Uwe Klausner

Operation Werwolf - Fememord


Скачать книгу

auch belästigt?«

      Die Concierge wehrte lächelnd ab. »Ach woher, der doch nicht! Dafür war er zu verklemmt. Und auch zu feige, wenn Sie es genau wissen wollen. Einen auf Casanova zu machen, das hätte er sich nie und nimmer getraut.«

      Im Begriff, etwas zu erwidern, behielt Sydow die Replik für sich.

      Ganz anders Erna Mentzel, die mit fortschreitender Dauer immer redseliger wurde: »Hängt wahrscheinlich mit seiner Prothese zusammen, im Grunde tat er mir ja leid. War halt ein Eigenbrötler, was soll’s. Aber so ist das nun mal, leider Gottes. Da arbeitest du als Ingenieur bei Siemens, musst nicht zum Barras, weil es ohne dich nicht geht, brauchst deinen Kopf nicht hinzuhalten und scheffelst Kohle bis zum Abwinken – und dann so etwas.«

      Raffiniert.

      Auf die Idee, der Werwolf könne sich eine falsche Identität zugelegt haben, wäre Sydow nicht gekommen.

      Und dies mit beträchtlichem Erfolg, wie der Rapport der wachsamen Hausverwalterin bewies. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Frau Mentzel.«

      »Er hat seine Hand in eine Stanzmaschine gekriegt, haben Sie das nicht gewusst?«

      »Nein, woher sollte ich«, gab Sydow scheinbar desinteressiert zurück und ließ den Blick durch das mit allen Schikanen eingerichtete Studierzimmer schweifen, bei dessen Anblick er sich in das Allerheiligste seines alten Herrn versetzt fühlte. »Leider sind wir bei der Kripo nicht allwissend, sonst ginge uns die Arbeit leichter von der Hand.«

      Wie sich die Bilder doch glichen. Hier wie da, sowohl im Arbeitszimmer seines Vaters als auch in dem mit Stilmöbeln ausstaffierten Refugium eines Justizbeamten im gehobenen Dienst, herrschte eine geradezu penible Ordnung. Um dem Benutzer den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, war an nichts gespart worden, schon gar nicht am erlesenen Mobiliar. Allein der Schreibtisch aus Mahagoni musste ein Vermögen verschlungen haben, von den Persern und Tapisserien nicht zu reden. »So gut kenne ich den Herrn ja auch nicht – noch nicht.«

      »Wie gewonnen, so zerronnen – mehr fällt mir dazu nicht ein.«

      Sydow stutzte.

      Und musste die Frage, die ihm auf der Zunge lag, erst gar nicht stellen. »So eine Wohnung wie hier ist nicht billig, machen Sie sich bloß keine falschen Vorstellungen. Und noch etwas, falls Sie es nicht gemerkt haben: In unserem Viertel geht es anders als im Wedding zu. Nämlich anständig, falls Sie verstehen, was ich damit zum Ausdruck bringen will. Schauen Sie doch mal kurz auf die Namensschilder, und dann erübrigen sich weitere Fragen. Im Parterre wohnt ein Kardiologe, gegenüber ein Prokurist mit seiner Frau, im ersten Stock ein Privatgelehrter und ein Schalterbeamter bei der Dresdner Bank, beide verheiratet, wie es sich gehört, hier oben ein lediger Justizoberrat und in der Wohnung vis-à-vis ein Juwelier samt dreiköpfiger Familie.«

      »Und was will uns die Aufzählung von Hochkarätern sagen?«

      »Dass diejenigen, die hier wohnen, nicht darben müssen«, versetzte die Hüterin der Moral in harschem Ton, reckte das Kinn und ergänzte: »Und dass ich nicht verstehen kann, wie jemand wie Jakubeit, wir reden hier von einem gelernten Ingenieur, so tief sinken kann.«

      »Wenn wir gerade dabei sind, nur so aus Interesse: Wie viel würde mich die Wohnung kosten?«

      Die Verwalterin lächelte spitz. »Ich weiß ja nicht, was Sie auf der hohen Kante haben, Herr Kommissar, aber …«

      »Viel zu wenig, reden wir nicht darüber.«

      »Aber um Ihre Frage zu beantworten: Mit 320 Mark sind Sie dabei. Kaltmiete, versteht sich.«

      Sydow pfiff überrascht durch die Zähne. »Ordentlich Holz, so schön wollte ich es haben.«

      »Qualität hat eben ihren Preis. 102 Quadratmeter, Flur mit 13 Metern Länge, im Ganzen vier Zimmer, drei davon zur Straße, dazu Küche, Bad und Speisekammer. Telefonanschluss inbegriffen. Wenn man das nötige Kleingeld hat, um es sich gemütlich zu machen – warum nicht!«

