„Auf der alten Eisenbahnbrücke. Wurde nun zu einem Übergang. Denke, du hast noch etwas Kraft übrig?“
„Wozu?“
Er begann zu grinsen, und seine Hand fuhr langsam nach oben. Dann ging er auf den Pfeiler zu, schlang seine Arme und Beine um ihn und begann, sich die Schräge entlang langsam nach oben zu ziehen. Ich lachte genervt auf:
„Komm runter! Los, lass uns weiterfahren.“
Er reagierte nicht. Ich konnte sein regelmäßiges Schnaufen hören und wie seine Beine gegen das Metall schabten. Ich fluchte leise, klammerte mich ebenfalls an den Pfeiler und folgte ihm. Es war unmöglich einzuschätzen, wie weit der Pfeiler nach oben reichen würde, also konzentrierte ich mich auf das kühlende Metall vor mir und orientierte mich an meinen Atemzügen. Nach einer Weile baumelte die Hand meines Vaters vor meinem rechten Auge.
„Du hast es gleich geschafft. Nimm meine Hand, ich zieh dich hoch.“
Kurz darauf lag ich prustend und schnaufend vor ihm auf den futuristischen Metallstreben der Brücke. Er lächelte noch immer, dann streckte er seine Arme aus und balancierte langsam das glatte Metall entlang. Ich folgte ihm mit kleineren, unsicheren Schritten. Als er den nächsten Pfeiler erreicht hatte, hielt er an und setzte sich. Als ich zu ihm stieß, klopfte er nur dreimal anerkennend auf den dumpf klirrenden Stahl und starrte weiter auf die unter uns glucksende Donau. Ich setzte mich, immer noch heftig schnaufend, neben ihn.
„Schön hier, oder?“
Ich nickte, denn er hatte Recht. Selbst jetzt in der Dunkelheit war der Ausblick unglaublich. Die Schatten vereinzelter Bäume drängten sich gegen das milde Schwarz der Nacht, unter uns das gleichmäßige Rauschen des Flusses und ein warmer Ostwind, der den Schweiß von unserer Stirn fegte. In der Entfernung warfen Autofahrer vereinzelt skeptische Blicke auf unseren VW, der immer noch mit eingeschalteter Beleuchtung wie ein langsam verlöschendes Glühwürmchen am Straßenrand stand. Die Worte meines Vaters sirrten durch die Frühlingsluft, schienen mehr an ihn selbst als an mich gerichtet:
„Weißt du, was das Trügerische an einem Bild oder einem Film ist? … sie zeigen uns nur, was wir sehen wollen und nicht das, was wir sehen sollten. Jedes Meer, jeder See und jeder Fluss, die in einem Film friedlich ihre Wellen schlagen oder vor sich hinfließen, könnten in Wirklichkeit gerade ein Schiff zum Kentern bringen, einen Schwimmer verschlingen, der sich zu weit vom Ufer entfernt hat, oder dein Haus zusammen mit deinem ganzen Hab und Gut verschlucken. Natürlich gilt dies auch andersrum. Allerdings habe ich das noch nicht erlebt …“
Er seufzte lange und ließ sich dann nach hinten gleiten, sodass seine Beine von einem Ende des Brückenbogens baumelten und sein Kopf von dem anderen. „... dennoch, die Sterne sind heute wirklich schön.“ Dann schwieg er.
Wenig später beschlossen wir zurückzukehren. Unser Auto stand noch an der gleichen Stelle, die Beleuchtung war allerdings ausgefallen. Der Versuch, den Wagen zu starten, scheiterte dementsprechend kläglich. Nach einem weiteren vergeblichen Versuch warf mir mein Vater einen kurzen Seitenblick zu: „Hast du Empfang?“
Ich verneinte, und er nickte kurz ab.
„Dann werden wir wohl auf die ersten Passanten oder Vorbeifahrenden warten müssen.“
Wir beschlossen, uns für die Passanten zu entscheiden und kehrten auf den Übergang zurück.
„Diesmal aber unten, oder?“, fragte ich ihn wie beiläufig auf unserem Weg dorthin. Die Frage war dennoch ernst gemeint, er lachte aber nur laut auf und zog mich an seine Schulter.
„Wenn es dir so lieber ist. Zigarette?“
Ich nahm dankend an, und so standen wir rücklings zum Übergang rauchend in der aufgehenden Sonne und starrten auf das Vorbeitreibende unter uns. Am Horizont sahen wir die stählerne Silhouette eines Schiffes, das wie eine Illusion aus dem Dunkelbraun herauszusteigen schien, auf uns zuhalten. Mein Vater drehte sich mit einem verschmitzten Lächeln zu mir um:
„Habe ich dir eigentlich schon mal erzählt, wie Herzog die Affen für die letzte Szene bekommen hat? …“
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SIMONE BAUER
Rama dama!
