ihn einen Augenblick. Sie holte blitzschnell aus und schlug ihm die flache Hand ins Gesicht. Ihr schmales Gesicht war glutrot. Ihre Brust wogte unter der dünnen Bluse.
Sie schien ihm noch schöner als vorher. Er machte einen Schritt auf sie zu.
„Mary!“ Seine Stimme war rau.
„Rühren Sie mich nicht an, Williams!“, rief sie schrill.
In seinen Schläfen hämmerte es. Er streckte die Hände aus, um sachte ihre Arme zu fassen.
Da wurde er von hinten an der Schulter gepackt und herumgerissen. Ehe er noch irgendwie reagieren konnte, erwischte ihn eine Faust unterm Kinn …
*
Er hatte den Eindruck, eine Pulverladung explodiere vor seinem Gesicht. Er sah einen Kreis wirbelnder Funken. Dann merkte er, dass er im Büffelgras lag. Sein Kinn schmerzte. Die Zähne zusammengebissen, stützte er sich auf die Ellenbogen und starrte hoch.
Vor dem Hintergrund des schwarzen Planendachgerüstes und des gelben Hangs sah er Clay Dillons eckiges grimmiges Gesicht. Der stämmige Cowboy stand breitbeinig vor ihm, die Fäuste leicht angewinkelt, und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf ihn nieder.
„Los, steh auf, Williams!“
Greg erhob sich. In seinem Kopf brummte es.
„Dillon, bist du verrückt geworden?“, keuchte er heiser.
„Verrückt?“, knurrte Dillon wütend. „Dir werd’ ich es schon zeigen, wie sich ein Mann zu benehmen hat, wenn …“
„Aber …“
Da war Clay Dillon schon wieder bei ihm. Greg sah die schwere Faust heransausen und duckte sich blitzschnell. Der Hieb radierte über seine linke Schulter weg. Greg warf sich nach vorne, rammte seine Schulter gegen Dillons Brust, und als der Weidereiter zurücktorkelte, zog er einen kurzen schnellen Haken hoch.
Dillon stolperte und prallte hart gegen die Bordwand des Küchenwagens. Zornig setzte Greg nach. Doch Dillon hatte sich schon wieder gefasst, blockte Gregs Schwinger ab und kam mit einer Behendigkeit, die man seiner schweren Figur nicht zugetraut hätte, an Gregs rechte Seite.
Greg wirbelte herum – mitten in Dillons Gerade hinein.
Er hatte das Gefühl, der Boden würde ihm unter den Füßen weggezogen. Er landete auf dem Rücken, schmeckte Blut auf den Lippen und schnellte wieder hoch.
„Aufhören!“, schrie Mary Lockwood. „Schluss damit, hört endlich auf!“
Aber jetzt hatten beide alles andere vergessen. Die Erregung des Kampfes hatte sie wie ein schlimmes Fieber gepackt.
Greg täuschte einen Angriff vor, und als Dillon wie erwartet zur Seite wich, traf ihn Greg zweimal kurz hintereinander. Dillons Einsteckungsvermögen war groß. Der Mann war ein abgebrühter Kämpfer. Er schüttelte sich, zog den Kopf tiefer zwischen die breiten Schultern und rammte Greg die geballte Rechte gegen den Leib.
Greg schnappte nach Luft und warf sich zur Seite. Um Haaresbreite verfehlte ihn Dillons Haken. Greg taumelte gegen seinen Gegner und klammerte sich an seiner Schulter fest. Mit einer halben Drehung riss sich Dillon los. Gregs Griff zerrte ihm halb die ärmellose Jacke von der Schulter. Etwas Helles klirrte zu Boden.
Dillon schlug nach Greg und wich zwei Schritte zurück. Greg hatte sich wieder gefangen und wollte nachsetzen. Da fiel sein Blick auf den blinkenden Gegenstand, der aus der Innentasche von Clay Dillons Weste gefallen war.
Er blieb wie erstarrt stehen.
Da lag ein fünfzackiger Marshalstern im Sand zwischen den geknickten dürren Halmen!
*
Es kostete Greg Mühe, den Blick von dem Abzeichen loszureißen. Seine und Dillons Augen begegneten sich. Keiner sagte ein Wort. Beide starrten einander nur an. Dillons Gesicht war verschlossen, seine grauen Augen blickten steinhart.
