Bilder, unter ihnen ein Porträt Friedrichs des Großen in Uniform, hatten mit Sicherheit ein Vermögen gekostet. Von der Einrichtung, mit einer Suite im Kempinski durchaus zu vergleichen, ganz zu schweigen. »Donnerwetter, die Bude kann sich wirklich sehen lassen. Alles vom Feinsten, ich bin beeindruckt.«
»Ich auch«, versetzte die Verwalterin kühl, wie ein Zinnsoldat am Türpfosten postiert, von wo aus sie Sydow mit ihrem Adlerblick beobachtete. »Und wie. Fragt sich nur, woher das nötige Kleingeld kam.«
Im Begriff, einen Blick in das dekorative Bücherregal zu werfen, blickte Sydow verdutzt über die Schulter. »Sagten Sie nicht, der Mieter sei Jurist?«
»Das schon, aber den meine ich auch nicht!«, gab Erna Mentzel im Stil eines Feldwebels zurück, wenig erbaut, dass Sydow die Ruhe weg zu haben schien. »Justizoberrat Henschel weiß mit Geld umzugehen, da können Sie sagen, was Sie wollen. Und was das Mobiliar betrifft, es stammt von seinem Vorgänger, für den war das Beste gerade gut genug. Alles eine Frage des Geldes, aber daran hat es ja wohl dann doch gehapert. Ich weiß zwar nicht, wie Jakubeit das geschafft hat, aber am Ende war sein Nachfolger bereit, die Einrichtung zu übernehmen. Für einen Apfel und ein Ei, wie ich aus berufenem Munde weiß. Sie müssen wissen, Jakubeit hat aus dem letzten Loch gepfiffen, sowohl finanziell als auch anderweitig.«
»Alkohol?«
»Das mit Sicherheit.« Die Concierge deutete ein Nicken an. »So kann’s kommen, Herr Kommissar. Wenn man sein Leben nicht im Griff hat, dann holt es einen unwiderruflich ein. Vor allem, wenn man über seine Verhältnisse lebt. Dann kann man einpacken, so ist das nun leider mal.«
Der Kommissar zuckte bedauernd die Achseln. Da hatte er gehofft, dem Werwolf auf die Pelle zu rücken, und dann dies. »Und Sie haben wirklich keine Ahnung, wo er jetzt steckt?«, richtete er aufs Neue das Wort an seine Begleiterin, die nichts lieber getan hätte, als die Wohnung schleunigst zu verlassen. »Jakubeit kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!«
»Und selbst wenn, ich weine ihm keine Träne nach«, machte die Concierge aus ihrer Antipathie erneut keinen Hehl, wandte sich demonstrativ zum Gehen und sagte: »Ich weiß zwar nicht, was der komische Kauz auf dem Kerbholz hat, aber was mich betrifft, ich bin froh, dass er sich nicht mehr blicken lässt.«
»Ich weniger«, gab Sydow missgelaunt zurück, folgte der Verwalterin auf dem Fuß und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. »Aber danke für Ihre Mühe, Sie haben mir sehr ge…«
»Darf man fragen, was Sie hier zu suchen haben?«, fuhr ihm ein Mann in mittleren Jahren über den Mund, auf dem Treppenabsatz postiert, um seinen Schlüsselbund hervorzukramen. »Raus mit der Sprache, oder ich rufe die Polizei!«
»Nicht nötig, Herr Justizoberrat«, redete Sydow dem Monokelträger mit dem blank polierten Schädel zu, geradezu eine Karikatur des pflichtbewussten Staatsbürgers, wie es ihn in Preußen seit jeher gegeben hatte. Dann zückte er seine Dienstmarke und ergänzte: »Von Sydow, Kriminalinspektion Berlin. Wenn Sie erlauben, hätte ich ein paar Fragen. Der Name Jakubeit ist Ihnen ja wohl bekannt, oder?«
»Hören Sie, ich bin in Eile, und wenn es …«
»Sie werden lachen, ich auch!«, bereitete Sydow den Ausflüchten ein abruptes Ende, deutete auf die Wohnungstür und fügte in unmissverständlichem Tonfall hinzu: »Und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir beide uns unter vier Augen unterhalten könnten. Ich bin mir sicher, Sie haben nichts zu verbergen – oder etwa doch?«
3
Berlin-Lichtenberg, Betriebsbahnhof Rummelsburg
14:30 Uhr
Entweder er griff zur Waffe, oder die Sache würde komplett aus dem Ruder laufen.
Jakubeit hatte die Wahl.
Das Wichtigste war, die Ruhe zu behalten. Auch wenn es ihm noch so sehr gegen den Strich ging. Und sich die Wut, die seine Galle zum Brodeln brachte, nicht anmerken zu lassen. Wer aus der Haut fuhr, schadete sich selbst am meisten.
Und spielte seinen Gegnern in die Hände.
