sein Gesicht wurde ernst, als er sagte: »Es tut gut, dich zu sehen, Kiera.«
»Du hast keine Ahnung, welche Sorgen wir uns gemacht haben«, murmelte sie. »Alles O. K. mit dir?« Er nickte lächelnd. Auf dem Weg zum Parkplatz begann er ihr die Geschichte seiner unfreiwilligen Reise zu erzählen.
Halsbrecherisch wie die Bewohner der Insel fuhr Kiera mit ihrem Vauxhall durch die karge, felsige Landschaft, überholte schnelle Oldtimer-Busse genauso wie störende Traktoren. Nur hie und da unterbrach eine Gruppe Pinien die trockene Einöde, sonst bestand alles auf dieser Insel aus Stein, die endlosen Trockenmauern ebenso wie die dicht gedrängten Häuser entlang der Strasse, die geradewegs aus dem gelben Kalk des Bodens zu wachsen schienen. Lee war zum ersten Mal auf Malta und beobachtete fasziniert, wie die gigantische Skulptur der zahlreichen Kuppeln, Türme und Paläste Vallettas wie eine Fata Morgana am Horizont auftauchte.
»Gute Eingebung, erst hierher zu kommen«, bemerkte er.
»Die Stadt? Ja, sie ist absolut einmalig, eigentlich eine einzige monströse Festung. Ich habe so etwas vorher noch nie gesehen. Wenn du die vielen Touristen in kurzen Hosen ignorierst, glaubst du dich in die Zeit der Malteserritter zurückversetzt. Große Teile der Stadt, die Kathedrale, die Wohnhäuser, die engen, steilen Straßen, die endlosen Treppen, die sie hier auch Straßen nennen, alles noch wie zur Zeit der Türkenkriege, trotz der Bomben im zweiten Weltkrieg – sagt jedenfalls Luca«.
»Luca?«
»Luca Sciberras«, beeilte sie sich zu ergänzen. »Ingenieur der maltesischen Wasserwerke, der unser Projekt begleitet.«
»Luca, hmm. Netter Begleiter?«
»Du brauchst nicht so zu grinsen. Gute Beziehungen zu den Behörden sind wichtig. Du wirst ihn übrigens bald kennenlernen.«
»Ich kann es nicht erwarten«, antwortete er wahrheitsgetreu. Wenn dieser Luca der Grund für Kieras totale Veränderung war, lohnte es sich durchaus, den Mann aus der Nähe zu betrachten.
Sie steuerte den Wagen über das blank gescheuerte Kopfsteinpflaster der Battery Street. Die Strasse war so schmal, dass ihn die vier- oder fünfstöckigen Häuser zu beiden Seiten an eine Straßenschlucht in seiner Heimatstadt erinnerten. Wenig später endete die Häuserzeile zu ihrer Rechten und gab einen überwältigenden Panoramablick auf den Grand Harbour frei.
»Fantastisch«, murmelte er beeindruckt.
»Und das direkt vor dem Hotelzimmer«, ergänzte sie trocken und parkte den Wagen vor dem Hotel. »Einfaches Hotel, aber nette Leute und unbezahlbare Aussicht, wie du selbst bemerkt hast. Überdies nahe an den Geschäftszentren.«
»Fantastisch«, wiederholte er und warf ihr einen dankbaren Blick zu. Gewohnt, jedes Detail selbst zu organisieren, schätzte er ihre kleinen Aufmerksamkeiten umso mehr.
»Du sagst es«, spottete sie schmunzelnd. Sie schaute auf die Uhr. »Elf, wir haben noch eine halbe Stunde bis zum Treffen mit Luca. Zeit für ein kurzes Briefing.« Sie setzten sich in eine Ecke der kleinen Eingangshalle und sie klärte ihn über die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden auf. »Trinkwasser ist wirklich das Problem Nummer eins hier. Es gibt keine Seen und Flüsse auf der Insel. Alles Süßwasser ist entweder Grundwasser oder entsalztes Meerwasser. Wie du weißt, war das einer der Hauptgründe für unser Projekt.«
»Deshalb müssten euch die Behörden doch mit offenen Armen empfangen haben.«
»Ja und nein, das ist eben das Verblüffende. Die etablierte Methode der Entsalzung in Malta ist RO. Es gibt drei große Reverse Osmosis Anlagen in Pembroke, wo wir sind, Cirkewwa und Ghar Lapsi, und diese Leute betrachten uns als lästige Konkurrenz.«
»Da haben sie nicht ganz unrecht.«
»Sicher, aber unglücklicherweise sind sie bestens vernetzt mit den zuständigen Beamten.«
»Und dein Luca ist einer der Guten, wenn ich recht verstehe.« Sie schaute ihn böse an und antwortete unwirsch:
»Er ist nicht mein Luca! Aber ja, er hat verstanden, dass unsere Technologie der RO überlegen ist. Er wird dir die Zusammenhänge besser erklären können.«
»Entschuldige, war nicht so gemeint.« Lee unterdrückte ein zufriedenes Grinsen. Die heftige Reaktion bestätigte ihr Verhältnis zum guten Luca auch ohne weitere Fragen.