0991/3615777. Eine Nummer, die ich vermutlich nie im Leben wieder vergessen werde. Sie hat sich eingebrannt, ebenso wie der Klingelton der Telefone. Nie stehen sie still. Zuerst war es nur ein Anschluss gewesen, doch inzwischen haben wir zehn dauerschrillende Geräte und über die Hotline sind wir an der Technischen Hochschule Deggendorf ständig erreichbar. Für viele ist es ein Fluch, rund um die Uhr erreichbar zu sein, sei es auf dem Handy oder in den sozialen Netzwerken, doch in Situationen wie der momentanen ist die moderne Technik ein wahrer Segen. Wie haben die Menschen zu Notzeiten das wohl früher geschafft?
Während ich mir selbst diese Frage stelle, kratze ich mich kurz am Kopf. Vermutlich hätte die Feuerwehr massive Probleme gehabt, war sie doch eh schon rund um die Uhr im Einsatz. Sie wäre auf sich alleine gestellt gewesen, denn auch ihre Notrufleitung wäre vielleicht einfach verstummt. Doch zum Glück haben wir diese Mittel und ich konnte die Feuerwehr einfach darauf ansprechen, wie ich mich denn an den Rettungseinsätzen beteiligen könne.
Ich musste mich nicht in Sicherheit bringen, nur ein paar Sachen in der Werkstatt meines studentischen Vereins in Fischerdorf hochstellen. Die Dämme würden brechen, das Hochwasser war nicht zu stoppen, so viel wurde mir dabei klar. Als das erledigt war, konnte ich dann auch nicht herumstehen und nichts tun. So half ich beim Auffüllen der Sandsäcke, doch das reichte mir immer noch nicht. Ich fühlte mich nutzlos und die Atmosphäre vor Ort wühlte mich auf. Wie eigentlich jeder, der sich mit Problemen trägt, landete ich im Internet. Beim Herumgoogeln fiel mir die Seite der Passauer Studenten auf, die via Facebook eine Hilfsaktion für ihre Stadt koordinierten. Warum machten wir das nicht an meiner Hochschule? Und schon war die Idee für all das hier geboren. Über eine Hotline können sich freiwillige Helfer melden und werden dann an Bewohner unserer Stadt, denen unter die Arme gegriffen werden muss, weitervermittelt. Daneben läuft das Meiste über das Internet: Auf unserer Pinnwand bei Facebook melden sich Menschen, die Kleidung übrig haben, oder Menschen, die Schaufeln suchen. Ich lasse meinen Blick schweifen und gähne, aber ich bin nicht der Einzige, der müde ist. Gerade habe ich nachgezählt: Ich bestreite meine fünfundneunzigste Arbeitsstunde in dieser Woche, der ersten Woche unserer Aktion. Es ist für heute bald Zeit, nach Hause zu gehen. Bei dieser einen Woche wird es wohl nicht bleiben.
Mein Rücken tut weh. Als Student der Wirtschaftsinformatik bin ich es gewohnt, einige Zeit vorm Computer zu verbringen. Doch dieser Zustand ist anders, sonst kommuniziere ich ja auch nicht mit beinahe zehntausend Facebook-Fans. Ich darf nicht auf das Brennen meiner Augen, das Schmerzen meines Nackens und schon gar nicht auf die Hitze im Raum achten. Das hier ist so viel wichtiger als ich, der damals dreiundzwanzigjährige Dominik Fischer.
Seit Tagen sind wir damit beschäftigt, unter dem Titel Deggendorf räumt auf die freiwilligen Helfer zu koordinieren: Wir schicken sie zu ihren Einsatzorten. Wer benötigt eine helfende Hand beim Ausräumen der Wohnung? Wir wissen es. Überall auf den Konferenztischen rollen Wasserflaschen und Stifte herum. Wir sind insgesamt dreißig Studierende, die planen und organisieren. Wir haben offizielle Bereitschaftszeiten, doch sind wir eigentlich im Dauereinsatz. Sonst studieren wir miteinander. Nun vermitteln wir gut sechstausend Helfer an konkrete Einsatzorte.
Und es hat eigentlich nur einen halben Tag lang gedauert, die offizielle Anlaufstelle für hilfsbereite Hände von überall her zu werden.
Sicher, es war ein Vorteil, dass ich sehr früh meinen Kumpel Beppo eingespannt hatte. Wo ich zu schüchtern bin, spricht er ganz locker mit der Hochschulleitung und regionalen Politikern. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck brauchte er nur zu sagen: „Wir sind kein Kasperlverein!“ Und