aus dem sie bei der Einnahme Heidelbergs im Jahr 1622 nur erlöst wurde, um nach Paris zu wandern. Bei der zweimaligen Einnahme dieser Stadt hat man sie, wie so vieles andere, zurückzufordern vergessen.
Jener ermordete Freiherr, zeit seines Lebens ein eifriger Protestant, hatte für die Freiheit der Niederlande gefochten und war mit knapper Not der Bluthochzeit entronnen. Dennoch soll ihn sein unverwester Leichnam bei den abergläubischen Einwohnern der rechten Rheinseite in den Geruch der Heiligkeit gebracht haben. Sie wußten sich erst einzelne Finger zu verschaffen und entführten endlich den ganzen Leichnam als eine Reliquie, welche die ketzerischen Sennwalder nicht genug zu schätzen wüßten. Diese aber, um das Gegenteil zu beweisen, erhoben Klage, und die natürliche Mumie mußte ihnen ausgeliefert werden.
Diesem freiherrlichen Haus Hohensax gehörte auch jener Ritter an, von welchem Gustav Schwab in der Ballade »Die seltene Kur« erzählt, daß er in der Schlacht durch den Hieb seines Gegners eines Gliedes beraubt wurde, das er gern entbehrte – seines Kropfs.
Dem Rheintal gegenüber, im heutigen Vorarlberg, blühte um dieselbe Zeit wie jene Liedersänger Rudolf von Hohenems, Dienstmann zu Montfort, keiner der besten, aber auch der schlechteste nicht unter den erzählenden Dichtern jener Periode. Es erging ihm, wie es heutzutage auch wohl einem Dichter ergeht, der seinen Reichtum lieber in Hellern und Pfennigen als in blanken Goldstücken besitzen mag. Oder wollte er zuviel Gewinn von seiner Meisterschaft ziehen? Das ist gewiß, die Leichtigkeit, mit der er dichtete, verführte ihn, ohne Ziel und Ende zu dichten. Wir besitzen von ihm außer einer gereimten »Weltchronik« in zahllosen Versen noch einen »Alexander«, eine »Geschichte Wilhelms von Orleans« und die weitläufige Legende von »Barlaam und Josaphat«. Überdies hat er noch vieles andere von beträchtlichem Umfang, z. B. einen »Trojanischen Krieg«, vermutlich auch einen »Schwanenritter« gedichtet. Bei solcher Fruchtbarkeit wird es niemand befremden, daß er die Gediegenheit jenes Dichters nicht erreichte, dem wir den »Parzival« und das Bruchstück vom »Titurel« verdanken; aber wieweit er hinter ihr blieb, so ist er doch leichter und für denjenigen, der nicht viel mehr als geistreiche Unterhaltung sucht, angenehmer zu lesen als »Wolfram«. Wackernagel nennt ihn einen der vorzüglichsten erzählenden Dichter, während ihn Gervinus vielleicht zu tief herabsetzt.
Wie Hohensax durch die sogenannte »Manessische Sammlung«, die auf diesen Namen keinen Anspruch hat und besser die »Hohensaxische« hieße, so ist Hohenems durch zwei Handschriften des »Nibelungenliedes« berühmt, die hohenems-münchische und die hohenems-laßbergische, von welchen letztere, obgleich sie die jüngste Überarbeitung des Textes enthält, doch als die älteste Handschrift gilt, während die erstere offenbar den ältesten Text in vielleicht jüngerer Handschrift überliefert. Nimmt man die dritte, einst dem großen Schweizer Geschichtsschreiber Ägidius Tschudi gehörige Handschrift dazu, welche in dem benachbarten St. Gallen gezeigt wird, so konnten dies und der aus dem Rheintal nach dem Arlberg streichende Nibelgau in der rätischen Mark wohl verführen, hier die Heimat des Liedes zu suchen. Dennoch hätte man der Versuchung widerstehen sollen.
Appenzell
Steigt man im Rheintal das Gebirge hinauf, so gelangt man in das Hirtenland Appenzell, das jetzt als Enklave des Kantons St. Gallen, zu dem auch das Rheintal gehört, selbst einen Kanton der Schweiz bildet. Von dem Flecken Appenzell am Sitterfluß, wo der Abt von St. Gallen sich eine Zelle erbaut hatte, empfing das Ländchen den Namen. Aber gegen ihren Hirten, den Abt, mußten die Hirten Appenzells sich die Freiheit erfechten. Der Abt rief Österreich zu Hilfe, dessen Scharen aus Altstätten im Rheintal den Berg an dem Stoß, wo jetzt die Kapelle steht, hinaufrückten. Da trat Rudolf von Werdenberg, der Sohn des Grafenhauses, mit dem der vorige Abschnitt begann, zu den Appenzellern. Unter seiner Anführung schlugen sie die Schlacht am Stoß, die unentschieden blieb, bis den Appenzellern eine unerwartete Kriegsschar zu Hilfe eilte. Österreich floh; aber die Helfer waren die Weiber und Töchter Appenzells in Hirtenhemden gewesen.