»Wir sollten aufbrechen«, sagte sie ungerührt und stand auf.
Die Bridge Bar befand sich gleich um die Ecke buchstäblich auf einer Brücke über der St. Ursula Street. Ein schlanker, junger Bursche mit Pilotenbrille im schwarzen Kraushaar über einem Augenpaar, dem nichts zu entgehen schien, sprang auf, als er sie kommen sah. Mit zwei artigen Küssen begrüßte er Kiera, dann gab er Lee die Hand.
»Freut mich außerordentlich, dass Sie uns besuchen, Dr. O’Sullivan.«
»Ich danke Ihnen, dass Sie Zeit für uns haben. Aber nennen Sie mich einfach Lee, bitte.«
»Gerne, ich bin Luca, wie Ihnen die bezaubernde Lady hier sicher gesagt hat.« Lachend deutete er auf seine Kleidung. »Ich sehe, wir haben denselben Geschmack.« Tatsächlich glichen sich die dunkelblauen Hosen und kurzärmeligen weißen Hemden aufs Haar. Das Eis war gebrochen. Der Mann gefiel ihm umso besser, je länger er ihm während des einfachen Mahls auf der Brücke unter den bunten Holzerkern zuhörte. Er gehörte einer fortschrittlichen Generation an, offen für neue Technologien und besorgt um den Schutz der Umwelt. »Ich gehöre leider noch zur Minderheit im Ministerium, die alte Garde will möglichst nichts verändern. Was sich seit Jahrzehnten bewährt hat, wird auch in Zukunft funktionieren, ist etwa die Philosophie. Die Leute wollen nicht verstehen, dass sich die Welt auch ohne sie verändert.«
»Andererseits sprechen die Fakten doch eine deutliche Sprache«, bemerkte Lee vorsichtig. »Die traditionellen Verfahren, zum Beispiel die RO, benötigen sehr viel Energie …«
»Ganz genau«, unterbrach Luca erregt. »Das ist mein Ansatz. Letztlich kann man die Leute nur mit deutlich reduzierten Kosten beeinflussen, nicht mit ökologischen Argumenten. Weniger Energie heißt weniger Geld ausgeben, das leuchtet jedem ein. Hier auf der Insel bedeutet Energiesparen noch etwas ganz anderes. Die Energie stammt nämlich zu hundert Prozent aus fossilen Brennstoffen wie Kohle. Wenn wir so weitermachen wie bisher, bewegen wir uns in einem Teufelskreis: der Bedarf an entsalztem Meerwasser steigt aus Gründen, die ich Ihnen heute noch zeigen werde. Das braucht mehr Energie, das produziert mehr CO2, was letztlich mehr entsalztes Wasser bedeutet, und so weiter. Die Regierung steht jetzt schon unter massivem Druck, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Brüssel hat bereits Sanktionen angedroht.«
»Da kommt unsere neue Technologie wie gerufen, nehme ich an«, lächelte Lee. Der Ingenieur nickte mit ernster Miene und antwortete:
»Was glauben Sie, warum ich mich so für dieses Projekt einsetze?«
Lee hätte ihm schon noch andere Gründe nennen können, sagte aber nur: »Ich kann nur wiederholen, Luca, dass wir von Disruptive Technologies alles daran setzen werden, Sie nicht zu enttäuschen. Wie Sie wissen, stecken wir eine nicht unbeträchtliche Summe an Risikokapital in dieses Unternehmen.«
»Ich unterbreche nur ungern«, lächelte Kiera, »aber sollten wir nicht langsam aufbrechen?« Luca schaute auf die Uhr und stutzte.
»Schon so spät! Natürlich, du hast völlig recht. So gern ich mehr Zeit mit euch verbringen würde, ich muss leider um drei wieder zurück sein. Zum Glück ist es nicht weit zu den Galerien.« Er lachte. »Nichts ist weit weg auf Malta.«
Sie fuhren in Kieras Wagen aus der Stadt nach Westen, dann durch hügeliges Land in südlicher Richtung zu einem abgeschiedenen Dorf namens Siggiewi, dessen Zentrum der prunkvolle Kuppelbau einer kolossalen Kirche beherrschte wie in fast jeder Siedlung auf der Insel. Am Dorfrand führte sie Luca in ein Gebäude der Wasserwerke.
»Der Eingang zu den Ta‘ Kandja Galerien«, sagte er, als sie den Aufzug bestiegen, der sie fast hundert Meter in die Tiefe bringen sollte. Unten erwartete sie ein weit verzweigtes Höhlensystem. Kilometerlange, schnurgerade Kanäle hatte man hier in den roten Fels gehauen. Kanäle,