Hansjörg Anderegg

Das Komplott der Senatoren


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anderes Verfahren: Umkehrosmose oder Reverse Osmose, RO. Der natürliche Vorgang der Osmose, bei dem Wasser durch eine halbdurchlässige Membran von Regionen niedriger Salzkonzentration in Regionen höherer Konzentration fließt. Setzte man aber die Region mit höherer Salzkonzentration, also das Meerwasser, genügend hohem Druck aus, wanderte das Wasser in die andre Richtung, und auf der anderen Seite der Membran sammelte sich das Trinkwasser. Beide Verfahren waren aufwändig und verbrauchten Unmengen an Energie. Die neue Technologie seiner Firma war dagegen geradezu primitiv, trotz der abschreckenden Bezeichnung: Kapazitive Ionenpumpe. Sie leiteten das Meerwasser einfach zwischen elektrisch aufgeladenen Platten hindurch. Die gelösten Salzteilchen, elektrisch geladene Ionen, wanderten dabei zur Platte mit der entgegengesetzten Ladung, und am Ende des Wegs kam nur noch Süßwasser aus der Anlage. Zu- und Abflussröhren, Verteiler und ein paar mechanische Filter war alles, was ihre Fabrik außer den Platten und der Elektrotechnik brauchte. Revolutionär an ihrer Technologie war die Beschichtung dieser Platten: Nanostrukturen, die wie feinste Schwämme eine millionenfach größere Oberfläche für den Ionentausch boten als konventionelle Elektroden. Dadurch verschlang ihr Apparat nur einen Bruchteil der Energie anderer Anlagen für die Entsalzung des Meerwassers. Lee war überzeugt, dass sich ihre Technologie über kurz oder lang durchsetzen würde.

      »Sayed, ich muss gestehen, ich hätte dich heute Morgen gebraucht«, sagte er, als er seinen kurzen Lagebericht beendete.

      Sayed Chandra, der Maschineningenieur aus Kochi, den er an der Universität in Chicago kennen gelernt hatte, grinste schadenfroh.

      »Du wolltest dich ja unbedingt allein durchschlagen, aber ich habe dich gewarnt. Unsere Beamten haben die seltsame Gabe, plötzlich taub zu werden oder die englische Sprache nicht mehr zu verstehen, insbesondere bei Ausländern.«

      »Danke, ich hab’s begriffen. Das nächste Mal wirst du wieder dabei sein.« Sayeds Team motivierter, junger Techniker schien Lees Missgeschick königlich zu amüsieren. Er konnte es ihnen nicht verübeln, denn wenn er etwas gelernt hatte in den wenigen Tagen seit er hier im Südwesten des indischen Subkontinents angekommen war, dann die Tatsache, dass er als Fremder absolut nichts verstanden hatte von der Art, wie man hier Geschäfte abwickelte. »Wie sind eure Durchlauftests verlaufen?«, fragte er, um das Thema zu wechseln. Sayed setzte eine betrübte Miene auf, als er antwortete:

      »Statik und Druck sind mit größter Wahrscheinlichkeit O. K., aber ich kann das nicht mit letzter Sicherheit behaupten. Wir tun unser Bestes, die Produktion mit den Ersatzpumpen zu simulieren, aber sie sind viel zu schwach, um die Anlage wirklich in Betrieb zu nehmen, das weißt du ja.«

      »Ich habe gute Nachrichten, Leute. Der Frachter mit dem restlichen Material läuft heute ein.« Die Hafenverwaltung hatte ihn informiert. Höchste Zeit, dass die Ware geliefert wurde, denn die Entsalzungsanlage an der Küste von Veli im Süden der Stadt war nichts als ein Schrottplatz ohne die richtigen Spezialpumpen. Die Männer, und es arbeiteten tatsächlich nur Männer im Projekt, applaudierten erleichtert. Jeder wartete ungeduldig auf das erste Wasser.

      Er gab seinem Freund Ingo ein Zeichen. Ingemar Lohwasser, ein Deutscher, Elektroingenieur, der sein ganzes Studium in den Staaten absolviert hatte, sollte die Leitung des laufenden Betriebs nach der Bauphase übernehmen. Der bärtige blonde Hüne freute sich mehr als alle anderen auf den Tag, an dem es endlich losginge. Mit seiner Baritonstimme gab er die neusten Änderungen der Schichtplanung bekannt, nicht ohne sein ceterum censeo hinzuzufügen:

      »Ich möchte nur nochmals darauf hinweisen, dass ein Betrieb ohne Reserve-Transformatoren nicht zu empfehlen ist.«

      »Auch du bist erhört worden, Ingo«, lachte Lee. »Der Frachter wird zwei Trafos liefern.«

      »Das glaube ich erst, wenn ich sie sehe«, brummte der Ingenieur, den man sich eher als Alleinsegler denn als Betriebsleiter vorstellen konnte. Lee schmunzelte nur. Er kannte den Kauz gut und vertraute ihm hundertprozentig.