      »Was bei Herrn Jakubeit der Fall gewesen zu sein scheint. Zumindest zeitweise.«

      »Sagen wir mal so, er hatte es in der Hand. Keine Familie, guter Beruf, Geld wie Heu. Mit einem Wort, der Mann hatte ausgesorgt.«

      »Sollte man meinen.« Mit Blick auf den Schreibsekretär, ein wahres Kleinod aus der Belle Époque, hielt Sydow abwartend inne. »Ganz schön teuer, so ein Ding, kann das sein?«

      »Kann man wohl sagen.«

      »Bleiben wir lieber beim Thema. Sie sagten, mit Jakubeit sei es bergab gegangen. Wissen Sie auch, wieso?«

      »Bedaure, da bin ich überfragt.« Die Concierge zuckte hilflos mit den Achseln. »Ich weiß zwar nicht genau, wie er das Kunststück fertiggebracht hat, aber am Schluss war er nicht mal mehr imstande, die Miete zu bezahlen.«

      »Woraufhin ihm von den Eigentümern gekündigt wurde?«

      »Genau. Und zwar fristlos.«

      »Wann genau war das?«

      »Vor zwei, drei Monaten.«

      »Und wie lange hat er hier gewohnt?«

      »So um die eineinhalb Jahre. Seit Oktober 1939.« Die Concierge gab ein abfälliges Schniefen von sich. »Wie gewonnen, so zerronnen, was soll ich dazu sagen. Ich weiß ja nicht, wie Sie darüber denken, Herr Kommissar, aber um mit Geld umzugehen, bedarf es einer gewissen Reife.«

      »Wem sagen Sie das, Frau Mentzel!«

      »Je mehr davon, desto besser. Ich kann es nur immer wieder sagen, irgendwie war mir der Mann suspekt.«

      »Verstehe.« Tief in Gedanken, ließ Sydow den Zeigefinger über die Schreibtischkante gleiten, betrachtete die blitzsaubere Kuppe und rührte sich nicht von der Stelle. Den Angaben von Mira zufolge war Jakubeit Mitte September vergangenen Jahres wegen sittenwidrigen Verhaltens aus der SS ausgeschlossen worden. Inwieweit die Vorwürfe berechtigt waren und ob es sich tatsächlich um einen Fall von sexueller Belästigung handelte, spielte im aktuellen Kontext keine Rolle. Wichtig war einstweilen nur das genaue Datum, nämlich der 17. September 1940. Genau drei Tage später, am darauffolgenden Freitag, hatte der Werwolf seinen ersten Mord begangen, der Auftakt zu einer Reihe von Verbrechen, die dafür sorgten, dass er zum Schrecken aller Berlinerinnen mutierte.

      Ein Absturz, wie er tiefer und krasser nicht hätte vonstattengehen können.

      Insofern hatte seine Gesprächspartnerin Recht.

      Nur leider eben nicht ganz, aber das konnte das alte Waschweib nicht wissen. Denn was für das berufliche Fiasko galt, das traf offenbar auch auf die pekuniäre Seite der Medaille zu. Wenn überhaupt, davon war auszugehen, hatte der Werwolf nur über bescheidene Ressourcen verfügt. Die, so Sydow mit seiner Mutmaßung richtiglag, innerhalb kürzester Zeit erschöpft gewesen waren. Da war es nur folgerichtig, dass der vermeintliche Ingenieur nicht mehr imstande war, die Miete für eine Wohnung zu bezahlen, von der Normalsterbliche wie ein Kommissar der Kriminalinspektion Berlin nur träumen konnten.

      Und genau da lag der Hund begraben. Vorausgesetzt, Jakubeit hatte nicht viel auf der hohen Kante, dann erhob sich die Frage, wie er imstande gewesen war, die Summe von sage und schreibe 320 Reichsmark aufzutreiben. In Sachen Löhne und Gehälter kannte sich Sydow zwar nicht so genau aus und konnte das Gehalt eines Unterscharführers der SS infolgedessen nur schätzen. Sicher war jedoch, dass der Werwolf nach knapp sieben Jahren Mitgliedschaft im SD der SS auf maximal 200 RM pro Monat kam. Da die Miete für die besagte Etagenwohnung jedoch mehr als das Eineinhalbfache verschlang und Jakubeit keineswegs aus dem Vollen schöpfen konnte, stellte sich die Frage, wie er es zuwege brachte, auf vergleichsweise großem Fuße zu leben.

      Da war etwas im Busch.

      Fragte sich nur, was.

      »Sind wir jetzt endlich fertig, Herr Kommissar? Wenn es nichts mehr zu bereden gibt, würde ich jetzt lieber gehen.«

      »Einen Moment noch, Frau Mentzel. Ich bin gleich so weit.« Sydow nickte anerkennend in die Runde. Wenn man sich hier