Mia C. Brunner

Tod zum Viehscheid


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Haufen aus aufgetürmten Heuballen liegen blieb. Erst dann erkannte sie ihn.

      »Ach, du bist es«, flüsterte sie und sah sich verstohlen um. »Bist du allein?«

      Simon zog fragend eine Augenbraue hoch, lehnte sich mit der rechten Schulter an den dicken Balken, der das Stalldach stützte, und überkreuzte lässig die Beine. Eine Antwort blieb er ihr schuldig. Stattdessen wiederholte er seine Frage. »Was machst du hier? Hat dein Onkel nicht ausdrücklich verboten, dass ihr Kinder euch im Stall herumtreibt bei Nacht?«

      Ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich. Seine Worte kränkten sie. Sie war kein Kind mehr. In ein paar Monaten wurde sie 18 Jahre alt. »Und was machst du hier?«, fuhr sie ihn scharf an. »Bei Nacht arbeiten in einem leeren Stall wirst du wohl kaum. Hast du nicht morgen die Frühschicht im Kuhstall? Alte Männer wie du brauchen ihren Schlaf, also geh besser ins Bett.«

      Sein schallendes Lachen hallte durch den Stall. Als er verstummte, sah er sie durchdringend an und flüsterte: »Nur wenn du mitkommst.« Er stieß sich von dem Balken ab, blieb aber daneben stehen und schob die Hände in die Taschen seiner Jeans. Langsam senkte er seinen Kopf, ohne sie eine einzige Sekunde aus den Augen zu lassen. Dann biss er sich auf die Unterlippe und lächelte.

      Laura schluckte.

      Seit Simon vor einem Jahr als Stallknecht auf den Hof gekommen war, schwärmte sie für den jungen Mann. Wenn er im Sommer mit freiem Oberkörper vor der alten Pumpe stand und sich zur Abkühlung das Wasser über seine nackte Brust laufen ließ, beobachtete sie ihn oft heimlich durch das geöffnete Fenster ihres Zimmers. Sie wusste, dass sie nicht die Einzige war, die den 26-jährigen Stallburschen anhimmelte. Er hatte viele Verehrerinnen, auf dem Hof und in der Umgebung. Die Mädchen vom Hof hatte er jedoch noch nie beachtet oder mehr als nötig mit ihnen gesprochen. Bisher hatte Laura sich eingeredet, es würde an der Standpredigt liegen, die Onkel Karl dem jungen Mann bei dessen Einstellung gehalten hatte. »Dua deine dappige Bluatsgriffel weg vo meine Föhla«, waren Onkel Karls Worte gewesen. Wenn er von einer Liaison mit einem der Mädchen erfahre, hatte er gedroht, jage er ihn nicht nur vom Hof, sondern prügle ihn auch noch windelweich.

      »Ich mag nicht verarscht werden, Simon.« Laura verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn wütend an. »Ich werde nicht eine deiner zahlreichen Eroberungen werden. Du triffst dich hier im Stall nämlich ständig mit irgendwelchen Tussis«, warf sie ihm vor und ging herausfordernd ein paar Schritte auf ihn zu. »Du warst es, der das Feuer hier gelegt hat, oder? Ich hoffe sehr für dich, dass das nur ein Versehen war.« Sie zeigte auf die Pferdebox mit der schwarz verkohlten Wand. »Onkel Karl würde dich sofort feuern, wenn er davon erfährt.«

      »Bist du deshalb hier?«, fragte Simon belustigt. »Bist du im Stall, um zu kontrollieren, ob ich mich mit jemandem treffe? Du bist eifersüchtig«, sagte er ihr auf den Kopf zu, kam näher und blieb nur wenige Zentimeter vor ihr stehen. »Ein Feuer habe ich hier weder gelegt noch gelöscht. Ich gehe nun schlafen«, flüsterte er, beugte sich zu ihr hinunter und sah ihr tief in die Augen. »Mein Angebot steht. Wenn du magst, dann begleite mich auf mein Zimmer.«

      Als Laura sich blitzschnell umdrehte und fluchtartig den Stall verließ, zuckte er bedauernd mit den Schultern und seufzte. »Schade.«

      *

      »Forster? Grothe? In mein Büro. Sofort.« Der Kopf von Dienststellenleiter Götze, der eben noch zu sehen gewesen war, verschwand in der geöffneten Tür.

      Jessica sah Florian fragend an, doch dieser zuckte nur unwissend mit den Schultern.

      »Keine Ahnung, was der will«, sagte er verwundert. »So viel zu spät sind wir heute gar nicht.«

      Die Nacht war kurz gewesen, denn bei dem einen Mal, wo der kleine Tobias sich übergeben hatte, war es nicht geblieben. Jessica hatte sein Bett in dieser Nacht ganze drei Mal neu beziehen müssen, während Florian den kranken Jungen beruhigend auf seinem Arm durch das Zimmer getragen und ihm erklärt hatte, er solle den Eimer benutzen, wenn ihm wieder schlecht werde. Leider ohne Erfolg.

