalsschläge, Krisen, die Zerbrechlichkeit des Lebens: Das alles können wir ebenso wenig ändern wie das Wetter. Wir können uns jedoch darauf einstellen und wir haben die Wahl, wie wir darauf reagieren. Das ist die wahre Bedeutung innerer Freiheit. Und im Hinblick auf die neue Lebenshälfte gilt das erst recht.
Nur wer loslässt, hat die Hände frei für Neues
Ganz egal, ob wir Vertrautes aufgeben müssen, Träume und Wünsche verabschieden oder uns auf etwas Neues einlassen müssen – das Alte einfach loszulassen klingt leichter, als es ist.
Sehnsüchte und Bedürfnisse anerkennen und würdigen
Bei Silvia, 49, lief bisher alles ganz gut. Ihren jetzt zweijährigen Sohn hat sie spät bekommen, ein aufgewecktes Kerlchen. Ihre Ehe ist sehr glücklich, als Englischlehrerin wurde ihr eine neue Stelle angeboten, die viele Vorteile mit sich bringt. Doch nun steckt sie in einer Lebenskrise. Sie kann sich nur schwer zu irgendetwas aufraffen, selbst ihren geliebten Sport hat sie sausen lassen und eine berufliche Auszeit genommen. Was ist passiert? Als wir uns zum ersten Mal in meiner Praxis treffen, bricht sie nach kurzer Zeit in Tränen aus und erzählt von ihrem Wunsch nach einem zweiten Kind. Ihre letzte Periode hatte sie vor über einem halben Jahr. Nach einer Odyssee durch zwei Kinderwunschkliniken musste sie ihre Hoffnung begraben. Die endgültige Diagnose: Menopause. Ihre Freunde haben vergeblich versucht, sie zu trösten: »Blick nach vorn, du musst jetzt loslassen. Sei doch dankbar für den Jungen, den du hast.« – so ihr Ratschlag. Silvia hat das nicht weitergebracht. Sie trat den inneren Rückzug an und erst auf Drängen ihres besorgten Ehemanns suchte sie das Gespräch mit mir. Sie begann, ihre Traurigkeit in Form eines Tagebuchs zu verarbeiten und schrieb ihrem Wunschkind einen bewegenden Brief. Ihren unerfüllten Kinderwunsch hat sie mit einem Abschiedsritual loslassen können. Schritt für Schritt hat sie in ihr aktives Leben zurückgefunden.
Monika, steckte, als ihr Mann sich ernsthaft in eine Kollegin verliebte, in einem Konflikt. Schon lange hatte sie etwas geahnt. Nach dem Geständnis ihres Mannes stand Monika, für die Ehe und Treue alles war, vor einem Scherbenhaufen. Für ihre Freundinnen war die Sache schnell klar: »Lass dir das bloß nicht bieten, schmeiß ihn raus und such dir einen guten Scheidungsanwalt.« Stattdessen nahm sich Monika Zeit für ihre eigene Bilanz. Sie erkannte, was sie selbst in ihrer Ehe seit Langem vermisst hatte. Sie und ihre Bedürfnisse waren im Familienalltag untergegangen. Ihr wurde bewusst, welche negativen Folgen das Festhalten an alten Verletzungen für ihr zukünftiges Leben haben würde. Gedanklich spielte sie die Folgen einer Trennung durch und ihr ging auf: Ich schaffe das. Dann kam die Wende. Denn in der entscheidenden Aussprache mit ihrem Mann stellte sich heraus, was auch bei ihm alles zu kurz gekommen war. Beide sahen darin eine Chance. Sie entschieden sich für eine gemeinsame längere Ehetherapie. Beide haben an sich gearbeitet und die Geschichte nahm mit dem Neuanfang ein gutes Ende.
Das Bedürfnis nach Kontinuität gehört zu unserer menschlichen Grundausstattung. Verlust- und Abschiedsschmerz im Leben ist aber unvermeidbar. Loslassen bedeutet sowohl Beenden und Abschied als auch Lösung und Neuanfang. Wenn der Wind der Veränderung bläst, sind Festhalten und Klammern natürliche Reflexe. Um das neue Ufer erreichen zu können, müssen wir das sichere alte loslassen und uns dem natürlichen Fluss des Lebens anvertrauen.
Kleine Kinder lernen spielerisch loszulassen. Sie sind zwar schutzbedürftiger, aber auch flexibler und neugieriger als Erwachsene. Werden sie nicht ständig in Watte gepackt, entwickeln sie viel Selbstvertrauen, können sich ausprobieren und beweisen, was sie schon alles allein können. Jede Mutter weiß, dass sie ihr Kind loslassen muss, damit es selbstständig werden kann.
Loslassen, Abschied und Raum für Neues
In den Wechseljahren liegt das Thema Beenden und Abschied in der Luft. Abschied von der Jugend, von manchen Lebensträumen, von Erwartungen und Illusionen. Der Illusion, dass sich der Partner doch noch ändert, oder der Illusion, dass der Märchenprinz uns eines Tages wachküsst. Im Ende der Fruchtbarkeit und des vertrauten Monatsrhythmus liegt der Abschied von unerfüllten Kinderwünschen. Wenn die Kinder flügge werden und das Haus verlassen, bedeutet das den Abschied von der aktiven Mutterrolle. Wir selbst hören endgültig auf, Kinder zu sein, wenn die