Karl Simrock

Der Rhein: Das malerische und romantische Rheinland


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der jetzige König der Franzosen, während seiner Verbannung unter einem angenommenen Namen die französische Sprache und die Anfangsgründe der Mathematik lehrte, wie er sich selbst, von seinen Schülern umgeben, in einem Gemälde darstellen ließ, das im Palais Royal gezeigt wird.

      Chur

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      Schon oberhalb von Chur (Curia, Coire), zu Disentis, wo der Mittelrhein sich im Vorderrhein verliert, haben wir eine Abtei angetroffen, von deren Stiftung noch späterhin die Rede sein wird. Es war also nicht streng richtig, wenn Kaiser Maximilian Chur das oberste Stift in der langen Pfaffengasse, dem Rheintal, nannte. Allein er scheint dabei an einfache Klöster und Abteien, selbst wenn sie »gefürstete« hießen, nicht gedacht zu haben, wie er denn auch das mächtige St. Gallen überging. Er sprach nur von Bistümern, und so verstanden ist das gewählte Beiwort viel unbedenklicher, als wenn er Konstanz das größte, Basel das lustigste, Straßburg das edelste, Speyer das andächtigste, Worms das ärmste, Mainz das würdigste und Köln das reichste nannte. Aber mit wie vielen berühmten und weit herrschenden Stiftern verdiente das Rheintal einst den Namen der Pfaffengasse, die doch noch keine Bistümer waren! Und selbst unter diesen ist Trier vergessen, vermutlich weil sein Sitz nicht am Rhein lag. Um das Beiwort wäre Kaiser Max nicht verlegen gewesen: er hätte es das älteste genannt.

      Erst unterhalb Chur, dieser Hauptstadt Graubündens, nimmt der Rhein, durch die aus dem Schanfigger Tal heranströmende Plessur verstärkt, einige Schiffbarkeit an. Den folgenden Zufluß, den er dem alten Bad Pfäfers gegenüber durch die Gebirgswasser des Landquart empfängt, erwähne ich nur, um eines unserer liebenswürdigsten Dichter zu gedenken, des trefflichen J. Gaudenz von Salis-Seewis, der in Malans wohnt, einem kleinen Flecken bei der Mündung des Landquart. Nicht weit davon liegen auch sein Geburtsort Seewis, von dem seine Linie heißt, und Schloß Marschlins, das Erbe seiner Väter.

      Grafschaft Vaduz

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      Die folgenden Gegenden hat ein anderer deutscher Dichter beschrieben, und keiner der unberühmtesten. Nachdem nämlich der Rhein Graubünden, seine Geburtsstätte, verlassen hat, bespült er links, schon von Pfäfers abwärts, St. Gallen, einen Kanton der Schweiz, rechts eine zum politischen Verband Deutschlands gehörige freie Grafschaft, deren Namen die Überschrift angibt. Sie bildet einen für sich bestehenden Staat, den man mit Unrecht als Fürstentum Liechtenstein aufführt, bloß weil er von dem Fürsten von Liechtenstein beherrscht wird, der diesen Namen von anderen mediatisierten Besitzungen empfing. Als Besitzer der freien Grafschaft Vaduz, die das Glück hat, selbst auf Spezialkarten unbemerkt zu bleiben, ist der Fürst von Liechtenstein souveränes Mitglied des Deutschen Bundes so gut als der König von Preußen und der Kaiser von Österreich und hat wie diese Sitz und Stimme im Plenum der Bundesversammlung.

