Ulrich Wißmann

Skalpjagd


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wie es scheint, handelt es sich um einen Serientäter“, warf Captain Blackhat ein.

      „Ganz richtig. Bis jetzt haben wir drei Tote gefunden. Alles dieselbe Handschrift. Im letzten Fall haben wir nun durch Zufall relativ bald den Wagen des Opfers sicherstellen können. Weit entfernt vom Fundort der Leiche und weitab jeder Zivilisation.“

      „Und nun vermuten Sie, dass dort der Tatort liegen muss?“

      „Genau! Wir haben in der Nähe auch eine Menge Spuren gefunden. Es könnte sich also um den Tatort handeln. Hat uns aber auch nicht weitergebracht. Bisher fehlt uns jeder Hinweis auf ein Motiv, geschweige denn auf einen Täter. Was wir brauchen, ist ein Spezialist!“

      „Aha, deshalb der indigene Fährtenleser!“, lachte Begay.

      „Bitte machen Sie sich nicht lustig! Niemand kann es mit indianischen Spurensuchern aufnehmen“, sagte Taylor.

      „Und Sie sind der beste Spurenleser in der gesamten Navaho Tribal Police, Frank“, meinte Blackhat mit einem Anflug von Stolz in der Stimme.

      „Wo genau wurden denn die Leichen gefunden?“, fragte Begay irritiert.

      „Im südlichen Montana und im Norden Wyomings.“

      „Aber dort oben gibt es doch jede Menge Indianerreservationen, die Crow, Blackfeet, Cheyenne, Sioux und viele andere und alle haben ihre Stammespolizei mit ausgebildeten Fährtensuchern!“

      „Wir brauchen aber jemanden mit kriminalistischer Erfahrung.“

      „Und beschränkter Handlungsbefugnis…“, ergänzte Begay.

      Er spielte auf die eingeschränkten Vollmachten der Stammespolizisten an. Zwar galten die Indianerreservationen als halbautonome Gebiete, in denen das Recht der jeweiligen Stämme galt. Diese Gesetzgebung erstreckte sich aber nur auf minder schwere Delikte. Lag ein Kapitalverbrechen vor, fiel es automatisch in die Zuständigkeit der Bundesbehörden. In diesen Fällen tauchten sofort Beamte des Federal Bureau of Investigation, abfällig auch Feds genannt, auf und rissen alles an sich. Sie degradierten die Stammespolizisten zu Laufburschen, sahen auf sie herab und versauten meistens alles, da sie weder über den kulturellen Hintergrund der Reservatsbewohner noch über deren Mentalität irgend etwas wussten und grundsätzlich mehr Spuren zertrampelten als sicherstellten.

      „Nun, für die Zeit Ihrer Ermittlungen in diesem Fall würden Sie die volle Handlungsbefugnis haben. Sie erhalten von uns einen Ausweis als FBI-Beamter.“

      Begay und Blackhat wechselten einen erstaunten Blick.

      „Befristet natürlich. Sehen Sie, das ist auch einer der Gründe, warum wir Ihre Hilfe erbitten. Wir wissen, dass Sie auch auf anderen Indianerreservationen schon eingesetzt wurden und hervorragende Arbeit geleistet haben. Wenn ich recht informiert bin, haben Sie im Rahmen Ihrer Ausbildung auch Anthropologie an der Universität von Albuquerque studiert und sind ein profunder Kenner der Native Nations.“

      Taylor benutzte diesen Ausdruck für die eingeborenen Völker Amerikas, der von den meisten Ureinwohnern lieber gehört wurde als Indianer oder anderes.

      Begay hatte sich tatsächlich mit der Kultur verschiedener Stämme beschäftigt und war wohl auch deshalb schon auf anderen Indianerreservationen eingesetzt worden, allerdings immer im Südwesten der USA. Eine Zusammenarbeit mit der Hopi-Stammespolizei war an der Tagesordnung, da das Hopi-Reservat von der größeren Navaho-Reservation umgeben war. Aber auch auf den beiden nördlich an das Navaho-Gebiet angrenzenden Ute-Reservationen und auf dem Reservat der Jicarilla- und San Carlos-Apachen hatte er schon gearbeitet.

      „Dann vermuten Sie, dass der Täter ein Indianer sein könnte?“

      „Möglicherweise ja.“ Taylor nestelte an seinem schicken Anzug herum. „Zumindest könnte es sein, dass Untersuchungen in diesem Umfeld erforderlich werden.“

      Etwas leuchtete Begay nicht ein. Mit Sicherheit gab es in der Gegend, in der die Morde passiert waren, gute indianische Cops und Spurenleser, die sich aber darüber hinaus mit den Sitten und der Geschichte der dortigen Stämme viel besser auskannten als er. Wenn das FBI unbedingt einen Navaho-Polizisten wollte, hieß das, dass sie verhindern wollten, das gemeinsame Clan- oder Stammeszugehörigkeiten die Ermittlungen gefährdeten oder dass sich durch einen in der Gegend beheimateten Ermittler Informationen über den Fall herumsprechen könnten. Er kannte die Praxis des FBI, indianische Beamte bevorzugt im Gebiet anderer, ihnen völlig fremder Stämme einzusetzen. Von den großen kulturellen Unterschieden zwischen verschiedenen indianischen Völkern wussten die meisten Weißen ja nichts, für sie war eben ein Indianer wie der andere.

