mit ›Querdenken‹ nichts zu tun!«
»Die Leiche vor ein paar Tagen war eine von uns. Eine ›Querdenkerin‹. Vielleicht richtet sich diese Tat ja auch gegen uns?« Natürlich horchte der Köstlbacher kurz auf, als er dies erfuhr, aber sympathischer wurde ihm aufgrund dieser Info der Pressefuzzi deswegen auch nicht. Daher drehte er sich zum Kollegen Baldauf um, der mit Herrn Müller redend in Reichweite stand, und gab Anweisung, den Reporter Kamarek entfernen zu lassen. Was er gesehen hatte, musste reichen. Den Rest würde er sich sowieso aus den Fingern saugen.
»Es wird sicherlich bald wieder eine Pressekonferenz geben. Bis dahin werden Sie sich gedulden müssen!«, gab er dem Journalisten mit auf den Weg.
Das Zwischenspiel bewirkte, dass dem Köstlbacher seine Laune in den tiefsten Keller fiel. Mit der Presse war er noch nie besonders gut Freund gewesen. Und mit so einer ›Querdenker-Presse‹ würde er es schon dreimal nicht sein oder werden. Und das hatte nicht einmal politische Gründe. Eigentlich ganz pragmatische. Sein Berufsstand war immer der Leidtragende, wenn was schieflief. Und das passierte in letzter Zeit leider immer öfter, dass etwas schieflief.
Kapitel 16
Dem zweiten Opfer gab man den Namen Gizela. Gizela Drom. Die fiktive Biografie für Gizela war schnell zusammengestellt. Tochter einer Serbin und eines Deutschen. Beide Eltern verstarben vor ein paar Jahren bei einem tragischen Verkehrsunfall. Gizela Drom war 25, ledig und wohnte in einer Altstadtwohnung nahe dem Ostentor.
Das Abhalten einer Besprechung vor der großen Pinnwand war früher ein Highlight, das der Köstlbacher liebte. Vor der Pinnwand wurden Zusammenhänge klar und selten wurde so eine Konferenz beendet, ohne zu neuen Erkenntnissen gekommen zu sein.
Heute sollte sich daran eigentlich nichts ändern. Viele Mosaiksteine galt es zusammenzutragen. Auch wenn dem Puzzle elementare Teile fehlten, man würde hoffentlich einen Schritt vorwärtsmachen können.
Trotzdem war heute vieles anders als früher. Das lag nicht nur am einzuhaltenden Abstand. Den Köstlbacher nervte am meisten der Mundschutz. Er wurde ohnehin viel zu schnell kurzatmig, wenn er sich aufregte. Vom Schwitzen ganz zu schweigen, das mit der Kurzatmigkeit einherging. Und jetzt noch dieser Mund-Nasenschutz. Angenehm war das nicht, auch wenn er einsah, dass es nötig war, möglichen Ansteckungen vorzubeugen.
»Fassen wir zusammen«, begann er und kratzte sich am Kragen. Dort juckte es so gut wie immer, vor allem aber, wenn alles nur vordergründig nach seinen Vorstellungen ablief, bei genauerem Hinsehen jedoch größere Probleme zu erwarten waren. »Ich kann vermelden, dass wir den Plan unserer Kollegin und Beraterin Dr. Unger detailgetreu durchgeführt haben. Aber ich bezweifle sehr, dass das etwas gebracht hat, beziehungsweise noch bringen wird.«
Frau Dr. Unger kommentierte das nicht, drückte ihre Missbilligung für diese Einschätzung dafür mit ihrer Mimik und Gestik umso deutlicher aus.
»Wer weiß, vielleicht haben wir ja Glück«, meinte der Baldauf. Hatte es eigentlich eine besondere Bewandtnis damit, in das fingierte Tatmesser ESTHER einzugravieren? Warum nicht Gizela?«
»Jeder Name wäre gut gewesen, nur nicht Gizela«, warf die Forensiche Psychiaterin Dr. Karin Unger energisch ein. »Auf der ersten Tatwaffe war KARIN eingraviert. Karin war nicht der Name der Toten. Diesem Umstand wollten wir auch beim zweiten Mord, unserem gefakten Mord, Rechnung tragen.«
»Wobei wir keinerlei Anhaltspunkt haben, warum auf der ersten Mordwaffe KARIN eingraviert war und nicht der tatsächliche Name der Joggerin«, meinte der Köstlbacher.
»Und wenn…?«, kam es plötzlich verhalten von der Kommissarin Cuscunà.
»Und wenn was?«, fragte der Köstlbacher.
