John Maynard Keynes
In den letzten 20 Jahren war ich aufgrund meiner Arbeit jeden Monat, manchmal sogar jede Woche, irgendwo in der Welt unterwegs – das heißt, bis Covid-19 mich unvermittelt stoppte. Plötzlich musste ich pausieren. Von einem Tag auf den anderen endeten das Packen, die Eile und die Geschäftsreisen. Ich hätte nie geahnt, dass ich bei meiner Reise nach Israel Anfang März, wo ich den Vorsitz bei einem globalen Forum über den Wandel in der Arbeitswelt führte, das letzte Mal im Jahr 2020 einen internationalen Flug absolvieren würde. Ein paar Tage, nachdem ich am 3. März aus Tel Aviv in meine Heimatstadt New York zurückgekehrt war, veränderte sich auch mein Arbeitsplatz. Ich arbeitete nicht mehr in den Büros von Deloitte Consulting im Rockefeller Center, sondern in meinem kleinen Homeoffice an der Upper Westside von Manhattan. Als ich im Schutz meines Zuhauses zusammen mit dem Rest der Welt die ernüchternden Schäden verfolgte, die die Pandemie verursachte, bot sich mir die Gelegenheit – vielleicht zum ersten Mal in meiner Karriere –, länger als ein paar Wochen an einem Ort zu bleiben und über die ablaufenden und noch bevorstehenden Veränderungen nachzudenken.
Meine Arbeit an diesem Buch war bereits weit fortgeschritten, als sich die globale Pandemie Anfang des Jahres 2020 ausbreitete. Zweifellos verlieh diese jedoch meiner Untersuchung des Wandels im Arbeitsleben, die sieben Jahre zuvor begonnen hatte, eine ganz neue Dringlichkeit. Die Notwendigkeit des Übergangs zu neuen Arbeitsformen, neuen Bezugsrahmen, neuen Erwartungen und neuen Möglichkeiten wurde von der Pandemie beschleunigt. In einer Zeit, in der Technologien – darunter die künstliche Intelligenz – allgegenwärtig sind und für manche Menschen eine Bedrohung ihrer Arbeit und ihres Lebensunterhalts darstellen, werden wir gleichzeitig Zeugen unserer grundlegenden Verletzlichkeit als Menschen, die uns von einem Virus vor Augen geführt wird, das in den USA bereits mehr Menschen getötet hat als alle Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg. Was ich als globaler und US-amerikanischer Pionier und Leiter des Beratungsfelds Future of Work bei Deloitte Consulting in Gesprächen mit Dutzenden der führenden Experten auf diesem Gebiet und mit Unternehmensleitern auf der ganzen Welt über die Zukunft der Arbeit entdecken konnte, ist, dass darin vor allem anderen unseren wesenseigenen, menschlichen Eigenschaften neue Bedeutung zukommt: Innovation, Schöpfungskraft, Findigkeit, Unternehmertum, Empathie, Fürsorge und Beziehungen.
Für manche ist »Zukunft der Arbeit« zwar nur die Abkürzung für »die Roboter werden uns unsere Jobs wegnehmen«, aber bei vielen anderen wächst der Glaube daran, dass in Wirklichkeit Innovation und Kreativität an erster Stelle stehen werden. Wir können Prozesse nur bis zu einem gewissen Grad automatisieren, ebenso wie wir Kosten und Tempo nur bis zu einem gewissen Punkt senken beziehungsweise steigern können – irgendwann werden wir etwas Neues erschaffen müssen. Wir müssen innovativ sein. Und genau das waren wir während des Ausbruchs von Covid-19, im Kleinen und im Großen. Ich arbeitete weiterhin mit Klienten und Kollegen weltweit zusammen, nur nicht persönlich, sondern über Zoom, WebEx und ähnliche Plattformen. Abends und an den Wochenenden recherchierte und arbeitete ich an diesem Buch. Es war eine Zeit der Bestandsaufnahmen. Man hatte das unangenehme Gefühl der Unsicherheit, passte sich an und suchte nach Möglichkeiten, die Dinge auf neue Weise zu erledigen. Mit meinen Kollegen bei Deloitte überlegten wir uns sehr rasch, wie wir unsere Arbeit fortsetzen konnten – aus der Ferne und besser. Wie bei jeder Anpassung an eine neue Technologie veränderten und verbesserten wir die Dinge, die wir zuvor schon gemacht hatten, und gingen über zu Zoom, Teams, Slack und anderen kollaborativen Technologien. Wir stellten fest, dass wir auf diese Weise sogar mehr schafften. Wir erledigten Dinge, von denen wir nie geglaubt hätten, dass sie aus der Ferne möglich seien, beispielsweise die Einführung umfangreicher technischer Systeme in Organisationen ohne Hunderte von Beratern vor Ort. Wir stellten fest, dass wir erfolgreiche, interaktive Online-Workshops mit Arbeitsgruppen durchführen, auf virtuellen Whiteboards zusammenarbeiten und sogar virtuelle Brainstormings abhalten konnten. Außerdem erfuhren wir auch gegenseitig mehr über uns, als wir von zu Hause aus arbeiteten. Wie ich zu meinen Teams immer sage: Wenn wir keine Kinder oder Hunde im Hintergrund hören, fehlt etwas. Unser Leben sollte im Fluss der Arbeit sichtbar sein. Das ist etwas, das wir beim Übergang in eine neue Normalität nicht wieder aufgeben sollten.
