= aha, naves = scef, rex = cuninc, dux = herizoho usw.
Aus so kleinem Anfang sollte die gesamte, unübersehliche, noch jährlich, ja stündlich in unendlich vielen Gliedern fortwachsende deutsche Schriftwelt hervorgehen! St. Gallen aber begnügte sich nicht mit dem Ruhm, das erste Reis in deutscher Zunge gepflanzt zu haben, es hegte und pflegte auch ferner den jungen Baum unserer Muttersprache, bis er, zum starken Stamm gediehen, Frucht und Schatten gab und dem eigenen Trieb und Wachstum fortan überlassen werden konnte.
»Zwar fuhr man«, sagt Wilhelm Wackernagel, »noch einige Zeit in derselben Weise fort, wie Gallus begonnen hatte: man verfertigte, um Anfängern das Studium der lateinischen Sprache zu erleichtern, deutsche Interlinear-Versionen und lateinisch-deutsche Glossare, dergleichen dem Mönch Gero zugeschrieben wurden; man verschmähte zuerst noch die deutsche Poesie und überließ sie, wo man sie nicht verfolgte, wenigstens mit stolzer Verachtung den ungebildeten Laien: aber bald stellte sich die Freude an einem verständigeren und würdigeren Gebrauch der deutschen Sprache ein, und es wurde schon im neunten Jahrhundert nicht mehr für unziemlich gehalten, auch in deutschen Versen zu dichten. Der Mönch Ratpert, der in den neunziger Jahren dieses Jahrhunderts starb, verfaßte ein Lied über das Leben und zu Ehren des heiligen Gallus; leider ist es nur in einer lateinischen Übersetzung auf uns gekommen. Aber vielleicht ist die Teilnahme der St. Galler an der deutschen Poesie noch um etwas älter; die älteste deutsche Messiade, Otfrieds unter Ludwig dem Deutschen gedichtete ›Evangelienharmonie‹, ist unter anderen auch zwei St. Galler Mönchen, Hartmuat und Warinbracht, zugeeignet; wir wissen von Otfried sonst nur, daß er Mönch in dem elsässischen Benediktinerkloster Weißenburg war; allein diese Zuneigung setzt eine nähere Bekanntschaft in St. Gallen voraus, und wie auch seine Sprache eher alemannisch als überrheinisch klingt, möchte die Vermutung kaum gewagt erscheinen, daß er erst später nach dem Elsaß gekommen, früher aber gleichfalls Mönch zu St. Gallen gewesen sei. Otfrieds Arbeit ist eine durchaus im Geiste seiner Zeit gelehrte, seine lateinische Bildung scheint sogar auf seinen Stil nachteilig eingewirkt zu haben, nur selten spricht er so, wie es damals volksmäßig sein mochte; dagegen ist Ratperts Lied, soviel wir aus der lateinischen Übersetzung schließen können, schon ganz in der Art des Volks gewesen: ein halbes Jahrhundert später sahen wir einen St. Galler Mönch, Eckehart I., der ohne Scheu sogar einen Gegenstand aus der nationalen Heldensage, die Abenteuer Walthers und Hildegundes, besingt; zwar in lateinischen Versen, aber die Wahl des Stoffes beweist, wie vorteilhaft sich im Laufe des Jahrhunderts die ästhetischen Ansichten der St. Galler Mönche geändert hatten. Früher würde man dergleichen fast für sündhaft gehalten haben. Für die Poesie geschah zu St. Gallen im weiteren Verlauf dieser Periode nichts mehr; desto eifriger, desto erfolgreicher wurde die Prosa geübt. Freilich nur in Übersetzungen; aber auch darin erwies sich jetzt eine so freie und selbstkräftige Kunst, und dem prosaischen Stil war im schönsten Einklang mit dem formellen Zustand der Sprache zugleich so viel Anmut und Gediegenheit eigen geworden, daß sich erst wieder aus dem dreizehnten Jahrhundert gleich und besser Gelungenes wird danebenstellen lassen. Notker III. mit dem Beinamen Labeo, der im Jahre 1022 starb, übersetzte und paraphrasierte nach Anleitung des augustinischen Kommentars den ganzen Psalter; in jeder Beziehung wertvoller sind jedoch die anderen, immer noch ungedruckten Übersetzungen und Erklärungen vom ›Organon‹ des Aristoteles, von Marcianus Capella und namentlich die vom philosophischen Tröstbuch des Boëtius: Arbeiten, die man alle zusammen gleichfalls jenem Notker beizulegen pflegt; aber es ist gewiß, daß sie von mehreren anderen Verfassern und wahrscheinlich, daß sie teilweise von Ruadpert, einem Zeitgenossen Notkers, herrühren, dessen Bemühung für angemessene Übersetzung schwieriger lateinischer Ausdrücke uns anderswoher bekannt ist. Dergleichen Tätigkeit in jenem Zeitalter läßt sich nicht genug mit Dank erkennen, es gibt für eine wenig geübte wie für eine entartete Sprache nichts Heilsameres als Übersetzungen, wenn sie nur mit Geist und Kenntnis gearbeitet werden.
