Wenn wir es am wenigsten erwarten, stellt uns das Leben vor eine Herausforderung, um unseren Mut und unseren Willen zur Veränderung auf die Probe zu stellen. Dann nützt es wenig, so zu tun, als wäre nichts, oder sich damit zu entschuldigen, dass wir nicht bereit seien. Die Herausforderung wartet nicht. Das Leben schaut nicht zurück.
Paulo Coelho, Schriftsteller 1
Als sich die Coronapandemie in den USA einnistete, betraten wir eine Zeitmaschine, die uns in die Zukunft katapultierte.2 Praktisch über Nacht krochen auch Mitarbeiter aus Branchen, in denen bis dahin kaum Telearbeit möglich war, morgens aus dem Bett und wählten sich vom Sofa aus in Zoom-Konferenzschaltungen ein. Für viele Lehrer, Banker, Anwälte und sogar Luft- und Raumfahrtingenieure der NASA war die Coronakrise ein Testlauf für das Homeoffice.3 Da ein Großteil des Landes die Anweisung hatte, sich an Ort und Stelle zu schützen, schwenkten zahlreiche Unternehmensleiter in Sekundenschnelle um. Sie erfanden Produkte neu, setzten ihre Mitarbeiter anders ein, reorganisierten die Lieferketten und rekonfigurierten ihre Betriebsabläufe – alles in einem hitzigen Wettrennen zur Rettung von Leben. Weit oben auf der kritischen Liste stand der Bedarf an Beatmungsgeräten. Es wurden potenziell Hunderttausende gebraucht. In einer nie dagewesenen Anstrengung stoppten Ford und General Motors ihre Autoproduktion und sattelten auf die Herstellung von Beatmungsgeräten um.4
Die Generalüberholung der Produktion und ihre Steigerung über jedes bisherige Maß hinaus sind magische Meisterleistungen, von denen die Unternehmensleiter aber bereits wussten, dass sie ihnen in Zukunft wohl abverlangt würden. Als Anne-Marie Slaughter, CEO von New America, sagte, das Coronavirus biete »eine Gelegenheit zur Durchführung der Veränderungen, von denen wir wussten, dass sie uns irgendwann bevorstehen würden« und enthülle gleichzeitig »tiefe Risse und Missstände in unserer Kultur«, erfasste sie damit genau die Gefühle der Unabänderlichkeit und der Verletzlichkeit, die viele Unternehmensführer empfanden.5 Ihnen war klar gewesen, dass der Wandel in der Arbeitswelt eine Steigerung der Effizienz, ein Vorgehen in Warp-Geschwindigkeit, die Suche nach Talent und Fachwissen auch außerhalb der eigenen Organisation sowie eine gehörige Portion Erfindungsreichtum erfordern würde. Was sie jedoch nicht gedacht hatten, war, dass diese Zukunft auf einmal und so schnell eintreffen würde. Schließlich hatten die Unternehmensleiter in einer Umfrage nach der anderen immer wieder angegeben, noch nicht ausreichend auf die zukünftige Arbeitswelt vorbereitet zu sein.6
Die Coronavirus-Pandemie war ein abrupter Schnelldurchlauf in die Zukunft der Arbeit. Veränderungen, für die man Jahrzehnte gebraucht hatte, traten innerhalb von Wochen ein. Slaughter, ein ehemaliger Direktor für politische Planung im US-Außenministerium, erklärte, dass mit der Pandemie »die Zukunft der Arbeit jetzt da ist«.7 Das Coronavirus hat in der Tat sowohl die extremen Herausforderungen als auch die inspirierenden Möglichkeiten veranschaulicht, die durch eine Zukunft eingeleitet wurden, die schneller als erwartet eintrat.