      Eine Stunde später saß er eingepfercht neben Sayed auf dem Rücksitz einer Autorikscha im Stau. Die dreirädrigen Blechkästen waren die vernünftigsten Transportmittel in der Stadt, aber auch sie blieben häufig im Verkehrschaos stecken. Sie waren unterwegs zum Frachthafen. Mit den nötigen Papieren in der Tasche, wollte er die Löschung und das Umladen der Ware auf den Laster selbst überwachen. Nachdem sie die Neue Brücke nach Willingdon Island überquert hatten, rollte der Verkehr flüssiger, und der Fahrer setzte sie nach wenigen Minuten vor dem imposanten Tempel der Hafenverwaltung ab. ›Ernakulam Q6‹ war der Kai, an dem ihr Frachter angedockt hatte, nur ein paar hundert Meter vom Büroturm entfernt. Ein Mehrzweckfrachter sollte es sein, ein Stückgutschiff mittlerer Größe. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Eingeklemmt zwischen zwei unendlich langen, modernen Containerschiffen lag ein alter Rosthaufen am Kai, jedenfalls war das Lees erster Eindruck. Aber es war ihr Schiff. ›Спа´сский‹ stand in großen, kyrillischen Lettern am Bug, die Spassky mit russischer Mannschaft unter panamaischer Flagge, die ihre Transportfirma wohl einzig und allein angeheuert hatte, um Kosten zu sparen. Die Wartung des Kahns konnte jedenfalls nicht viel Geld verschlingen, wie die rotbraunen Streifen auf der schmutziggrauen Hülle bestätigten. Das Schiff bestand im Wesentlichen aus einem fünf- oder sechsstöckigen Deckhaus, mehreren Ladeluken und zwei hohen Masten mit überraschend gebrechlich wirkenden, langen Ladebäumen. Einer dieser Deckskräne hatte gerade seine Palette mit folienverpackten Kisten vor dem Gabelstapler abgesetzt. Leuchtend blau lachten ihnen die Buchstaben DT entgegen, das vertraute Logo ihrer Firma. Lee warf seinem Begleiter einen triumphierenden Blick zu und vergaß den zweifelhaften Zustand des Schiffs. Auf Sayeds Rat hatten sie eine spezialisierte Mannschaft mit der Löschung beauftragt, und die Leute schienen ihr Handwerk zu verstehen. Sie arbeiteten schnell und mit der nötigen Vorsicht.

      »Was wohl die Typen dort hinten im Schild führen?«, wunderte sich Lee. Eine Gruppe Hafenarbeiter lehnte gelangweilt an einem Schuppen und beobachtete das emsige Treiben. Sayed grinste verlegen. Er zögerte mit der Antwort.

      »Nokku kooli«, sagte er schließlich wenig hilfreich. Lee sah ihn fragend an. »Bezahlte Zuschauer. Es sind lokale Hafenarbeiter, die wir bezahlen müssen, weil fremde Männer ihren Job machen.« Lee konnte nicht glauben, was er hörte.

      »Du behauptest allen Ernstes, ich bezahle diese Kerle fürs Zuschauen?« Sein Kollege nickte und beeilte sich zu versichern:

      »Diese Zuschauer-Gebühr ist illegal, aber hier war es immer so. Glaub mir, es ist das Beste, den bescheidenen Tribut einfach zu entrichten.«

      »Unfassbar«, brummte Lee einigermaßen erschüttert. Mit seiner Auffassung von freier Marktwirtschaft war dieses Gebaren nicht vereinbar, und das ärgerte ihn nachhaltig. Sie gingen zum Lastwagen, auf dessen Ladefläche die DT-Paletten jetzt standen. Der Chauffeur zwängte sich mit der Ladeliste zwischen den Stapeln hindurch und prüfte die Etiketten. »Alles da?«, fragte Lee. Er begrüßte den Fahrer und schwang sich zu ihm hinauf. Nach dem Gesicht des Mannes zu urteilen, war es alles andere als eine rhetorische Frage.

      Der Fahrer schüttelte den Kopf und schimpfte: »Einmal möchte ich erleben, dass diese elenden Listen stimmen.« Er zeigte Lee das Papier, auf dem er alle Posten abgehakt hatte, außer einem. Als Lee sah, was die fehlende Palette enthielt, erbleichte er.

      »Die Liste stimmt schon«, murmelte er, »aber die Lieferung offenbar nicht. Sind Sie sicher, dass alles abgeladen ist?« Der Fahrer nickte.

      »Das behauptet die Crew.«

      »Das kann nicht wahr sein«, sagte er tonlos und begann, selbst nochmals die ganze Ladung zu kontrollieren.

      »Was ist los?«, rief Sayed beunruhigt.

      »Die Pumpen fehlen«, schrie Lee zwischen den Paletten.

      »Was?«

      Die Ladeliste stimmte.

      Er beugte sich zu Sayed hinunter und reichte ihm das Dokument.

      »Die verdammten Pumpen fehlen«, knurrte er wütend. Das musste ein Irrtum sein. Er wusste mit absoluter Sicherheit, dass die Pumpen von der Transportfirma in Chicago abgeholt worden waren. Sie mussten einfach da sein. Eine Verwechslung? Die Spassky hatte eine Menge anderer Güter entladen, die teils noch auf dem Kai lagerten, teils bereits in anderen Lastwagen