Ulrich Wißmann

Skalpjagd


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einen schwarzen. Der schwarze Büffel war sein Schutzgeist. Er hatte ihn schon oft in seinen Visionen gesehen. Schon vor mehr als zwanzig Jahren, auf seiner ersten Visionssuche, der Hanblecha, die ihn zum Mann machte, hatte er den schwarzen Büffel gesehen. Der Medizinmann, der ihn auf der Visionssuche angeleitet hatte und dem er danach von seinen Visionen erzählt hatte, sagte daraufhin, dass der schwarze Büffel sein Schutzgeist sein werde, dem er immer wieder begegnen würde und dass dies nun sein Name sein solle: Tatanka sapa, Schwarzer Büffel.

      Der weiße Büffel war heilig. Er verwandelte sich in eine schöne Frau, die ganz in weißes Büffelleder gekleidet war. Ptesan Win, White Buffalo Woman, war die mythische Gesetzgeberin der Lakota-Kultur, die dem Volk vor Menschengedenken die heilige Pfeife und die sieben heiligen Zeremonien gebracht hatte. Der Mann sah jetzt viele Büffel, Bullen, Kühe und Kälber. Er hörte das typische Grunzen der Stiere und meinte, den von den Hufen aufgewirbelten Staub schmecken zu können, er roch den strengen Geruch der Tiere. Er lächelte vor Glück. Und dann hörte er die Stimmen. Es waren die Stimmen der Geister, die zu ihm sprachen. Der Mann verharrte regungslos, um die Worte der Geister zu empfangen: „Tatanka sapa, es ist Dir bestimmt, die Büffel zu schützen. Du tust Recht. Du musst die Büffel beschützen. Es gibt nur noch so wenige von uns. Aber ein Mann wird kommen. Ein großer Krieger aus dem Süden. Er sucht dich und er wird dich finden. Seite an Seite wirst du mit ihm kämpfen und doch wirst du durch ihn sterben. Für den Schutz der Büffel wirst du sterben.“

      Seine Vision begann zu verschwimmen. Er wehrte sich dagegen, kniff die Augen zusammen, wollte sie festhalten, aber etwas aus der äußeren Welt drang auf ihn ein. Jemand schüttelte ihn an den Schultern. Unwillig tauchte er zurück in die andere Welt. Die Decke vor dem Ausgang der Schwitzhütte war zurückgeworfen worden und helles Tageslicht drang in Strahlen in den Dampf im Inneren der Hütte ein. Der Medizinmann schüttelte ihn an den Schultern. Die anderen waren draußen. Er hatte das Ende der Inipi-Zeremonie nicht bemerkt. Entrückt in seiner Vision war er sitzen geblieben, als alle hinausgegangen waren. Obwohl er auch jetzt am liebsten noch in der Hütte geblieben wäre, wusste er, dass er hinausgehen musste, um seinen Körper abzukühlen. Benommen stand er auf und bückte sich durch den Ausgang ins Freie. Draußen umfing ihn gleißender Sonnenschein und obgleich es ein warmer Tag war, schien ihm die klare Luft kalt. Ein wolkenloser blauer Himmel wölbte sich über der Wiese und den Bergkiefern und der Bach, in dem sich die Männer abkühlten und wuschen, rauschte leise zwischen den Felsen. Er hatte eine Vision erhalten. Er wusste, dass er das Richtige tat. Es war ihm immer schon bestimmt, die Büffel zu schützen. Aber er wusste jetzt auch, dass er dafür sterben würde.

       IV

      Einen Tag nach der Besprechung mit Blackhat und Agent Taylor war Frank Begay gegen Mittag in Billings gelandet. Das FBI hatte ihm einen der seltenen Direktflüge von Albuquerque gebucht. Den Rest des vorherigen Tages hatte er bei seiner Frau und seinem Sohn in ihrem Haus in der Nähe von Chinle verbracht und war dann morgens zum Flughafen gefahren. Seine Frau war nicht begeistert gewesen, dass er für längere Zeit weg sein würde. Aber ihre Beziehung äußerte sich nicht mehr in starken Gefühlsausbrüchen oder Gesten, seit ihr älterer Sohn Julian ums Leben gekommen war. Besonders Kathy Begay war seitdem sehr still geworden und hatte sich in ihre eigene Gedankenwelt und Erinnerungen zurückgezogen. Sie hatte ihm keine Szene gemacht, aber er wusste auch so, dass sie nicht billigte, dass er sie so lange allein ließ und sich vor den Karren der Bilagaana, der Weißen, spannen ließ. Sein Sohn hatte nur gefragt, warum er denn für das blöde FBI arbeite, besonders, wo er doch schon so oft Ärger mit dieser Behörde gehabt habe.

      Frank wusste nicht genau, warum er den Auftrag angenommen hatte. Natürlich verdiente er während der Tätigkeit für das FBI ein Vielfaches seines spärlichen Gehaltes als Navaho-Cop. Aber er machte sich nicht viel aus Geld, und im Vergleich zu dem Großteil der Reservatsbewohner war seine Familie bereits eher wohlhabend. Dieser Fall interessierte ihn wirklich.

