Ansgar Thiel

Network


Скачать книгу

an dessen Ende sich ein heller Fleck befand. Wenn man ihn überhaupt sah.

      Der Tunnel war voller Werbung. Simulierte Standbilder, in allen Farben glitzernd, mit riesigen leuchtenden Buchstaben und Piktogrammen, die sich im Dreisekundentakt aufbauten und einem langsam entgegenflogen, gerade so lange sichtbar, dass man ihre Botschaft nicht ignorieren konnte. Beworben wurden vor allem EA-Produkte – Renten- und Lebensversicherungen, ultraweiche Liegesessel, Ratgeber-Broschüren und dergleichen – Dinge, die man nicht brauchte, und mit denen versucht wurde, den Networkern das Bürgergeld aus der Tasche zu ziehen.

      Seit Neuestem wurde sogar für Werbeabwehrsoftware geworben, natürlich ebenfalls von EA, angeboten durch Tochterfirmen. Die Software funktionierte allerdings immer nur maximal einen Monat lang, bevor man das nächste Update kaufen musste. ZZZ hatte eine Weile, als ihn die Werbung so nervte, dass er es nicht mehr auszuhalten glaubte, versucht, eine Werbeabwehrsoftware zu schreiben, die ihn vor diesen elenden Abzockeversuchen schützte.

      Nach mehreren gescheiterten Anläufen hatte er resigniert aufgegeben. Dieser Werbescheiß war wie Unkraut, nicht einmal er kam dem Mist dauerhaft bei, außer er investierte sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Zeitressourcen.

      An seinem Ziel angekommen, musste er für zehn Minuten in einem sterilen Wartesaal mit Pseudo-Ledersesseln und viertklassigen Landschaftsaquarellen an der Wand ausharren – das typische Wartezimmer eines Arztes, wie es sich in den letzten 50 Jahren kaum verändert hatte. Der einzige Unterschied war die im Vergleich zur Realität etwas grobkörnigere Auflösung dessen, was man sah. Alles wirkte, als sei man ganz leicht weitsichtig und habe keine Brille auf.

      So typisch wie die Praxis war der Arzt. Mitte 50, grau melierte Haare, gebräunte Haut, strahlendweiße Zähne, den obligatorischen weißen Kittel offen, eine viereckige silberfarbene Lesebrille auf der Nasenspitze, über deren oberen Rand er wohlwollend und distinguiert zugleich Blickkontakt aufnahm – arztmäßig, wie man es sich nicht besser wünschen konnte – der Doktor, dem die Männer und Frauen vertrauten.

      Wohin es seine Blicke zog, war klar. Wie erwartet: ein distinguierter virtueller Titten-Grabscher. Dazu prollige Anzüglichkeiten und Anmach-Gelaber. Herrje. Und jetzt sollte er sich auch noch freimachen. Er musste gleich kotzen. Schluss mit den Präliminarien. ZZZ hatte genug. Messer raus – ein Zug, ein Stich – Auftrag erledigt.

      Das Sterben im Netz faszinierte ihn immer wieder. Es gab keine große Show. Die Netzperson, die starb, fror ein – und löste sich einfach langsam auf: Die Konturen verschwammen, die Figur wurde durchsichtig, nahm noch einmal kurz die Rauchgestalt aus der Abflughalle an – und war weg, einfach weg. Die Banalität dieses Vorgangs machte die Sache in gewisser Hinsicht nur noch unheimlicher, suggerierte Bedeutungs- und Sinnlosigkeit.

      Was das Ganze sollte, warum Netzidentitäten überhaupt sterben konnten, war im Grunde keinem klar. »Offenhalten von Möglichkeiten« lautete die offizielle Begründung, das heißt, die Eliminierung nicht-zertifizierter Nutzer zu ermöglichen, auf die man nicht direkt zugreifen konnte – Hacker also, solche wie ihn.

      Diese Erklärung war eigentlich genauso dumm wie unangemessen. Das Hackerproblem wurde dadurch nicht gelöst – vorausgesetzt, die unerlaubte Nutzung einer Identität wurde überhaupt erkannt, was eher selten der Fall war – denn man konnte sich ja jederzeit erneut mit einer anderen Identität Zutritt verschaffen, sogar, wie in seinem Fall, mit einer nur für diesen Zweck programmierten.

      Er schüttelte seinen virtuellen Kopf, als ob er die Gedanken verscheuchen wollte. Die Zeit drängte, er musste zurück, seine Identität wechseln, um den zweiten Networker zu eliminieren.

      *

      Zwei Stunden später wachte er auf, mit dem Oberkörper auf der Schreibtischplatte liegend, den schweren Kopf in die Ellenbeuge seines linken Arms gebettet.

      Auf dem Ärmel seines Seidenhemdes hatte sich ein Speichelfleck gebildet. Er hatte einen schalen Geschmack im Mund, seine Brust fühlte sich dort, wo das Unterhemd schweißdurchnässt am Körper klebte, unangenehm klamm an.

      Er richtete sich auf, drückte seinen Rücken durch und neigte seinen Kopf ruckartig nach links. Seine Halswirbel knackten laut. Die Nackenmuskulatur war vollkommen verkrampft. Er versuchte gar nicht erst, sich einzureden, dass es von der schiefen Schlaflage herrührte. PVDS, Post-Virtuelles-Dissonanz-Syndrom, nannten das die Netzpsychologen, was einfach gesagt eine psychosomatische Reaktion auf eine hochgradige Dissonanz zwischen »realem Gewissen« – gewissermaßen dem unbewussten Über-Ich, das auch im Netz nicht ausgeschaltet werden konnte – und einer im Netz begangenen Aktion beschrieb.