Greg glaubte, eine stählerne Klammer legte sich plötzlich um seine Brust. Das Atmen wurde ihm schwer. Er vergaß die Schmerzen an den Stellen, wo Dillons harte Fäuste ihn getroffen hatten. Unwillkürlich dachte er an jenen trüben grauen Morgen bei Fort Worth zurück, als Sheriff Shaw mit der Nachricht von Rick Carneys Tod ins Camp gekommen war.
Dillon machte eine Bewegung, und Gregs Rechte zuckte, um zum Colt zu greifen. Doch Dillon hatte den Blick von ihm abgewandt, bückte sich stumm nach dem Marshalabzeichen und verstaute es wieder in der Westeninnentasche.
Das Schnauben eines Pferdes ließ sie beide herumfahren.
Lee Torrence war unbemerkt in die Senke gekommen. Er saß mit vorgezogenen Schultern im Sattel, und in seinen Augen glühte es wild.
Für Greg gab es keinen Zweifel, dass Torrence den Marshalstern ebenfalls gesehen hatte. Der Vormann verlor jedoch kein Wort darüber. Sein hageres Gesicht wurde ausdruckslos, als Greg und Dillon ihn anschauten.
Er sagte trocken: „Wenn ihr mit eurer Unterhaltung fertig seid, dann nehmt eure Pferde und kommt mit. Die Arbeit wartet.“
„Was ist mit der Herde, Lee?“, fragte Mary schnell.
Greg musterte sie von der Seite. Sie tat, als sei nichts geschehen. Ihre anmutige Gestalt war gestrafft. Nichts mehr von der Wärme und Sanftheit, die sie vorhin für etliche Sekunden gezeigt hatte, war mehr an ihr.
Torrence schnippte mit Daumen und Mittelfinger. „Wir hatten Glück, Miss Mary. Die Herde ist zum Stehen gekommen.“
Die Rancherstochter sog scharf den Atem ein. Jetzt schien sie nur noch an ihre Aufgabe zu denken, die dreitausend Longhorns sicher nach Dodge City zu bringen. Sie fragte: „Wie habt ihr das nur geschafft, Lee?“
Der Vormann lächelte dünn.
„Allein hätten wir das kaum fertiggebracht, Miss Mary. Wir sind zu wenig Leute dafür.“
„Jemand hat euch geholfen?“
„Yeah! Eine Schar Büffeljäger ist aufgetaucht – ein glücklicher Zufall! Wer weiß, wie es jetzt ohne diese Männer aussehen würde.“
„Kennen Sie die Leute, Lee?“
„Nein! Aber sie scheinen recht zuverlässig. Ihr Anführer ist ein gewisser Brod Slakeson.“
Als Torrence den Vornamen „Brod“ nannte, schrillte in Gregs Gehirn ein Alarmsignal. Alles in ihm verkrampfte sich jäh.
Torrence warf ihm einen scharfen Blick zu. Es sah wie Zufall aus, dass seine rechte Hand auf den Kolben seines Revolvers gestützt war. Aber Greg war überzeugt, dass Torrence ihn sofort niederschießen würde, wenn er jetzt nur ein einziges verkehrtes Wort äußerte.
Torrence redete schnell weiter: „Wir müssen jetzt nur noch eines tun: die versprengten Rinder zusammenholen.“
„Also gut, machen wir uns an die Arbeit!“, nickte Mary entschlossen. Dann fiel ihr noch etwas ein: „Und die Comanchen?“
„Die sind verschwunden. Das Auftauchen der Büffeljäger wird sie abgehalten haben, sich den Großteil der Herde zu schnappen. Es wäre allerdings gut, wenn wir ein wenig Ausschau nach ihnen hielten.“ Er drehte sich Greg zu.
„Nimm dir einstweilen ein Wagenpferd, Williams. Einen Sattel findest du auf dem Fahrzeug. Du kommst mit mir. Dillon, Sie bringen Miss Mary zu den anderen und kümmern sich dann zusammen mit Old Mike um die Herde. Noel soll den Wagen holen.“
Greg wartete darauf, was Dillon tun würde. Der Gedanke, dass dieser Mann in Wirklichkeit ein Marshal war, erfüllte ihn mit wachsender Unruhe.
Wusste Dillon über ihn vielleicht längst Bescheid und wartete nur, bis sie in Dodge City ankamen, um ihn dann zu verhaften? Damals am Brazos hatte Dillon ihm zweifellos das Leben gerettet, als die Kinross Crew im Camp gelauert hatte. Aber jetzt brachte es Greg nicht mehr fertig, darüber Dankbarkeit zu empfinden.
Dillon kam wortlos Torrences Befehl nach. Er führte sein Pferd heran und half Mary schweigend