      Seit Julians Tod hatte er sich immer mehr in seine Arbeit geflüchtet. Dabei hatte er Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Besonders die langen Autofahrten durch die endlosen Halbwüsten und Berglandschaften der Reservation und die langen Wartezeiten bei Observationen oder wenn er auf die Ankunft von Zeugen wartete, bei denen man sich nicht anmelden konnte oder die in Folge der „Indian Time“ später kamen, gab ihm Gelegenheit zum Nachdenken.

      Alles hatte sich verändert nach Julians Tod. Sie waren nicht mehr die glückliche Familie wie vorher. Früher hatte er seine Arbeit mehr als Broterwerb gesehen. Er hatte sie immer schon gewissenhaft erledigt und es war nie ein Nine-to-Five-Job gewesen, aber früher war es nicht seine Lebensaufgabe gewesen. Wie viel Zeit hatten er, Kathy und die beiden Jungen damals zusammen in der Natur verbracht, bei ihrem Sommer-Hogan in den Chuska-Mountains! Sie hatten sich um die Schafe gekümmert, Kathy hatte am Webstuhl gesessen und an ihren wunderschönen Navaho-Decken gearbeitet. Er war mit seinen Söhnen auf die Jagd gegangen oder sie hatten die Wildnis durchstreift. Abends hatten sie am Feuer gesessen, sich unterhalten, Geschichten erzählt und zusammen gelacht. Nicht, dass er Kathy und Daniel jetzt weniger geliebt hätte als früher, aber das Glück und die Sorglosigkeit zwischen ihnen war zerbrochen.

      Franks ältester Sohn Julian war ein wunderbarer Mensch gewesen. Er hatte ein Yataalii werden wollen, ein traditioneller Heiler. Mit seiner freundlichen und direkten Art hatte ihn jeder gemocht. Wie Daniel war er in den Bitter Water Clan seiner Mutter geboren und für das Towering House People seines Vaters.

      Da die Dineh matrilinear waren, gehörte Frank selbst zum Clan seiner verstorbenen Mutter, war aber für den Red Forehead Clan geboren. Vor vier Jahren war Julian von einer Spritztour mit Freunden nicht nach Hause gekommen. Die Jugendlichen waren nach Gallup gefahren, kurz außerhalb der Reservation. Die Stadt war ein gefährliches Pflaster. Besonders am Wochenende waren die Straßen voller betrunkener Indianer. Da auf den umliegenden Reservationen Alkoholverbot herrschte, fuhren viele Trunksüchtige nach Gallup, wo sie sich in den Hinterhöfen der zahlreichen Liquor Stores und seltener in den Bars der Stadt volllaufen ließen. Es war eine elende Szenerie. Schlägereien und Messerstechereien waren an der Tagesordnung.

      In eine solche Auseinandersetzung zwischen betrunkenen Indianern waren die Jugendlichen geraten. Julian trank niemals Alkohol, hatte aber seiner Art gemäß helfend und vermittelnd eingreifen wollen und war dabei von einem unzurechnungsfähig betrunkenem Zuni erstochen worden. Er hatte noch Stunden gelebt. Im örtlichen Krankenhaus, wohin ihn seine Freunde gebracht hatten, beeilte man sich aber nicht unbedingt, den vielen betrunkenen oder verwundeten Ureinwohnern zu helfen und so war er dort langsam verblutet.

      Mit diesem Schicksal hatte sich ein Schatten auf Franks Familie gelegt. Vorher hatten sie ihr Leben in dem Gefühl gelebt, weit weg zu sein von der verwirrenden und brutalen Welt der Weißen, in der Einsamkeit der größten Indianerreservation der USA. Aber plötzlich hatte die Realität in Form der Welt der bilagaana mit ihren Errungenschaften wie dem Alkohol, sie in ihrer kleinen Welt erreicht und alles mit einem Schlag vernichtet. Man konnte sich nicht verstecken vor dieser Realität, nicht einmal im hintersten Winkel der größten Reservation.

      Begay stand auf einem steinigen, mit Silberdisteln und Schlangenkraut bewachsenen Hügel in den Ausläufern der Chuska Mountains und nahm Abschied. Er sah nach Osten. Dort irgendwo lag sie, die Welt der Weißen, die so anders war als die seines Volkes. Als Kind war er nur zweimal aus der Großen Reservation herausgekommen.

      Einmal war er mit seinen Eltern hinüber in die Checkerboard Reservation gefahren, um dort Verwandte zu besuchen. Dieses Gebiet hieß so, weil es nicht durchgehend Reservatsland war, sondern schachbrettartig von Bundesland und Privatbesitz unterbrochen wurde. Schon bei dieser Fahrt, bei der er etwa zwölf Jahre alt gewesen war, viel mehr aber noch bei einer späteren Reise zu Verwandten in die Stadt Phoenix, hatte er einen regelrechten Kulturschock durchlebt.

      Auf der Navaho Reservation war alles mehr oder weniger im Einklang mit der Natur: Straßen verliefen so, wie das Gelände ihren Bau zugelassen hatte, besonders die Gravel Roads, Wege und Pfade liefen kreuz und quer, um Felsen herum, durch Bachläufe und Wälder, verschwammen zeitweise ganz mit der Umgebung. Zäune gab es nur selten. Die meisten Navaho ließen ihr Vieh frei umherschweifen und suchten es bei Bedarf.

      Auch die traditionellen Behausungen, die Hogans, in denen noch viele Menschen lebten, passten sich