      Das Syndrom trat vor allem bei hochmoralisch erzogenen Personen auf, die im Netz Dinge ausprobierten, die sie sich im normalen Leben niemals erlauben, sogar aufs Energischste ablehnen würden – häufige Klienten der Netzpsychologen waren beispielsweise zölibatär lebende Angehörige verschiedenster Religionen, die im Netz sexuellen Ausschweifungen frönten, oder engagierte Lehrer von Eliteschulen, die ihren Frust in virtuellen Schüler-Prügelexzessen zu bewältigen suchten.

      Bei den meisten äußerte sich PVDS in einem unmittelbar nach dem Auschecken auftretenden Erschöpfungszustand, anfallsartigem Schlaf und starken, glücklicherweise reversiblen Schmerzzuständen.

      ZZZ erinnerte sich dumpf an die Eliminierung des zweiten Networkers, des Entertainers, den er vor dem Auschecken noch schnell erledigt hatte. Der Typ hatte es echt verdient, schoss es ihm durch den Kopf, so einer hätte gar nicht erst die Zulassung bekommen dürfen, bei derart schalen, lustlosen Witzen.

      Sein Timer läutete. Er musste ins Bett, er hatte nur noch vier Stunden, bis er sich für seinen offiziellen Job frisch machen musste.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAgAAAQABAAD/2wBDAAMCAgMCAgMDAwMEAwMEBQgFBQQEBQoHBwYIDAoMDAsK CwsNDhIQDQ4RDgsLEBYQERMUFRUVDA8XGBYUGBIUFRT/2wBDAQMEBAUEBQkFBQkUDQsNFBQUFBQU FBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBT/wAARCAE3AMgDASIA AhEBAxEB/8QAHwAAAQUBAQEBAQEAAAAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtRAAAgEDAwIEAwUFBAQA AAF9AQIDAAQRBRIhMUEGE1FhByJxFDKBkaEII0KxwRVS0fAkM2JyggkKFhcYGRolJicoKSo0NTY3 ODk6Q0RFRkdISUpTVFVWV1hZWmNkZWZnaGlqc3R1dnd4eXqDhIWGh4iJipKTlJWWl5iZmqKjpKWm p6ipqrKztLW2t7i5usLDxMXGx8jJytLT1NXW19jZ2uHi4+Tl5ufo6erx8vP09fb3+Pn6/8QAHwEA AwEBAQEBAQEBAQAAAAAAAAECAwQFBgcICQoL/8QAtREAAgECBAQDBAcFBAQAAQJ3AAECAxEEBSEx BhJBUQdhcRMiMoEIFEKRobHBCSMzUvAVYnLRChYkNOEl8RcYGRomJygpKjU2Nzg5OkNERUZHSElK U1RVVldYWVpjZGVmZ2hpanN0dXZ3eHl6goOEhYaHiImKkpOUlZaXmJmaoqOkpaanqKmqsrO0tba3 uLm6wsPExcbHyMnK0tPU1dbX2Nna4uPk5ebn6Onq8vP09fb3+Pn6/9oADAMBAAIRAxEAPwD80ix3 thjz2pN5Pc4+tD4LMM9/60hPX9Ks3F3k8gkj3pQWxySM9aTGfevQfhV8IpfiZDq0rX0unLDsstP8 u0Nx9v1WZJHtbEYZSpmEEwDgNtIUEfMDTsB58XJ7mlBbI5P50DawBByDyCK9tvf2Z7m28b+ANIh1 5b3SfE76TbXOqwWZzpV1fWsFyIJYt/JEVwjo24LKFfaQ0cqx1YNDxFS2BgnNLk45J/Or3hfSz4m1 3R9M+12mmf2jcw232y/k8u3t/MdV8yV8fKi7ss2OACa7b4x/DXTPhfqiaRFceKotYjdluLPxP4bX SWMY4WaLFzKXRiDjIHYgtniuULnne88nOKFLZ+8SOxrr/AvgnTte0vWNf8QardaL4Z0iS2t7m4sL Nby6kuLjzTDDFE0kakstvOxZnCqsZ+8xVGp+P/Ddh4X177Lpkmsy2TxLKja9pQ065BJIKmISyggE YDB8H0U8DNAYELHdjJx061rWhZgOfrXT/CL4VN8T7jVIjqEmmGJYbOwK2vni+1S4Zls7HO5RGZTH KfMJIAiY4NcvaZT5WBUjgqwwR7HvXo0mmZTNKO28xcj8qX7Kpk2g89/avWX+EXhp9U03wxa+L9Wk 8ZX2h2usi1GgRmyjE9il5se4F5vRER/mlMOFClioHI8kvL2PSLQADfO33V9fc13qVO3M9kc+uxHq eoJpkSxx4M7jgenua5rzGkYlmLOTnJNWLRoLvUoTqVxNFayyr9ont4hNKiZwzKhZAxA6KWUHgZHW vSfiJ8NvB/hHw34Y1DRvFOu61ea/p41O3tr/AECGyjjg+03FuQ8i3sp3hrZiAFIIYfMDxXlzm68v LodMUoI81