Bereits am 5. Mai 1948, also nur einen Tag nach der Entführung der Siebel, gelang Václav Šlouf die Flucht in den Westen.18 Als Pilot der ČSA nutzte er dafür eine regelmäßige Flugverbindung von Prag nach Paris. Václav Šlouf war unter Beobachtung der ŠtB, denn seine Ehefrau war britische Staatsbürgerin und wartete bereits zusammen mit ihren Töchtern auf den Ehemann in England. Nach der Landung in Paris informierte Šlouf die ČSA in Prag, dass er mit der Dakota (Bez. OK-WDI) am nachfolgenden Tag nicht nach Prag zurückfliegen würde. Die Fluggäste wurden in Paris darüber unterrichtet, dass das Flugzeug wegen einer Motorstörung nicht zurückfliegen könnte. Schließlich kehrten sie nach Prag mit einer Maschine der Air France zurück und die ČSA musste einen Ersatzpiloten für die Dakota entsenden. Nach der Landung am Flughafen Prag-Ruzyně am 8. Mai 1948 verhörte die ŠtB die sonstigen Mitglieder der Besatzung: Copilot Josef Tichý, Funker Gejza Hujbert und Stewardess Eva Karanová. Alle drei sagten aus, dass Šlouf weder während des Flugs noch zuvor seine Pläne angedeutet und sich gänzlich natürlich verhalten habe. Davon, dass sie nicht am gleichen Tag zurückfliegen würden, hätten sie erst von einem Vertreter der ČSA in Paris erfahren. Šlouf habe ihnen gegenüber seine Weigerung zur Rückkehr damit begründet, dass seine Ehefrau in Großbritannien sei. Er habe ihnen auch berichtet, dass er am Vorabend des Abflugs aus Prag von zwei Agenten der ŠtB aufgesucht worden sei. Die Agenten hätten ihn darauf aufmerksam gemacht, dass er unter Beobachtung stehe, da sie vermuteten, dass er ins Ausland fliehen könnte.19 Šlouf besuchte die Besatzung am Vormittag des folgenden Tages im Hotel und übergab ihnen einen Brief für den Leiter der ČSA in Prag. Im Mai 1952 legte die ŠtB die Fahndung nach Václav Šlouf zu den Akten. Sie hatten seine zwei Brüder, die in den tschechischen Dörfern Nepomuk (Pomuk) und Dvořec bei Pilsen lebten, ergebnislos überwacht.20 Šlouf hatte mit seinen Brüdern keinen Kontakt. Aus diesem Grund beantragte die ŠtB 1962, die Akte 15 Jahre lang ruhen zu lassen. Kraft einer Entscheidung der Kommission des Innenministeriums wurde die Akte Šlouf 1978 endgültig geschlossen.
Zu den interessanten Dokumenten, die die Flucht Šloufs betreffen, gehört auch der an den Leiter der ČSA, Gen. Alois Kubita (auch ein ehemaliger Pilot der RAF), adressierte persönliche Brief, der am 5. Mai 1948 aus Paris abgeschickt worden war. Aus Sorge, dass seine Verwandten, Bekannten und Kollegen wegen seiner Flucht in Schwierigkeiten geraten könnten, beteuerte Šlouf in diesem Schreiben, dass er aus familiären und nicht aus politischen Gründen geflohen sei. Er erwähnte darin auch den Besuch zweier Agenten der ŠtB am Vorabend des Abflugs nach Paris, die ihm Fluchtpläne unterstellt und ihn überwacht hätten. Der Schluss des Briefes, in dem er sein Desinteresse am politischen Geschehen ausdrückt, hat eine hohe Aussagekraft, denn er bezeugt die Stellung der ‚Westler‘ im neuen tschechoslowakischen Regime: „…doch der unglückliche Westen, wo wir während des Krieges alle gedient und alle ohne Unterschiede redlich geschuftet haben, ist jetzt für uns schicksalhaft, denn wir sind räudige Schafe.“21
Zu einem weiteren erfolgreichen Fluchtversuch von ‚Westlern‘ der RAF gehört die Entführung eines weiteren Flugzeugs des Typs Siebel (Bez. OK-ZDJ) unter der Leitung von Václav Kopecký, auch wenn sich der eigentliche Plan anfangs ungünstig entwickelte. Nach der Flucht von der Flugbasis in České Budějovice (Böhmisch Budweis) landete Kopecký zusammen mit drei Mechanikern (darunter Václav Künhel als Co-Organisator der Flucht), einem Funker (Vladimír Soukup) und weiteren drei Piloten (Jiří Mikulecký, Václav Ruprecht, Josef Doubrava) auf einer Militärbasis in Deutschland. Die US-amerikanischen Besatzungsbehörden wollten sie jedoch in die ČSR zurückschicken. Nach dem Protest der Besatzung, dass zu Hause auf sie nur der Tod warten würde, füllten die Amerikaner neuen Treibstoff in das Flugzeug und erlaubten den Geflüchteten, nach ihrem Wunsch nach Westen oder Osten zu fliegen. Am 18. Mai 1948 landeten sie auf der britischen Militärbasis in Manston.22 Auch diese Flucht findet einen gemeinsamen Nenner: die ‚Westler‘ der RAF.
