Uwe Klausner

Operation Werwolf - Fememord


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wir also das Le…«

      »Hier wird nicht gequalmt, ist das klar?«, platzte Marquardt ohne Vorankündigung der Kragen, was die Patienten erschrocken aufhorchen ließ, darunter auch mehrere Uniformierte, die sich im Wartebereich der Ambulanz zusammendrängten. Etliche davon reckten indigniert die Hälse in die Luft, doch davon ließ sie sich nicht beeindrucken. »Was glauben Sie denn, wer Sie sind?«

      »Die Frage sollten Sie sich lieber selbst stellen«, gab Lola mit amüsiertem Stirnrunzeln zurück, bekleidet mit einem eng anliegenden Kostüm, das aus plissiertem schwarzem Seidenstoff bestand. »Noch haben Sie die Chance dazu, ich will mal nicht so sein.«

      »Raus hier, sonst rufe ich die Polizei!«

      »Wetten, dass Sie das nicht tun werden, Herr Doktor?«, gab Tante Lola in doppelbödiger Manier zurück, trat bis auf Armlänge an den Internisten heran und blies ihm den Rauch ins wutlodernde Gesicht. »Sie lügen zwar, dass sich die Balken biegen, aber so dumm, sich selbst ans Messer zu liefern, sind ja wohl nicht mal Sie.«

      »Raus hier, sonst …«, spie Marquardt zornbebend hervor und machte Anstalten, die Mutter Courage des Milieus zu attackieren.

      »Sonst was?«, gab Erna Pommerenke süffisant lächelnd zurück und gab ihrem Leibwächter einen Wink, der sich beeilte, den Beobachtungsposten am Eingang zu verlassen. Der vierschrötige Kleiderschrank, ein ehemaliger Geldeintreiber aus dem Wedding, dem Marquardt höchstens bis zur Schulter reichte, nahm ihn mit verschränkten Armen ins Visier. »Darf ich vorstellen: Muskel-Max, anno 19 Berliner Meister im Weltergewicht. So – und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir beiden Turteltauben uns unter vier Augen unterhalten könnten. Oder wollen Sie, dass die Leute mitkriegen, was Sie ausgefressen haben?«

      »Zuerst sagen Sie mir, wer Sie sind. Und dann würde ich gern wissen, wie Ihr Vorgesetzter heißt. Ich habe Beziehungen, über die würden Sie nur staunen – sogar zur Kripo, bis in die oberen Gefilde!«

      Tante Lola, auf der ein Dutzend neugierige Augenpaare ruhte, nahm ihre Zigarette aus dem Mund, stieß den Rauch in die abgestandene Luft und ließ es sich nicht nehmen, ihrem Leibwächter einen Stoß in die Rippen zu versetzen. »Haste dit jehört, Maxe, dit Jungchen will uns drohen! Dit hat die Welt noch nich jesehn, ick lache mir gleich tot!«

      *

      »Sie behaupten also, die Gestapo habe Sie unter Druck gesetzt?«, zog Lola am Ende des halbstündigen Gesprächs Bilanz, wechselte einen Blick mit ihrem Begleiter und fragte sich, wie ihr Freund Sydow das Gehörte kommentieren würde. Vor knapp zwei Tagen, während der Razzia im »Kakadu«, hatte sie den Kommissar zum letzten Mal gesehen. Seitdem war eine Menge passiert, in der Mehrzahl Dinge, die dazu beitrugen, ihren Groll gegen die Nazis ins Extrem zu treiben. In weniger als 24 Stunden waren vier ihrer treuesten Gefolgsleute verschwunden, Gerüchten zufolge kaltblütig liquidiert. Von wem und warum, konnte sie sich denken. Alle vier, also auch Rudi Szabo und sein langjähriges Pendant, die im »Kakadu« zum Tanz aufspielten, waren im Zuge einer Razzia verhaftet worden und ohne eine Spur zu hinterlassen verschwunden. Das Gleiche traf auf Hantel-Emil zu, Faktotum und Mädchen für alles. Bijou, im »Kakadu« als Animierdame tätig, bildete den Schluss.

      Insofern das überhaupt schon alles gewesen war.

      Vier Tote innerhalb kürzester Zeit. Seit Erna denken konnte, hatte es das noch nie gegeben, auch nicht in den wilden Zwanzigern, wo nicht lange gefackelt wurde, wenn es darum ging, alte Rechnungen zu begleichen.

      Vier Tote, alles enge Weggefährten, um nicht zu sagen Freunde.

      Das würde sie nicht auf sich sitzen lassen.