»Ist nur so eine Idee. Mein Exmann war Italiener. Er hat mir oft erzählt, dass es in Italien heute noch so etwas wie Blutrache gibt.«
»Was hat ›Blutrache‹ mit unserem Namensproblem zu tun?«, fragte die Kollegin Müller.
»Die Assassinen, das italienische Wort für Bluträcher, ritzten in die Kugel, die den Mann töten sollte, an dem man sich für einen Mord rächen wollte, die Initialen desjenigen ein, für den er sterben sollte.«
Den Satz musste die Runde erst einmal verdauen. Aber natürlich wusste jeder nach kurzer Überlegung sehr wohl, worauf die Cuscunà hinauswollte.
Der Köstlbacher sprach aus, was alle dachten und redete die Cuscunà von nun an, ohne das vorher abgeklärt zu haben, mit ›Du‹ an: »Du meinst also, das Messer mit der Gravur KARIN tötete zwar Helge Martinson, galt aber symbolisch einer Karin?«
Die Dr. Unger machte den Eindruck, das Gehörte noch einmal mit ihren eigenen Überlegungen abgleichen zu wollen, bevor sie darauf zu antworten bereit war. Offensichtlich kam sie dabei zu einem positiven Ergebnis, denn sie nickte beifällig.
»Oder so ähnlich, ja«, bestätigte die Cuscunà, was der Köstlbacher soeben messerscharf geschlossen hatte.
»Und das Motiv? Die Assassinen töteten, weil vorher einer der Ihren getötet worden war. Sollte das unser gesuchtes Motiv sein?«, fragte Kommissar Krimeck, von dem man schon lange nichts mehr gehört hatte.
»Soweit würde ich nicht gehen«, antwortete die Cuscunà.
»Was das Motiv betrifft, tappen wir meiner Meinung nach nach wie vor im Dunkeln.«
»Ob das alles stimmt, das muss sich erst zeigen«, fügte die Koch der Diskussion hinzu, die ein wenig angepisst war, weil die Neue mit ihren Ideen sich gar so in den Mittelpunkt drängte. Wobei die Koch der Ehrlichkeit halber trotzdem zugeben musste, dass die Vermutung was Einleuchtendes hatte.
»Martina hat nicht behauptet, dass das stimmt«, machte sich überraschend der Baldauf für die Neue stark. »Aber dazu sind wir schließlich hier. Ideen sammeln. Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
Ein zustimmendes Murmeln ging durch die Reihen. Sollte dabei die eine oder andere negative Bemerkung gefallen sein, so war sie jedenfalls nicht zu verstehen, weil die Corona-Masken nicht nur Tröpfchen stoppen. Oft genug halten sie auch undeutlich gesprochene Worte zurück. Was bisweilen durchaus einen positiven Aspekt haben kann.
»Ideen sind immer gut. Und sie müssen auch mitgeteilt werden. Nur so können wir darüber diskutieren. Aber uns fehlt jetzt erst einmal Grundlagenarbeit«, schloss der Köstlbacher die Debatte ab. »Wir müssen alles in Erfahrung bringen, was es über die ermordete Helge Martinson in Erfahrung zu bringen gibt. Wie hat sie gelebt? Familie? Freundeskreis? Das Übliche eben. Dann werden wir vielleicht zu Erkenntnissen kommen, die uns weiterbringen. Vielleicht! Aber vergessen wir dabei nicht: Nicht immer führt der Weg zum Mörder über das Opfer! Ich kümmere mich um die diesbezügliche Zusammenarbeit mit den Kollegen in Norwegen. Vielleicht können die auch einiges beisteuern. Baldauf, du bleibst vorläufig im Haus, falls ich dich brauche! Du auch Martina! Ihr beide koordiniert die weiteren Ermittlungen. Sprecht euch ab, wer was in Angriff nehmen soll. Also, ab an die Arbeit! Ach ja, dass ich es nicht vergesse, ich will niemanden ohne Maske antreffen! Keine Anweisung vom Söder! Anweisung von mir!«
Sobald alle, bis auf die Cuscunà, die sich noch einmal verinnerlichte, was die Pinnwand bisher hergab, den Raum verlassen hatten, wandte er sich an seine Kollegin: »Mir ist zu Ohren gekommen, du bist mit Dr. Simone Becker und dieser Frau Petra Herrmann befreundet. Setzt euch doch mal zusammen und versucht herauszufinden, ob im Zusammenhang mit der SEIDENPLANTAGE vielleicht etwas übersehen worden ist! Vielleicht wäre es auch sinnvoll, unsere Forensische Psychiaterin am Gespräch teilnehmen zu lassen.«
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