Auf dem Flughafen in Manston landete am 16. Juni 1948 auch Josef Bernát mit einer Dakota.23 Die Dakota Nr. 18, ein Flugzeug des 1. Regiments des Luftverkehrs der Militärflugbasis Prag-Kbely, landete dort nach einem nächtlichen Flug über den Kanal und einer erfolgreichen Landung mit fast leeren Tanks und brachte Freiheit nicht nur für Bernát, sondern auch für andere Angehörige der RAF, die sich zusammen mit ihren Familien an Bord befanden (Hugo Hrbáček24, Karel Šťastný25, Zdeněk Sichrovský26, Vlastimil Prášek, Karel Kandra, Alois Líška). Zum Zeitpunkt der Flucht wartete Bernáts Gattin, Derry Grace oder auch Daisy genannt, mit ihren zwei Kindern auf den Ehemann bereits in England. Im April 1948 wurde Bernát wegen der ihm zugeschriebenen politischen Ausrichtung beurlaubt. Gleichzeitig wurde in Prag ein Antrag auf seine Entlassung aus der Tschechoslowakischen Armee vorgelegt. Selbstverständlich wurde auch er durch die ŠtB bespitzelt. Einem Bericht der Prager Zentrale der ŠtB vom 13. Mai 1948 zufolge hielt sich Bernát auf dem Flughafen auf und machte ‚Schiebergeschäfte‘ mit Valuta der Fluggäste. Er soll damit ein anderes Ziel verfolgt haben – die Knüpfung von Kontakten mit dem Ausland, um illegal die Grenzen passieren zu können. Er habe sich mit Stanislav Šnepfenberg und Karol Šťastný, einem Pilot, der zur gleichen Zeit ebenso durch das Kommando der Luftwaffe beurlaubt wurde, getroffen. Dem Bericht zufolge traf er sich auch mit weiteren Piloten: Václav Ryba (dessen Frau Kathleen Engländerin war) und Karol Schoř (und seiner Gattin Marie).27 Obwohl die ŠtB sehr intensiv nach den Hintergründen der Flucht suchte, waren die Ermittlungsergebnisse unzureichend. Am 28. Juni, also dreizehn Tage nach Bernáts Flucht, wusste sie nur, dass Bernát ein Experte für Nachtflüge war und mit der Dakota am 16. Juni 1948 in Manston gelandet war.28 Weitere Dokumente, die sich auf Bernáts Flucht und seine Person beziehen, sind kurz und knapp verfasst. Sie beinhalten etwa die Information, dass das Bezirksgericht Přelouč (Prelauc) am 29. Juli 1950 über die Beschlagnahmung des gesamten Eigentums von Bernát entschied und einen Haftbefehl gegen ihn und seine Ehefrau wegen Republikflucht und Nichtbefolgung des Befehls zur Rückkehr erließ sowie eine ordentliche Untersuchungshaft im Falle ihrer Ergreifung anordnete.29 Die ŠtB überwachte auch Bernáts Geschwister, einen Bruder und vier Schwestern, und leitete im April 1956 gegen ihn eine staatsweite Fahndung ein. Aufgrund ihrer Erfolglosigkeit wurde die Fahndung 1961 eingestellt und die Fahndungsakte archiviert.
Die zweite durch die Prager ŠtB überwachte Person, die mit der Dakota nach Manston flüchtete, war OLt. Hugo Hrbáček, ein weiterer ‚Westler‘, der zwangsweise beurlaubt worden war. Obwohl die ŠtB keine ihn kompromittierenden Dokumente finden konnte, reichten – nach einer gründlichen Durchsuchung seiner Wohnung – 14 Luftaufnahmen aus dem Jahr 1939 als Beweis, dass er staatsfeindlich tätig gewesen war. Nach seiner Flucht wurden seine Eltern, Schwestern und Bekannten vernommen. Die ŠtB bespitzelte Hugo Hrbáček noch vor seiner Flucht. Den Beweis dafür liefert ein Bericht der Brünner Zweigstelle, nach dem Hrbáček in Bratislava war und dann nach Brünn fuhr, um von dort das Land illegal zu verlassen und von Mähren nach Österreich zu gelangen.30 Die Vernehmungen seiner Verwandten und Freunde brachten keinen Aufschluss über die Planung der Flucht. Die einzige relevante Auskunft war, dass Hrbáček von seiner Überwachung durch die ŠtB Kenntnis hatte. Seine Verwandten wussten nur, dass er den Prager Club der Verbündeten Offiziere regelmäßig frequentierte, wo er sich mit anderen ‚Westlern‘ traf. Sicherlich handelte es sich dabei um eine bedeutsame Spur, die jedoch die Einzelheiten der Flucht nicht aufklären konnte. Nach beharrlichen Verhören des Wachdienstes und der Angestellten des Flughafens