war, Unternehmensführern die Zukunft der Arbeit nahezubringen, weil ich als Student und Doktorand Geschichte, Philosophie und Staatskunde sowie später BWL und Wirtschaft studierte. Vor allem aber bereiteten mich wohl die Erfahrungen, denen ich ausgesetzt war, auf die ganze Breite und Vielfalt dessen vor, was sich im Lauf unseres Lebens in der Welt ereignete. Im Jahr 1983 beendete ich gerade meinen Dienst als Lehrer des Friedenskorps in Nepal, einem der schönsten und ärmsten Länder der Welt, wo ich in einem Dorf ohne Zugang zu fließendem Wasser oder Strom, das noch dazu eine Stunde Fußweg von der nächsten Straße entfernt war, Mathe und Naturwissenschaften unterrichtet hatte. Zwei Jahre später, im Sommer 1985, war ich Sommerpraktikant für Unternehmensfinanzierung in der Park Avenue in New York. Irgendwo zwischen Nepal und New York hatte ich das Glück, sehr vielen unterschiedlichen Gesichtern menschlicher Erfahrungen zu begegnen.
Was ich mein Leben lang lerne – und was hoffentlich auch meine Töchter lernen –, ist, dass es wichtig ist, wie wir die Welt betrachten und was wir für relevant und möglich halten. Dies formt, was wir erreichen können und was wir tatsächlich tun. Neue Zeiten und neue Bedingungen schaffen neue Möglichkeiten. Wenn wir unsere Sichtweise nicht ändern – die Zeithorizonte, Beziehungen, das Tempo –, verpassen wir Gelegenheiten. Für uns als Individuen und als Organisationen und Gemeinschaften hat sich Covid-19 als Zukunftsbeschleuniger erwiesen. Aber diese Zukunft war ohnehin bereits im Kommen: Sie bietet Chancen für die Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen sowie Laufbahnen, die aus mehreren Phasen bestehen, in denen wir uns immer wieder neu erfinden. Wenn wir uns auf alles einlassen wollen, was möglich ist, brauchen wir unbedingt ein neues geistiges Selbstbild – ein Growth Mindset, das heißt eine bewegliche, flexible Denkweise.
Das Konzept des Growth Mindset (»dynamisches Selbstbild«) wurde von der Psychologin Carol Dweck entwickelt. Es beinhaltet die Fähigkeit zu Veränderung und Wachstum. Sie setzt es in Kontrast zu einer einschränkenden, unbeweglichen Einstellung, die sie als Fixed Mindset (»statisches Selbstbild«) bezeichnet. Ihre Forschungen zeigen, dass unser Selbstbild zu großen Teilen bestimmt, was wir über uns selbst zu wissen glauben und wozu wir fähig sind. Es bringt uns entweder weiter oder hält uns davon ab, unser Potenzial voll auszuschöpfen. Laut Dweck haben unsere geistigen Modelle – ob wir uns ihrer bewusst sind oder nicht – eine tiefgreifende Wirkung darauf, wie wir neue Fähigkeiten erwerben, wie sich unsere persönlichen Beziehungen und unser beruflicher Erfolg entwickeln und vieles mehr. Menschen mit dynamischem Selbstbild glauben daran, dass sie ihre grundlegenden Fähigkeiten durch Fleiß und Konzentration entwickeln können. Diese Einstellung begründet Lernhunger und Resilienz, die beide in der zukünftigen Arbeitswelt von großem Nutzen sein werden. Menschen mit einem statischen Selbstbild glauben dagegen, es liege in ihrer Natur, dass sie manche Dinge gut und andere nicht so gut können. So schließen sie die Möglichkeit, dass sie neue Fähigkeiten dazulernen könnten, von vornherein aus. In ähnlichem Zusammenhang lehrt uns die Anthropologin Gillian Tett, dass die Art, wie wir die Welt beschriften und kategorisieren, tatsächlich beeinflusst, was wir uns selbst zutrauen.
Unsere Herausforderung
Während sich herausstellt, dass der Sturm, den Covid-19 verursacht, einen längeren Atem hat, als viele von uns erwarteten, rufe ich mir ins Gedächtnis, dass wir gerade in Zeiten von Umwälzung und Stress einige der größten Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft erlebt haben, die es bisher gab. Wir durchleben gerade eine Zeit des Umschwungs und der Beschleunigung. Covid-19 ist eine dramatische Herausforderung an uns, darüber nachzudenken, welche Zukunft wir uns erschaffen wollen. Bei meinen Überlegungen zum Wandel in der Arbeitswelt achtete ich in den letzten sechs Jahren hauptsächlich auf die Tatsache, dass wir die Zukunft oft so betrachten, als wollten wir die gleiche Arbeit mit den gleichen Prozessen erledigen und nur hier und da ein paar technische Veränderungen einstreuen. Die wahren Chancen liegen aber nicht darin, dass wir einfach so weitermachen wie heute, nur ein wenig besser und schneller. Die echten Gelegenheiten liegen in der Erforschung des Unbekannten und in der Reise, in deren Verlauf wir entdecken, wie wir die Dinge anders machen können. Wie können wir andere Ergebnisse produzieren, die größere Wirkung und mehr Sinn entfalten? Wie können wir neue Kombinationen aus Menschen und Maschinen zu Teams verbinden, die die einzigartigen Eigenschaften beider Komponenten verstärken? Wie können wir flexiblere Arbeitsweisen erfinden – für uns selbst und für alle Beschäftigten? Wie schaffen wir Arbeitsplätze, an denen wir sowohl virtuell als auch in Person arbeiten können? Und schließlich: Wie erschaffen wir eine zukünftige Arbeitswelt, die nicht nur ökonomischen Wert schöpft, sondern auch unsere sozialen und gemeinschaftlichen Werte widerspiegelt? Dieses Buch ist ein Versuch, die Möglichkeiten zu ergründen und den Dialog vorwärtszubringen.