Panik oder Umstellung
Überall im Land waren Unternehmensleiter mit die Ersten, die während der Pandemie aktiv wurden. Woher kam der Bedarf an so vielen Beatmungsgeräten? Das Coronavirus tötet häufig über die Lunge, denn die Patienten entwickeln eine Covid-19-Lungenentzündung.8 Beatmungsgeräte halten die Schwerstkranken am Leben, weil sie zusätzlichen Sauerstoff liefern und die Lungen auch dann noch in Gang halten, wenn sie sich langsam mit Flüssigkeit füllen. General Motors beeilte sich, Arbeitskräfte umzuschulen und die 700 Teile aufzutreiben, die sie für einen Prototypen brauchten. Sie bezogen die Teile von rund 80 Lieferanten aus der ganzen Welt.9 Die Führungsriege des Autobauers zeigte sich der Herausforderung sehr gut gewachsen: Die Herstellung eines Beatmungsgeräts aus 700 Teilen klingt zwar zunächst sehr anspruchsvoll, aber Autos werden meist aus rund 2500 Teilen zusammengebaut. Autofirmen haben ihre Fähigkeit zum raschen Aufbau einer Massenproduktion für technische Maschinen bereits bewiesen, aber dennoch musste die normale Produktionsgeschwindigkeit ein paar Gänge hochgeschaltet werden. Was normalerweise Monate dauert, musste innerhalb weniger Wochen erledigt werden. Sie mussten mehr und schneller als je zuvor produzieren, denn es ging um das Leben akut kranker Covid-19-Patienten.
Zahlreiche Unternehmen gaben ihr Tagesgeschäft auf und nahmen stattdessen eine Vielzahl der Dinge in Angriff, die während der Coronapandemie knapp wurden, darunter nicht nur lebenswichtige medizinische Geräte, sondern auch persönliche Schutzkleidung und Hand-Desinfektionsmittel. In New York improvisierten viele Ärzte und Krankenpfleger mit Müllsäcken als Ersatz für fehlende OP-Kleidung und Schutzkittel. The Gap Inc., die Muttergesellschaft von Banana Republic und Old Navy, stellte ihre Fabriken um und produzierte Schutzmasken aus Stoff, Kittel und OP-Kleidung. Fanatics, ein Online-Verkäufer von Major-League-Baseball-Ausrüstung, begann ebenfalls mit der Herstellung von Masken und Kitteln.10 Inzwischen spendete die Alkoholmarke Pernod Ricard reinen Alkohol zur Herstellung von Hand-Desinfektionsmitteln und der französische Luxus-Riese LVHM, dem Louis Vuitton, Bulgari und andere hochwerte Marken gehören, stieg ebenfalls ins Desinfektionsmittelgeschäft ein. Seine Parfüm- und Make-up-Produktionsstätten wurden zur Herstellung von Wasser-Alkohol-Gels verwendet.11
Um die Türen geöffnet und die Mitarbeiter in der Firma zu halten, änderten viele Unternehmen die Richtung, kämpften sich durch den bürokratischen Dschungel und dachten sich fantasievolle Methoden aus. Wer sich rasch umstellte und anpasste, konnte seine Fähigkeiten auf neue Weise einsetzen, statt der Panik nachzugeben.12 Ein kleiner Familienbetrieb wie Essations, der vor beinahe 40 Jahren von Stephanie Lusters Eltern gegründet worden war, konnte seine Haarprodukte nicht mehr an die Salons ausliefern. Als die Friseure schließen mussten, weil in einer Stadt nach der anderen die Regeln des Lockdowns und des Social Distancings in Kraft traten, hatte Luster eine Idee. Sie wollte direkt an die Kunden verkaufen, die zwar auch zu Hause bleiben mussten, aber dennoch für die berufliche Teilnahme an Zoom-Konferenzen gepflegte Haare brauchten. Wie wäre es also, wenn Friseure und Stylisten Haarpflege-Videos mit Essations-Produkten drehen und auf Facebook posten würden? Am Ende der Tutorien könnte jeder Stylist einen Code angeben, mit dem Kunden auf der Essations-Website einen Rabatt erhielten. Aus dem Code wäre ersichtlich, welcher Stylist den Kunden weitergeleitet hatte, und dieser würde dann einen Teil des Verkaufspreises erhalten. Viele Friseure ließen sich gern auf diese Idee ein und erstellten Videos speziell mit den Produkten von Essations, sodass der Online-Absatz um 20 Prozent zunahm.13
Einige Unternehmen waren während der Pandemie extrem erfolgreich. Instacart, ein Einkaufs- und Lieferservice für Lebensmittel, stellte in einem Monat mehr als 300 000 Vollzeitmitarbeiter ein, um der steigenden Nachfrage zu Beginn der Pandemie nachzukommen. Und er plant sogar noch 250 000 weitere Neueinstellungen.14 Sehr viel mehr Unternehmen und Einzelpersonen mussten für ihr Überleben jedoch die Richtung ändern. Mitarbeiter von Hotel-Callcentern im Zwangsurlaub wurden an staatliche und städtische Callcenter »ausgeliehen«. Uber startete einen Kurierdienst, damit die Fahrer, die keine Passagiere mehr beförderten,