      Der Leser hat sich unterdes besonnen, welcher deutsche Dichter wohl die Grafschaft Vaduz beschrieben habe, und tippt jetzt auf unseren zu früh verstorbenen Wilhelm Hauff, dessen Roman »Lichtenstein« aber in anderen Gegenden spielt. So leicht war auch unser Rätsel nicht zu lösen: der Dichter, den wir meinen, hat dieses Ländchen beschrieben, ohne es zu nennen, und wenn wir seinen Namen hersetzen – er heißt Goethe –, so bleibt dem Leser immer noch zu raten, in welchem seiner Werke sich diese Beschreibung finde. Wir müssen ihm zu Hilfe kommen, denn obgleich wir ihm zutrauen, daß er seinen Goethe aufmerksam gelesen habe, so riete er doch vielleicht auf »Hermann und Dorothea«, auf die »Wahlverwandtschaften« oder ein anderes naturschilderndes Werk des Dichters und verfiele eher auf die Novelle »Wer ist der Verräter?« als auf die namenlose, welche das 15. Bändchen der Ausgabe letzter Hand enthält. Mit dieser noch nicht genug gewürdigten Erfindung hat sich der Dichter viele Jahre lang getragen. Die Idee dazu faßte er bald nach Vollendung seines »Hermann«, wie aus dem Briefwechsel mit Schiller hervorgeht. Er zweifelte aber, ob sich der Gegenstand mehr zur epischen oder zur lyrischen Behandlung eigne, ja einmal äußert er die Besorgnis, das eigentlich Interessante des Sujets möchte sich zuletzt gar in eine Ballade verflüchtigen. Schiller riet ihm zu gereimter, strophenweiser Behandlung. Später enthält der Briefwechsel kein Wort mehr über diese Angelegenheit. Vermutlich hat Goethe erst nach dem Tode seines Freundes den alten Plan wieder hervorgesucht, der sich ihm jetzt zur Novelle gestaltete. Diese spät gezeitigte Frucht des Goetheschen Lebensbaums ist eine der köstlichsten und süßesten. Mehr darüber zu sagen ist hier nicht der Ort; wenn wir aber den Beweis liefern sollen, daß Vaduz der gewählte Schauplatz sei, so müssen wir den Leser ersuchen, einen Blick in die Novelle zu werfen. Wir sehen einen Fürsten und eine Fürstin in einem Schloß residieren, das in einiger Höhe über dem Ort, jedoch tief unter den hohen Ruinen der alten Stammburg liegt. Der Ort wird zwar eine Stadt genannt, da doch Vaduz nicht viel mehr als ein Flecken ist; aber es fragt sich, ob der Dichter nicht Ursache hatte, in diesem einen Punkt, der vielleicht befremdet hätte, von der Wirklichkeit abzuweichen. Alles Übrige stimmt überein. »Der Weg«, heißt es ferner bei dem Lustritt nach der Stammburg, »führte zuerst am Fluß hinan, an einem zwar noch schmalen, nur leichte Kähne tragenden Wasser, das aber nach und nach als größter Strom seinen Namen behalten und ferne Länder belegen sollte.« Wer sieht nicht, daß der Rhein gemeint ist? Sigmaringen, das einzige Fürstentum, das die Donau durchfließt, hat keine Stammburg wie die geschilderte. Wenn aber der Rhein gemeint ist, so liegt kein anderes Fürstentum an dem noch schmalen, nur leichte Kähne tragenden Fluß.

      Was ist aber hiermit für den Dichter oder für die Gegend gewonnen? Für den Dichter nichts, als daß wir sehen, wie er eine schöne, durch Natur und Geschichte verherrlichte Gegend in sich aufzunehmen und verschönert wieder hervorzuzaubern verstand. Für die Gegend viel, denn sie kann nur gewinnen, wenn wir sie mit den Augen des Dichters betrachten. Goethes eigentümliche Gabe zu landschaftlichen Schilderungen ist schon öfter bemerkt worden, ein geistreicher Franzose schreibt ihm deshalb ein panoramisches Talent zu; ein Ausdruck, an dem der Dichter seine Freude nicht verbergen konnte. Aber nirgends tritt dieses Talent außer in »Hermann und Dorothea« glänzender hervor als in der fraglichen Novelle. Wie anschaulich wird uns z. B. die alte Stammburg geschildert. Doch wir widerstehen der Versuchung, die Stelle mitzuteilen.

      Toggenburg

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      Der Deutsche nimmt es übel, wenn man von Goethe spricht, ohne auf Schiller zu kommen. Allerdings wäre dazu die schicklichste Gelegenheit bei der Hand, indem das der Grafschaft Vaduz gegenüberliegende Toggenburger Land wohl laut genug an ihn mahnt. In der Tat kann ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß hier, und nicht am Niederrhein bei Rolandseck, wie die meisten Reisebücher fälschlich melden, die Szene von Schillers »Ritter Toggenburg« zu suchen ist. Nicht in Nonnenwerth, sondern im Kloster Fischingen bei Toggenburg weilte die Liebliche, in deren Nähe sich der Toggenburger nicht eine Burg, wie Rolandseck gewesen ist, sondern eine Hütte baute. Mit dem Namen des Toggenburgers, nicht Rolands, des Paladins, nennt der Dichter seinen Helden, ja er läßt über dessen Heimat keinen Zweifel übrig in den Worten:

      Schickt zu seinen Mannen allen

       In dem Lande Schweiz.

      Dazu kommt noch, daß sich in Toggenburg eine Begebenheit zugetragen hat, welche die Ballade veranlaßt haben könnte. Wir meinen die wunderbare Geschichte der heiligen Itha, von der es ein sehr verbreitetes deutsches Volksbuch gibt und die in allen katholischen Ländern als Legende gang und gäbe ist. Sie hat eine sehr nahe Verwandtschaft mit der von der heiligen Genoveva, erinnert aber zugleich an Rossinis »Gazza ladra«. Kürzer als mit den Worten Johannes von Müllers wüßten wir sie nicht zu berichten:

      »Ein Rabe entführte der Gräfin Idda von Toggenburg, des Geschlechts von Kirchberg, ihren Brautring durch ein offenes Fenster: ein Dienstmann Graf Heinrichs fand ihn und nahm ihn auf; der Graf erkannte ihn an dessen Finger. Wütend eilte er zu der unglücklichen Idda und stürzte sie in den Graben der