Die fundamentale Frage, die dieses Buch stellt, lautet: Welche Linse wählen wir für unseren Blick in die Zukunft? Betrachten wir sie als vorhersehbare Fortsetzung der Vergangenheit oder lieber doch als breitgefächerte Auswahl neuer Chancen, die alles beinhaltet, was wir für möglich halten? Mit anderen Worten: Betrachten wir die Zukunft mit statischer oder dynamischer Einstellung (Growth oder Fixed Mindset)? Machen wir einfach weiter, nur schneller und besser (statisch), oder wollen wir Neues erschaffen und erfinden? Wenn wir heute im Jahr 1910 oder 1920 lebten und ich Ihnen diese Frage stellen würde, dann würde sie wahrscheinlich lauten, ob Sie für die Eisenbahn oder für eine der neuen Automobilfirmen arbeiten wollen.
Unsere Gelegenheit
Auf diesen Seiten teile ich einige meiner Überlegungen und Erfahrungen mit Ihnen. Ich begleite Sie als ein Sherpa des 21. Jahrhunderts auf dem Weg durch den immer schneller verlaufenden Wandel der Arbeit – oder auch durch den Beginn des »Zeitalters des Menschen«, wie ich es gern betrachte. Unsere Ära, das gegenwärtige geologische Zeitalter, wird Anthropozän genannt und gilt als die Periode, in der die menschlichen Aktivitäten bestimmenden Einfluss auf das Klima und die Umwelt haben. Eine der Debatten, die jetzt in den Vordergrund tritt, die Ökonomen aber schon seit vielen Jahrzehnten führen, dreht sich um das Zusammenspiel von technischer Innovation und kreativer Zerstörung. Wenn ich die Geschichte des Wirtschaftswachstums betrachte, sehe ich immer deutlicher, dass wir durch den Prozess des Unternehmertums, der Innovation und der kreativen Zerstörung tatsächlich genau das vorwärtsgebracht haben, was es heißt, Mensch zu sein und Sinn und Wirkung zu erschaffen.
Ich schrieb dieses Buch, um meine Ansichten darzulegen: Ich glaube, dass es beim Wandel der Arbeit, der für viele eine Quelle der Angst ist, in Wirklichkeit um die Chancen, die Belastbarkeit und das Wachstum geht, die wir einsetzen können, um alles anders zu machen. Es geht darum, dass wir neue Prioritäten setzen, Muster erschaffen und in unserem Leben und unseren Gemeinschaften eine neue Ordnung gestalten. Der Wandel, auch wenn er sehr plötzlich und tiefgreifend ist, bedeutet keineswegs, dass alles gestoppt wird. Er offenbart die ständige Bewegung und Entwicklung unserer Arbeitsweise. Ein solcher Einbruch des Unerwarteten ist hart. Er verlangt von uns, dass wir bisherige Bezugsrahmen und Vorbereitungen auf die Zukunft überdenken, und er erinnert uns daran, dass eine Zukunft, so wie wir sie uns wünschen, auch neue Denkweisen erfordert – eine Öffnung für neue Arten der Arbeitsorganisation.
Das Zusammentreffen zwischen dem Wandel in der Arbeitswelt und dem gegenwärtigen Erleben der Covid-19-Ära erzeugt einen Bruch in unserem Leben, einen einzigartig erhellenden Augenblick. Wir sind eingeladen, uns von Grund auf neu vorzustellen, wie wir arbeiten wollen, wie die Bildungseinrichtungen aussehen sollen und wie wir unsere Lebensläufe, Unternehmen und Gemeinschaften aufbauen wollen. Die Akzeptanz neuer Selbstbilder und der Erwerb neuer Fähigkeiten gehören vielleicht zu den kritischen Erfordernissen unserer Zeit. Meine Hoffnung ist, dass Sie beim Lesen dieses Buches ein besseres Gefühl für die Chancen erhalten, die Sie erwarten, für die Belastbarkeit, die Ihnen helfen wird, und für die Wachstumspfade, die Sie in Ihrem Leben verfolgen können, sodass Sie Dinge erschaffen und erfinden und sich selbst positiv weiterentwickeln werden.
Jeff Schwartz
New York
August 2020
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