      „Warum vermuten Sie, dass es sich bei dem Täter um einen Native American handeln könnte?“, fragte er.

      „Okay, ich denke, es ist an der Zeit, Ihnen etwas zu zeigen“, sagte Taylor und öffnete einen Ordner, den er aus seiner Aktentasche hervorholte. Er legte mehrere Fotos auf den Tisch vor Begay und Blackhat. Sie zeigten drei männliche Leichen, eine davon schon im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung. Alle drei waren übel zugerichtet und besonders am Kopf mit getrocknetem Blut verschmiert. Im selben Augenblick erschauderten Blackhat und Begay und sahen alle Fotos noch einmal durch: Die Toten waren allesamt skalpiert worden.

       III

      Der Mann saß im Dunkeln. Das Atmen wurde ihm schwer. Er lauschte auf den monotonen Gesang des alten Schamanen. Um das Luftholen zu erleichtern, presste er ein Büschel Salbei vor den Mund. Es erfrischte den Atem in der heißen Luft. Um ihn herum war fast nichts zu sehen. Nur in der Mitte des kleinen Raumes sah er ein schwaches Glühen, das den davor liegenden Bisonschädel gespenstisch schwach erhellte. Im Licht der glühenden Steine sah der Mann schemenhaft die anderen Teilnehmer der Zeremonie. Er kannte sie alle seit Jahren. Vier davon waren sehr alte Männer mit den markanten Gesichtszügen der Lakota, wettergegerbten, lederartigen Gesichtern. Es gab nur zwei jüngere Männer im Zelt: ihn selbst und einen weißen Mann, der seit langem bei dem Volk lebte. Er selbst nannte sich Tschetan, Falke, während er von den Lakota „Weißer Mann, langes Haar“ genannt wurde. Aber anders als die Indianerfreaks, die mit langen Haaren, Stirnband und Fransenhemden sporadisch für kurze Zeit auf der Reservation auftauchten und ähnlich wie die Völkerkundler Zielscheibe beißenden Spotts und Quell nicht enden wollender Belustigung waren, wurde Weißer Mann, langes Haar von den Leuten akzeptiert. Er hatte eine Lakota-Frau geheiratet und zwei Kinder mit ihr, war in der Familie integriert und half seinen Nachbarn bei Bedarf, wie es alle taten. Er nahm an vielen Zeremonien teil und sprach fließend Lakota. Wenn es um die Verbrechen der USA und die Unterdrückung der Ureinwohner ging, war er radikaler und weniger kompromissbereit als die meisten Indianer. Wahrscheinlich weil er die Weißen besser kannte als die Lakota, dachte der Mann.

      Weißer Mann, langes Haar hatte in Englisch gebetet, vielleicht konnte er so seine Gefühle und Wünsche am besten artikulieren. Der Mann hatte wie die anderen Teilnehmer der Zeremonie in Lakota gebetet, zu Wakan tanka, dem Großen Geist, dem Großen Geheimnis. Er hatte für alle Menschen, die ihm wichtig waren, gebetet, für sein Volk und für alle Wesen, die zweibeinigen, vierbeinigen, geflügelten, für die Pflanzen und die Steine. Mitakuye Oyas‘in, all‘ meine Verwandten…

      Alle hatten ihr Gebet mit der traditionellen Formel begonnen und beendet und waren dann in Kontemplation versunken. Nur der alte Schamane sang für sie alle. Während er spürte, wie der Schweiß seinen Rücken hinabfloss, versank der Mann immer mehr in sich. Um ihn herum war nur das Glühen, der Geruch nach Kräutern, der Gesang, die Geister der Ahnen und die heiße, reinigende Luft in dem kleinen abgeschlossenen Raum der Schwitzhütte. Dies war eins der ältesten und auch heute noch am meisten ausgeführten Rituale seines Volkes. Er fühlte sich verbunden mit seinen Vorfahren. Es war wie in einer Zeit vor über hundert Jahren, als es noch keine Waschitschu, keine Menschen, die einem das Fett in der Suppe wegnahmen, in diesem Land gegeben hatte. Selbst die Mistgabel, mit der sie die draußen im Feuer glühend erhitzten Steine hereingebracht hatten, um sie dann mit Wasser zu übergießen, war außerhalb der Hütte geblieben. Nichts erinnerte hier an die neue Zeit. Im Glühen in der Mitte des Raumes begann sich ein Traum zu bilden, eine Vision. Die Ahnen waren hier bei ihnen. Sie sprachen zu ihm. Er starrte weiter auf den rötlich schimmernden