darauf, dass sich seine Adressaten alle Argumente noch einmal durch den Kopf gehen lassen und sich dann ein eigenes Urteil bilden.22 Vorher werden Staatsanwalt und Verteidiger alles in die Waagschale werfen, wovon sie überzeugt sind. Dabei müssen sie alle Register ziehen, an Lebenserfahrung, den abwägenden Verstand und die prüfende Urteilskraft ebenso appellieren wie darauf setzen, dass man sich manche Hinweise auch zu Herzen gehen lassen sollte. Bei einem Plädoyer darf es durchaus temperamentvoll zugehen, an argumentativer Schärfe sollte es ohnehin nie fehlen und pointierte Zuspitzungen sind allemal erlaubt.
Wer ein Plädoyer hält, lässt dies in Sprache und Stil frühzeitig erkennen. Bereits die Grammatik des Vortrages macht deutlich: Hier spricht jemand in der ersten Person Singular. In der Theologie galt dies lange Zeit als unstatthaft. Man argwöhnte, hier wolle sich jemand selbst in den Vordergrund schieben, statt einem Gedanken oder einem Argument Raum zu geben. Wer sich prätentiös als Vordenker ausgibt, schafft ein erstes Indiz dafür, in Wahrheit und Wirklichkeit keiner zu sein. Große Denker erkennt man daran, dass sie hinter ihrem Denken zurücktreten. Sie wollen Nachdenklichkeit erzeugen und dazu beitragen, dass die Angesprochenen ins Nachdenken kommen. Sie setzen darauf, dass die vorgetragenen Gedanken so einleuchtend sind, dass diejenigen, die ins Nachdenken gekommen sind, sie sich am Ende zu eigen machen können. Nicht mit ihrer Persönlichkeit wollen sie imponieren; ihnen geht es vielmehr darum, Bedenkenswertes zu exponieren. Gleichwohl führt kein Weg daran vorbei, dass sich bei einem Plädoyer für die Denkbarkeit des Glaubens auch der Wortführer einer solchen Rede exponieren, d. h. der Nachfrage und Kritik aussetzen muss.
Mit kritischen Nachfragen ist zu rechnen, da bei einem solchen Plädoyer nicht der Glaube, sondern die Vernunft Regie führt. Ihr genügen religiöse Zeugnisse nicht, wenn sie nicht auch denkerisch überzeugen können. Und sie lässt sich nur auf Überzeugungen ein, die sich in Argumentationen übersetzen lassen. Nur was argumentativ vertretbar ist, kann zustimmungsfähig sein. Die Vernunft drängt darauf, dass man sich in der Theologie darüber Gedanken macht, was man unter den Bedingungen der Moderne vernünftigerweise glauben kann.23 Was ist in der Gegenwart glaubwürdig und rational vertretbar als Basis und Kern des christlichen Glaubens? Was ist daran strittig und über welche Inhalte lohnt ein Streit?
1. Theologisches Leitmotiv:
Zum Glauben kommen – Vernunft annehmen
Dass Anliegen, Inhalt und Ziel des christlichen Glaubens mit den Mitteln der Vernunft immer wieder neu verständlich zu machen sind, leuchtet vielen Gläubigen nicht sogleich ein. Für sie ist das, was der Glaube vertritt, eine Selbstverständlichkeit: Es versteht sich für sie von selbst, dass Gott existiert, dass er allmächtig ist und darum die Naturgesetze außer Kraft setzen und in die Abläufe der Welt eingreifen kann (wovon er bei Offenbarungsakten oder Wundern angeblich auch Gebrauch macht). Religiöse Menschen sind bisweilen unfähig zu verstehen, warum sie mit ihren Überzeugungen auf Unverständnis stoßen. Sie können für das Unverständnis ihrer säkularen Zeitgenossen kein Verständnis aufbringen, da sie ja überzeugt sind, für etwas Selbstverständliches einzustehen.
Auftrag der Fundamentaltheologie ist es darum auch, gegenüber den Glaubenden verständlich zu machen, warum sie von ihren säkularen Zeitgenossen nicht verstanden werden. Im Gegenzug hat sie einsichtig zu machen, dass und warum sich Glaubende von ihren Kritikern missverstanden fühlen. Bisweilen begegnet den Christen bei ihren Kritikern spiegelbildlich ein Verhalten, das man sonst ihnen vorwirft. Auch Kritik kann borniert sein, auch Verfechter der Aufklärung pflegen bisweilen die Selbstprofilierung über die Beschwörung von Klischees und Vorurteilen, auch bei ihnen trifft man auf Rechthaberei, Polemik und Bluff. Es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen ist kontraproduktiv. Wo theologische Streitlust aufkommt, wo die Theologie ihre Streitkräfte einberuft, darf sie diese mit nichts anderem ausstatten als mit den Waffen diskursiver Argumentation.24
Eine Fundamentaltheologie, die nicht mehr die Kraft aufbringt zur systematisch-kritischen Reflexion einer Glaubenspraxis, die gegenüber Zweifeln und Kritik Rede und Antwort stehen kann, bleibt den Glaubenden etwas Entscheidendes schuldig. Kritische Nachdenklichkeit ist eine Maßnahme der Prophylaxe. Sie dient der Verhinderung von negativen Konsequenzen gedankenloser Praxis. Gerade angesichts der Herausforderungen der Gegenwart können sich Christen keine Glaubenspraxis leisten, die unbedacht oder kopflos vorgeht. Dabei ist es unumgänglich, dass der Glaube bei Zeiten zur Vernunft kommt. Vernunft ist dadurch definiert, dass es ihr um alles geht, „was recht ist“. Damit es auch in Glaubensangelegenheiten mit rechten Dingen zugeht, braucht es ein Optimum des Glaubens und ein Maximum an Vernunft. An beidem muss die Theologie gleichermaßen interessiert sein.