Genau darin bestand das Problem. Wenn die Emotionen in ihm hochkochten, war seine Selbstbeherrschung dahin. Irgendwie verständlich, wenn man sich die Situation auch nur einen Moment vor Augen hielt. Denn was sich sein Komplize da geleistet hatte, das ging über seinen Horizont.
Und gegen den Strich ging es ihm auch.
Einfach so hier aufzutauchen, aus einer Laune heraus, ohne Kontaktaufnahme.
Und dann noch am helllichten Tag.
Das sieht diesem Tollpatsch ähnlich.
Jakubeit bebte vor Zorn. Er hatte geredet und geredet und geredet. Er hatte davor gewarnt, die Zügel schleifen zu lassen. Hatte mit Engelszungen plädiert, die Kripo nicht zu unterschätzen.
Umsonst.
Die Katastrophe war perfekt, so gut wie jedenfalls. Entgegen sämtlichen Warnungen, nur ja kein Risiko einzugehen, hatte Wischulke sie samt und sonders ignoriert, wider jegliche Vernunft, aus einer Sektlaune heraus.
Einfach so, ohne ersichtlichen Grund.
Von daher gab es für ihn zwei Möglichkeiten. Entweder er ging an seinen Spind, schnappte sich seine Walther PPK und erledigte das Problem, bevor er Gefahr lief, der Polizei vor die schussbereite Flinte zu laufen. Bisher war es ihm zwar gelungen, sie nach Belieben an der Nase herumzuführen, doch war er klug genug, sein Blatt tunlichst nicht zu überreizen. Auf einen Toten mehr oder weniger kam es im Endeffekt nicht an, ob er nun Müller, Mayer oder Wischulke hieß. Dennoch war etwas in ihm, das zur Vorsicht riet, allen sonstigen Gewohnheiten zum Trotz.
Man konnte es als innere Stimme, Instinkt oder was auch immer bezeichnen, die Botschaft lautete, Ruhe zu bewahren. Ausgerechnet jetzt hoch zu pokern und dabei das Risiko einzugehen, dass er seine Pläne gänzlich über den Haufen werfen musste, im Moment kam das nicht infrage. Zuerst kamen er und die geplanten Maßnahmen, und danach kam überhaupt nichts mehr. Waren sie geglückt, würde er 100.000 RM kassieren, Berlin auf Nimmerwiedersehen Lebewohl sagen und sich einen Spaß daraus machen, die SS bis auf die Knochen zu blamieren. Die Dokumente, in deren Besitz er sich befand, sie reichten aus, um die Welt in helle Aufregung zu versetzen. Zwei, drei Artikel, falls möglich, auf der Vorderseite der »New York Times« oder der »Washington Post«, und ein Aufschrei der Empörung würde um den Globus gehen. Die Amerikaner würden Gift und Galle spucken, allen voran ihr profilsüchtiger Präsident. Und das zu Recht, so schwer er sich damit tat, dies zuzugeben. Einfach mal so über 60.000 Polen im Akkordtempo umzubringen, da gehörte schon was dazu. Etwas Vergleichbares hatte es noch nicht gegeben, innerhalb weniger Tage schon gar nicht.
Aber macht nichts, anscheinend waren die Nazis ganz wild darauf, sich in Rekordzeit ihr eigenes Grab zu schaufeln. Denn was Himmler sich von der Aktion erhofft hatte, nämlich dass die Weltöffentlichkeit so gut wie nichts davon mitbekäme, das würde sich nicht bewerkstelligen lassen. Selbst wenn es ihm nicht gelänge, sich mithilfe der Geheimdossiers aus dem Staub zu machen, das »Unternehmen Tannenberg« – so der damalige Deckname – würde publik werden. Den Russen war es mit Katyn genauso gegangen, und wenn alles so lief, wie er sich das vorstellte, hatten Himmler und Konsorten ein Problem. Die Amerikaner, das wusste beinahe jedes Kind, warteten nur darauf, in den Krieg einzutreten, und wie die Dinge lagen, bekamen sie ihn frei Haus.
Und zwar mit seiner Hilfe – und mit dem allergrößten Vergnügen.
Doch zuvor würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als sich seinen unbotmäßigen Adlatus vorzuknöpfen. Als ihm eine Lektion zu erteilen, die er so schnell nicht vergessen würde. Noch so ein idiotischer Einfall, und seine Pläne würden sich endgültig in Luft auflösen.
Das galt es zu verhindern, mit aller Macht und um jeden Preis.
»Na warte, mein Freund, dir werde ich was erzählen«, murmelte Jakubeit erbost, trat ans Fenster des langgestreckten Schaltraums, der sich im Obergeschoss des Stellwerks Vnk befand, und nahm sein Fernglas zur Hand, um bessere Sicht zu haben. »Das ist gegen die Abmachungen, tu bitte nicht so, als ob du es nicht wüsstest. Wie kann