Freilich erlosch das Licht, das die St. Galler Mönche der Welt angezündet hatten, als es schon überall leuchtete, ihnen selber wieder. Jener Wilhelm, Graf von Montfort, Abt von St. Gallen, der dem Kaiser Rudolf soviel zu schaffen machte, konnte mit seinem ganzen Kapitel nicht einmal schreiben, und wenn derselbe Abt »Tagelieder« gedichtet hat (damals dichteten viele, die nicht schreiben konnten), so beweist dies nur, daß neben dem Verfall der Gelehrsamkeit auch die Verderbnis der Zucht und Sitte einzureißen drohte, denn keine Art von Poesie geziemte wohl einem Abt weniger als diese, deren Wesentliches darin bestand, daß diejenigen, welche verbotene Liebe pflegten, beim Anbruch des Tages von dem Wächter auf der Zinne ermahnt wurden, sich vorzusehen, daß sie nicht entdeckt und an Ehre und Leben geschädigt würden, worauf denn eine rührende Schilderung des Abschieds zu folgen pflegte.
So wurde denn, wie einst die Weisheit Salomos, mit abnehmender Gottesfurcht auch der Ruhm St. Galler Gelehrsamkeit zuschanden. Mit Recht, obgleich es eine unverdient harte Strafe scheinen mag, daß wir jetzt, wenn von unwissenden, schmerbäuchigen Pfaffen die Rede ist, durch Bürgers bekanntes Gedicht unwillkürlich an den Abt von St. Gallen erinnert werden.
Folgender Vorfall gehört zwar noch in die bessere Periode der Abtei, gibt aber doch einen zweideutigen Begriff von der Bildung der Mönche, die sich schon an eine Kritik der heiligen Schriften wagten:
Die Vorräte im Keller zu St. Gallen waren bis auf zwei Fässer geschmolzen; denn die letzten heißen Jahre hatten mehr auf den Durst als auf die Reife des edlen Gewächses gewirkt. Bei festgesetztem starken Zuspruch mußte man fürchten, in Kürze ganz aufs Trockene zu geraten. Unter solchen Umständen konnte es nur höchst willkommen sein, als die Nachricht einlief, daß der heilige Adalrich, Bischof von Augsburg, dem Kloster ein ganzes Stückfaß verehrt habe, das schon unterwegs sei. Aber die freudige Überraschung verwandelte sich ebenso unerwartet in Schrecken, als man vernahm, daß das Faß, eben da es in den Hafen einlaufen sollte, noch gescheitert sei. Der Fuhrmann hatte nämlich an der hohen Brücke die Pferde kräftiger angetrieben, darüber begegnete ihm das Unglück, daß dem Karren Rad und Achse brachen, das schwere Faß herab-und über das Brückengeländer in den Strudel fiel. Man denke sich die Bestürzung, das Entsetzen! Aber noch war nicht alles verloren, der Wein hatte das Wasser nicht verfärbt, das Faß schien keinen Schaden gelitten zu haben, und so kam es nur darauf an, die rechten Mittel anzuwenden, beide glücklich aus der Tiefe zu heben. Der Abt versammelte sogleich den Konvent, man beratschlagte geheim und lange, endlich kam es zum Beschluß. Nun säumte man nicht länger, ans Werk zu gehen, und schritt im vollen Ornat mit Kreuz und Fahne aus der Abtei. Dreimal bewegte sich die Prozession mit lautem Kyrie eleison um den Strudel, und wenn sie über die Brücke schritten und der Abt unter dem Baldachin den Segen gab, knieten sich alle bekreuzigend nieder. Als dies vollbracht war, machten die Fuhrleute mit ausgeworfenen Seilen einen Versuch. Die Brüder standen, die Hände gefaltet, in frommer Erwartung; und siehe, so bewährte sich die Weisheit des Ratschlusses: das Faß wurde unversehrt herauf-und in den Klosterkeller geschafft. Nicht ein Tropfen des edlen Getränks war verschüttet. Auf diese Nachricht stimmten alle, des glücklichen Erfolges froh, mit dankbaren Herzen ein Tedeum an. Besser als wir nach blutigen Schlachten, sagt der Geschichtsschreiber.
Boden-und Zeller See
Eine Stunde unterhalb Rheineck mündet der Rhein in den Bodensee; zuweilen, nach heftigen Regengüssen, mit solcher Gewalt, daß seine Strömung jener der auf der entgegengesetzten Seite mündenden Bergwasser Argen und Schüssen begegnet. Noch eine Weile erkennt man den Strom im See, teils an der Bewegung, teils an der helleren Farbe des Wassers. Daher mag wohl die Meinung entstanden sein, daß er sich gar nicht mit dem Seewasser vermische. Vielleicht erreichte er den See in früheren Zeiten schon bei Rheineck, wenigstens deuten dessen Name und der des Dörfchens Altenrhein, des letzten im Rheintal, darauf hin, daß hier Wasser und Land seit Jahrhunderten große Veränderungen erlitten haben. Der Rhein und die rechts von ihm mündenden Waldströme, Fussach und Bregenz, sollen einer schon älteren Vermutung zufolge nach und nach die ganze Landspitze angeschwemmt haben, welche unterhalb Rheineck weit in den See hineinreicht. Diese wäre also das oberste Holland.
Der Bodensee, unter den deutschen Seen der größte, ist nach dem Genfer See auch der größte der Schweiz. Dieser übertrifft ihn außerdem durch die