Allerdings erheben sich gegen ein solches Vorgehen bereits zu Anfang gravierende Einwände: Sind die Glaubwürdigkeit und die Verantwortbarkeit des Glaubens und seiner Vermittlung deckungsgleich? Kann man hier wirklich der Vernunft trauen? Welches Format von Rationalität verdient das in die Vernunft gesetzte Vertrauen? Ist nicht auch die Vernunft fehlbar? Kritische Beobachter, die weder Parteigänger der Vernunft noch Verteidiger des Glaubens sein müssen, stellen daher die Frage, ob die Emphase und das Pathos wirklich angebracht sind, mit der in der Fundamentaltheologie für eine vernunftkompatible Glaubenspraxis und -reflexion geworben wird. Sollte man vorab nicht auch alle Gründe in Betracht ziehen, die das Leistungsvermögen der Vernunft skeptisch beurteilen lassen?
2. Skeptischer Einspruch:
Krise der Vernunft – Kritik der Vernunft
Für viele Zeitgenossen hat die Moderne angesichts der Entgleisungen von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft längst die Brüchigkeit und Irrtumsanfälligkeit der Vernunft erwiesen bzw. deren Komplizenschaft bei der Auslösung von Krisen und Konflikten globalen Ausmaßes aufgedeckt. Die Vernunft hat in der Neuzeit das Zwielicht des Mittelalters offenbar nur durch den hellen Wahn des neuzeitlichen Rationalismus ersetzt. Vor allem sollte nicht vergessen werden: Beim Versuch, Geschichte zu machen, wurden von der Vernunft stets auch das Un- und Widervernünftige mitproduziert. Die Vernunft ist in der Moderne auf eine Weise durchgesetzt worden, welche die Welt gerade nicht vernünftiger gemacht hat. Die negativen Spät- und Nebenfolgen vernunftgeleiteter Modernisierungsprozesse nähren darum den Zweifel, dass bereits die Prämissen der Vernunft prekär waren. Hat diese Vernunft nicht längst abgewirtschaftet, so dass man dem Glauben einen schlechten Dienst erweisen würde, wenn man ihn vor ihre Instanz zerren würde?
Wer sich auf diese Vernunft einlässt, partizipiert auch an ihren Pathologien. Soll man also ernsthaft erwägen, den christlichen Glauben einer derart fragwürdigen Autorität auszuliefern? Bildet die eigentliche Prüfinstanz christlicher Glaubensbegründung und -rechtfertigung nicht das biblische Welt- und Wirklichkeitsverständnis?25 Sollte man nicht Maß nehmen am „Wort Gottes“ und an dessen Verständnis von „Wahrheit“, wenn es gilt, Maßstäbe der Glaubensverantwortung zu entwickeln?26
Überdies verfügt die Vernunft in existentiellen Angelegenheiten lediglich über eine Außen- und Beobachterperspektive und vermag allenfalls objektive und neutrale Richtigkeiten zu erkennen. Ob das objektiv Richtige für einen Menschen aber auch das für ihn „Wahre“ ist, vermag nur er selbst zu ermessen. Hier spielt nicht nur sein Kopf eine entscheidende Rolle. Hier geht es auch um Intuition und Gefühl. In existenziellen Angelegenheiten, in denen man nicht neutral bleiben kann, gilt ohnehin: „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt“ (B. Pascal).27 Dasselbe trifft für Ästhetik, Religion, Mystik zu. Ist es nicht verfehlt, von diesen Größen zu verlangen, sie sollten endlich Vernunft annehmen bzw. zur Vernunft kommen?
Das in diesen Fragen zum Ausdruck kommende Votum für die Besonderheit von Religion und Glaube verdient gewiss Zustimmung. Jedoch ist die Vorentscheidung unzulässig, für die Überprüfung religiöser Wahrheitsansprüche nur religiöse Kriterien zuzulassen. Die Verschiedenheit von Glaube und Vernunft impliziert nicht Beziehungslosigkeit. Erheben Religionen Geltungsansprüche,