      In den frühen Morgenstunden hatte auch Svenja über Übelkeit geklagt. Da zurzeit Ferien waren, war das nicht weiter tragisch. Doch nach der schlaflosen Nacht war es Florian und Jessica schwergefallen, aus dem Bett zu kommen, um zur Arbeit zu fahren.

      »Hat das mit der Abholung des Dienstwagens geklappt?«, fragte Jessica ihren Chef, als sie wenig später sein Büro betrat und sich ungefragt auf den linken Stuhl vor seinem Schreibtisch setzte.

      »Ähm, ja. Alles gut«, sagte Götze abwesend, deutete auf den zweiten Stuhl und forderte Florian auf, sich ebenfalls zu setzen.

      »Was gibt’s denn?«, wollte Florian wissen.

      Götze lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und faltete die Hände über seinem Bauch. »Ihre jeweiligen Fälle sind noch nicht aufgeklärt, hab ich recht?«

      Florian sah kurz zu Jessica hinüber und nickte dann. »Ja, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit. Sobald mir die Rechtsmedizin mitteilt, dass es sich bei dem Tod des jungen Mannes auf der Alpe um einen tragischen Unfall handelt, ist der Fall abgeschlossen. Ist schon wieder etwas passiert?« Er vermutete einen neuen ungeklärten Todesfall und glaubte, Götze suche nach einem Kriminalbeamten, der den Fall schnellstmöglich übernehmen konnte.

      »Nein, darum geht es nicht«, bemerkte Götze und sah zu Jessica. »Es geht um Ihren Fall, Frau Grothe. Ich habe mir erlaubt, die Unterlagen zum Mordfall Michelsbach aus Ihrem Büro holen zu lassen.« Er legte seine Hände behutsam auf den grünen Pappordner vor ihm auf seinem Schreibtisch. Dann griff er danach und reichte ihn an Florian Forster. »Ich habe beschlossen, dass Sie den Fall übernehmen, Herr Forster. Sie geben dafür Ihren eigenen Fall an Hauptkommissarin Grothe ab.«

      »Ach ja?«, fuhr Jessica aufgebracht dazwischen. »Etwa, weil der Alphütten-Fall so gut wie abgeschlossen ist? Trauen Sie mir die Aufklärung eines Mordes nicht zu, Herr Götze? Vielleicht, weil Hauptkommissar Kern gerade nicht da ist? Ich protestiere aufs Schärfste gegen diese Entscheidung und bitte Sie, mir meinen Fall nicht wegzunehmen. Ich kann den auch problemlos alleine aufklären.«

      »Tut mir außerordentlich leid, Frau Grothe, aber meine Entscheidung steht fest. Sie bekommen den Fall von Forster und er Ihren.« Götze stand auf und lief um seinen Schreibtisch herum. »Die Akte zu Ihrem Fall ist übrigens ganz ausgezeichnet angelegt. Ordentlich, sehr ausführlich und trotzdem übersichtlich und gut strukturiert. Daran sollten Sie sich mal ein Beispiel nehmen, Forster.« Götze lachte etwas zu laut. Weil niemand in sein Lachen einstimmte, verstummte er verlegen, ging zur Tür und öffnete sie. »Nun aber schnell wieder an die Arbeit. Morde klären sich nicht von allein auf.«

      »Hast du eine Ahnung, was das soll?« Florian stieg neben Jessica die Stufen zum ersten Stock des Polizeipräsidiums hinauf und hatte Mühe, mit seiner Freundin Schritt zu halten. »Eine Erklärung wäre schön gewesen, findest du nicht?«

      »So?« Jessica blieb stehen und fuhr zu ihm herum. »Es hat dich gerade nicht interessiert, warum Götze die Entscheidung getroffen hat. Also brauchst du jetzt auch nicht so zu tun.«

      Florian Forster hob beschwichtigend beide Hände und trat vorsorglich einen Schritt zurück. Dass er in der einen Hand den grünen Ordner hielt, den Götze ihm gegeben hatte, war in dieser Situation nicht sehr hilfreich. Jessica starrte den Pappordner mit finsterem Gesicht an, und er zuckte bedauernd mit den Schultern. »Wieso bist du auf mich sauer?«, fragte er leicht verärgert. »Ich habe nichts getan.«

      »Genau das ist das Problem. Du tust nie etwas!«, fauchte sie ihn an, drehte sich auf dem Absatz um und stieg weiter die Treppe hinauf.

      Florian lachte abfällig. »Hätte ich etwa auch ›aufs Schärfste protestieren‹ sollen?«, äffte er sie nach. Dann seufzte er. »Entschuldige bitte. Das war unpassend.«

      Jessica blieb stehen, drehte sich aber nicht zu ihm um. »Schick mir später bitte Berthold mit den Unterlagen zum Alphütten-Mord in mein Büro. Dann kann ich mich in meinen neuen Fall einarbeiten. Falls das überhaupt noch nötig ist«, sagte sie und ließ Florian stehen.

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