Unsere kollektive Pause
Die Pause, die Unsicherheit, die Notwendigkeit der Anpassung erinnern uns daran, dass jedes Menschenleben eine Geschichte von Umwälzungen, Anpassungsfähigkeit und Überleben ist. Ich wurde ein Jahr nach dem ersten Start eines Satelliten geboren (der sowjetische Sputnik 1 im Jahr 1957), sah mit elf Jahren die ersten Menschen auf dem Mond herumspazieren (US-Amerikaner im Jahr 1969) und war Zeuge der ersten kommerziellen Raumflüge zur Internationalen Weltraumstation im Jahr 2020. Meine Laufbahn erstreckte sich über mehrere Börseneinbrüche, Millennium-Bug, 9/11, die Wirtschaftskrise ab 2008 sowie Pandemien (H1N1, Ebola und Covid-19). Und ja – die Technologie hat sich gewaltig verändert. Meine Referate an der Uni tippte ich noch auf der elektrischen Schreibmaschine und irgendwann hatte ich ein Tablet mit der Rechenleistung eines Supercomputers. Ich habe als Forscher, Lehrer, Banker, Direktor von Regierungsprogrammen, Berater, Schriftsteller und Professor gearbeitet. Ich habe in den USA, Nepal, Sri Lanka, Kenia, Russland, Belgien, Indien und Israel gelebt. Mir ist klar, dass ich während meiner gesamten Laufbahn lauter Lektionen in Anpassungsfähigkeit erhalten habe. Ich ändere ständig meine Erwartungen und passe mich an die Geschehnisse an – nicht an etwas, was ich mir vielleicht als Nächstes vorgestellt hätte.
Meine Töchter erhielten ähnliche Lektionen in Anpassungsfähigkeit, als Covid-19 ihren Tagesablauf durcheinanderwirbelte. Meine Tochter Rachel (28), eine MBA-Doktorandin an der Emory-Universität in Atlanta, ging in der zweiten Hälfte des Semesters zum Fernunterricht über, ebenso wie 1, 6 Milliarden andere Studenten auf der ganzen Welt, und anschließend absolvierte sie ein virtuelles Sommerpraktikum. Meine jüngere Tochter Bizzie (25) war gerade seit drei Wochen in Madagaskar und trainierte als Freiwillige des US-Friedenskorps, als sie – ebenso wie 7000 weitere Freiwillige und Trainees weltweit – zurück in die USA evakuiert wurde. Es war das erste Mal seit seiner Gründung im Jahr 1961, dass das gesamte Korps nach Hause zurückkehrte. Ich beobachtete, wie meine Töchter mit diesen Veränderungen zurechtkamen und resilienter wurden.
Unsere langen, gewundenen Laufbahnen
Schon früh in meiner Karriere lernte ich, mich anzupassen. Oft fiel der Beginn einer neuen Aufgabe sogar mit wichtigen Weltereignissen zusammen. Nach der Graduiertenschule war ich im Oktober 1987 gerade mitten in der Einarbeitung für eine Position als Finanzberater bei der Chemical's Investment Bank, die heute zu JPMorgan Chase gehört, als die Börsen den prozentual größten Tagesverlust seit der Weltwirtschaftskrise erlitten. Ein paar Jahre später, nach dem Fall der Berliner Mauer 1989, verabschiedete ich mich von meinem »Geschäftsleben« und wurde einer der ersten selbstständigen Direktoren des US-Friedenskorps, als es nach dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion die Arbeit in Russland aufnahm. Am 1. September 2001, wenige Tage vor den Angriffen vom 11. September, stieß ich zu Deloitte. Sieben Jahre später erlebten wir die globale Finanzkrise und die folgende große Rezession.
Diesen Herausforderungen standen die Höhepunkte meiner Karriere gegenüber. Zu ihnen gehört die Leitung der Deloitte-Beratungskanzleien in Indien, sowohl für die Global-Delivery-Teams als auch für die Berater, die mit einigen der größten Unternehmen in Indien zusammenarbeiteten. Ich arbeitete von 2011 bis 2016 für Reliance Industries, als das Unternehmen gerade Jio gründete (das heißt auf Hindi »das Leben leben«). Jio ist heute die größte 4G- und Mobilfunkfirma in Indien. Die Firma nahm im Jahr 2016 die ersten Kunden an und hatte bis zum Sommer 2020 knapp 400 Millionen Kunden. So wurde sie zu Indiens größtem Telekommunikationsunternehmen mit Schwerpunkt 4G-Connectivity. Während dieser Zeit vollzog sich in ganz Indien ein Übergang – sowohl in der Wirtschaft des Landes als auch in ihren Beziehungen zur globalen Wirtschaft. Ich konnte einen kleinen Beitrag zur Schaffung des zweitgrößten 4G-Telekommunikationsunternehmens der Welt sowie zur raschen Einführung smarter Mobilfunkdienste und Apps in Indien leisten.
Unser Bezugsrahmen
Weder den Wandel der Arbeit noch Anpassungsfähigkeit