      Selbst auf die Gefahr, von der Gestapo an die Wand gestellt zu werden. »Dieser Greifer von der Gestapo, der versucht hat, Sie zu erpressen …«

      »Was ist mit ihm?«

      »Sind Sie imstande, die Kanaille zu beschreiben?«

      »Selbstverständlich«, antwortete Marquardt gedehnt, am Fenster postiert, von wo aus sein Blick auf den Park des Klinikums fiel, bevölkert mit zahlreichen Patienten, die Besuch von Verwandten oder Freunden erhielten. Das Hospital genoss einen exzellenten Ruf, hatte jedoch kaum noch Ärzte, um den Betrieb zumindest halbwegs am Laufen zu halten. Hier wie auch andernorts forderte der Krieg seinen Tribut, und Marquardt konnte von Glück sagen, dass seine Abkommandierung an die Front auf sich warten ließ. Allein die Vorstellung, auch ihn könne es eines Tages treffen, ließ den Internisten bis ins Tiefinnerste erschaudern. Zum einen, weil er nicht einsah, an der Ostfront den Heldentod zu sterben, die Rolle sollten gefälligst andere übernehmen. Und zum andern, da er alles daransetzte, Karriere zu machen, zur Not auch mit Ellbogen, wie unter Akademikern mittlerweile üblich. »Aber natürlich kann ich ihn beschreiben, so einen wie den vergisst man nicht.«

      »Dunkler Anzug mit Hut, mittelgroß, Himmler-Brille, Schmiss, Reptilienblick. Die Hasenscharte nicht zu vergessen. Kommt Ihnen bekannt vor, kann das sein?«

      »Woher …«

      Tante Lola lächelte schief, die mittlerweile dritte Juno in Gebrauch, deren Stummel aus dem rechten Mundwinkel ragte. »Woher ich das weiß, wollten Sie gerade fragen? Was soll ich sagen, man macht eben so seine Erfahrungen. Ich bin zwar nicht übermäßig scharf darauf, mit der Gestapo auf intensive Tuchfühlung zu gehen, aber manchmal lässt es sich eben nicht vermeiden. Wie aufdringlich die Jungs aus der Prinz-Albrecht-Straße sind, wissen Sie ja am besten, oder?«

      »Reden Sie endlich. Was wollen Sie von mir?«

      Die Königin des Milieus atmete tief durch, nahm ihre Fluppe aus dem Mund und gesellte sich zu ihrem Gesprächspartner, der es nach wie vor nicht für nötig hielt, sie auch nur eines Blickes zu würdigen. »Eins möchte ich wirklich wissen, Herr Doktor Marquardt.«

      »Und das wäre?«

      Tante Lola zögerte die Antwort hinaus. »Zugegeben, jeder von uns hat so seine Schwächen, je nach Charakter und Temperament. Der eine im Dutzend, der andere so gut wie keine.«

      »Was Sie nicht sagen.«

      »Also auch Sie.«

      Tief in Gedanken, schreckte Marquard unvermittelt auf. »Sie etwa nicht?«

      »Mit anderen Worten, ich frage mich, wie die Gestapo es geschafft hat, einen Mann wie Sie zu rekrutieren.«

      »Purer Zufall.«

      »Eben nicht. Eins können Sie mir glauben, ich weiß genau, wie die ehrenwerte Gesellschaft tickt. Die Herren überlassen nichts dem Zufall, mehr möchte ich dazu nicht sagen. Auch bei Ihnen nicht, darauf können Sie Gift nehmen.« Auf der Suche nach einem Aschenbecher, drehte sich die Kiez-Königin um, schlenderte zu Marquards Schreibtisch und ließ die Fluppe in das dafür vorgesehene Kristallschälchen fallen. »Also reden Sie schon, womit wurden Sie erpresst?«

      »Ach, fahren Sie doch zur Hölle!«

      »Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, Herr Doktor – wir Deutschen sind längst dort.«

      »Ich warne Sie: Noch so eine Bemerkung, und …«

      »Und was?« Wieder zurück an ihrem Platz vor dem Fenster, würdigte Tante Lola den Mann zu ihrer Linken keines Blickes. »Bringen wir es auf den Punkt, junger Mann. Soweit ich weiß, gibt es drei Sorten von Lastern, derentwegen ein Mann wie Sie in Schwierigkeiten geraten kann: Weibergeschichten, Glücksspiel oder Zocken an der Börse. Da Letzteres derzeit nicht möglich ist, bleiben zwei Varianten übrig. Hätte ich einen Tipp abzugeben – ganz spontan, denn wer kann denn schon in einen Menschen hineinblicken –, dann würde ich mich für die weitaus häufigste Verfehlung entscheiden.«

      »Ich bin glücklich verheiratet, was fällt Ihnen eigentlich ein!«

      »Na, so glücklich nun auch wieder nicht, sonst hätten Sie nicht Ihr Geld verzockt.« Ein vielsagendes Lächeln im Gesicht, winkte Lola lässig ab. »Stammkunde auf der Trabrennbahn, kann das sein?«

      »Wenn Sie alles so genau wissen, warum fragen Sie dann überhaupt?«, giftete der Internist zurück und dachte offenbar nicht daran, mit offenen Karten zu spielen. »Scheren Sie sich gefälligst um