St. Gallen
Da wir uns einmal im Kanton St. Gallen befinden, so dürfen wir nach dem Plan unseres Werks die Legende des heiligen Gallus und die Anfänge der berühmten Abtei nicht übergehen, die auf die geistige Entwicklung Deutschlands von so großem Einfluß gewesen sind.
Schon unter der Römerherrschaft soll ein britischer Königssohn namens Lucius in diesen Gegenden das Evangelium verkündet haben. Noch trägt der Luziensteig da, wo er zwischen Graubünden und der Grafschaft Vaduz die Rätischen Alpen überschritt, um den Wildnissen des Hochlands zu predigen, seinen Namen. Auch in Helvetien hatte das Christentum Eingang gefunden; aber nach der Völkerwanderung mögen die ältesten christlichen Gemeinden durch das Übergewicht der heidnischen Volksmenge und die Fahrlässigkeit der Priester wieder entartet sein. Der heilige Gallus und seine Gefährten, Mangold und Siegbert, waren dazu ausersehen, dem christlichen Glauben in seiner Reinheit die Herrschaft in Alemannien zu sichern. Aus fernen Landen, von der nördlichen Küste Irlands, wo der Vater des heiligen Gallus König der damals dort wohnenden Skoten gewesen sein soll, hatte sie der Glaubenseifer im Gefolge des heiligen Columban in die Schweizer Alpen geführt. Doch nicht unmittelbar; sie hatten erst im Kloster zu Bangor in Wales verweilt, hierauf im Wasgau bei Lützel ein Kloster gebaut. Als die fränkische Königin Brunhilde sie von hier vertrieb, kamen sie nach Schaffhausen, Zürich und Bregenz am Bodensee. Überall zerstörten sie die Götzenbilder und lehrten den wahren, einigen Gott. Hierauf trennte sich Siegbert von den Gefährten und kam in die Wildnis Hohenradens. Da, wo sich Vorder-und Mittelrhein vereinigen, stiftete er das schon erwähnte Kloster Disentis (lateinisch Desertum). Placidus, ein reicher Mann dieses Landes, schenkte dazu Güter. Aber Viktor, der Präses Rätiens, gedachte durch deren Einziehung die Kammer zu bereichern. Placidus widersetzte sich und warf dem Präses außer diesem Unrecht noch manch andere Ungerechtigkeit vor. Dafür starb er den Märtyrertod. Aber die Strafe des Himmels ereilte den Wüterich: Viktor ertrank, und seine Söhne gaben zur Sühne des Unrechts nicht nur das entzogene Gut zurück, sondern noch überdies großen Reichtum.
Unterdessen hatte Gallus mit seinen Freunden unweit des Bodensees an den Flüßchen Nigrach und Steinach Hütten gebaut und als Einsiedler die Bekehrung der Umwohnenden begonnen. Die Legende berichtet, Graf Talto, Kämmerer des königlichen Hofs, habe ihnen diese Gegend geschenkt. Nach einer alten Chronik war es der alemannische Herzog Gunzo, der in Überlingen, dem alten Iburinga, wohnte, der dem heiligen Einsiedler Gallus zum Dank dafür, daß er seine einzige Tochter von einer schweren Krankheit geheilt hatte, jenen Wald zum Geschenk machte. Wie dem auch sei – aus jener ersten Niederlassung ging im Verlauf der Zeiten die reiche und mächtige Abtei St. Gallen hervor, deren Abt mehr Einkünfte hatte als der Bischof von Chur.
Das erste, was von hier aus für deutsche Sprache und Literatur gewirkt wurde, geschah von dem heiligen Gallus selbst durch Anlegung eines lateinisch-deutschen Vokabulars, das er als Irländer, bis er sich bessere Kunde des Deutschen erworben hatte, bei seinem Bekehrungsgeschäft wohl nötig hatte. In diesem Wörterverzeichnis, das in der eigenen Handschrift des alemannischen Apostels zu St. Gallen gezeigt wird, ist uns, wenn wir von dem Gotischen absehen, das älteste deutsche Sprachdenkmal erhalten, weshalb Wilhelm Wackernagels »Deutsches Lesebuch« und Heinrich Künzels drei Bücher deutscher Prosa die Reihe ihrer Sprachproben mit dem Wörterbuch des heiligen Gallus eröffnen. Es mag sein, daß die alemannische Sprache ihm nicht geläufig, daß er der lateinischen noch viel unkundiger war; dennoch bleibt ihm der Ruhm, der erste gewesen zu sein, der die wilden deutschen Laute an die Fesseln der Schrift gewöhnte. Da es interessant ist, zu sehen, welche Gestalt deutsche Worte im siebenten Jahrhundert hatten, so heben wir einige zur Probe heraus. An dem häufigen us für um in lateinischen Worten wird man bestätigt finden, was über des Verfassers Urkunde des Lateinischen gesagt wurde:
Surculus = zui (Zweig), folia = laup, folius = plat, curvus = crump, curvatus = gapogan, palatius = phalanze, templus = huus za petonna, tectus = gadacha, stabulus = stal, cupiculus = camera, lectus