beansprucht, für das Denken und Handeln des Menschen maßgeblich zu sein. Wie für jedes Vernunftformat ist auch für die Theologie die Verallgemeinerungsregel des Nichtwiderspruchsprinzips maßgeblich. Sie verlangt, dass nur solche Behauptungen und Handlungsmaximen als vertretbar eingestuft werden, die den Test auf ihre Universalisierbarkeit bestehen. Allgemein zumutbar sind Daseinsdeutungen und Handlungsorientierungen nur dann, wenn der Versuch, sich ihnen zu entziehen oder ihnen zu widersprechen, seinerseits logisch widersprüchlich oder auf Dauer und im Ganzen kontraproduktiv wird.33 Ex negativo folgt daraus für das Bemühen um die rationale Vertretbarkeit von Religion und Glaube: Wer sich dem Nachweis auf interne Widerspruchsfreiheit (d. h. logische Konsistenz und Kohärenz) religiöser Daseinsdeutungen und Handlungsorientierungen und auf deren widerspruchsfreie Anschlussfähigkeit an ihrerseits widerspruchsfreie, logisch konsistente und kohärente rationale Weltauslegungen entzieht, liefert den Glauben dem Verdacht der Willkür und Beliebigkeit aus. Wer sich ihm stellt, hat die Chance, es erfolgreich mit der Bestreitung religiöser Wahrheits- und Geltungsansprüche aufzunehmen.
22 In dieser Form ist das Plädoyer durchaus mit dem Ideal intersubjektiver Urteilsbildung verträglich. Denn ein Plädoyer als Element eines Prozesses nimmt nicht ein Urteil vorweg, sondern will für eine Urteilsbildung nur eine möglichst überzeugende Vorlage liefern. Den Urteilsspruch über die verhandelte Sache muss es anderen überlassen. Es kann nur an die Urteilskraft seiner Adressaten appellieren und ihnen eine bestimmte Entscheidung nahelegen (vgl. 1 Kor 10,15: „Ich rede doch zu verständigen Menschen; urteilt selbst über das, was ich sage.“). Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist von der Fundamentaltheologie als einer Disziplin zu erwarten, die gleichermaßen durch einen Innen- und einen Außenbezug definiert wird: Nach innen (d. h. im Blick auf die Glaubenden und ihre Glaubenstraditionen) dient sie der Selbsterfassung und Selbstreflexion des Glaubens hinsichtlich des ihn tragenden Grundes. In ihrem Außenbezug (d. h. im Blick auf die Nichtglaubenden) hat sie die Aufgabe, „durch argumentativ verfaßtes Vernunftdenken die Wahrheitsbewandtnis des christlichen Glaubenslogos in die Verstehensräume und in die Vernunftwelten außerhalb des Christentums hinaus- bzw. hineinzuvermitteln“, M. SECKLER, Fundamentaltheologie: Aufgaben und Aufbau, Begriff und Namen, in: HFTh2IV (2000) 386.
23 Siehe hierzu A. LOICHINGER, Ist der Glaube vernünftig? Zur Frage nach der Rationalität in Philosophie und Theologie. 2 Bde., Neuried 1999.
24 Vgl. hierzu auch F. GRUBER, Diskurs und Konsens im Prozeß theologischer Wahrheit, Innsbruck/Wien 1993, 255–332.
25 Vgl. vor diesem Hintergrund das fundamentaltheologische Kontrastprogramm von Th. RUSTER, Glauben macht den Unterschied; DERS., Der verwechselbare Gott. Theologie nach der Entflechtung von Religion und Christentum, Freiburg/Basel/Wien 2001.
26 Vgl. hierzu P. HOFMANN, Die Bibel ist die Erste Theologie. Ein fundamentaltheologischer Ansatz, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006; DERS., Die Bibel als erste Erkenntnisquelle der Theologie, in: J. Meyer zu Schlochtern/R. A. Siebenrock (Hg.), Wozu Fundamentaltheologie? Zur Grundlegung von Theologie im Anspruch von Glaube und Vernunft, Paderborn/München/Wien/Zürich 2010, 59–71.
27 Zu diesem Standardeinwand, der die Vergeblichkeit vernunftzentrierter Glaubensreflexion vor Augen stellen will, siehe etwa J. WERBICK, Einfüh-rung in die theologische Wissenschaftslehre, Freiburg/Basel/Wien 2010, 9–32.
28 Vgl. hierzu die instruktiven Studien zur Wahrheitsfähigkeit religiöser Traditionen in I. U. DALFERT/Ph. STOELLGER (Hg.), Wahrheit in Perspektiven, Tübingen 2004.
29 In seinem Spätwerk stellt AUGUSTINUS (354–430) klar, dass es – unbeschadet seines Gnadencharakters – keinen unbedachten, vernunftlosen Glauben geben kann: Glauben ist „nichts anderes, als mit Zustimmung denken“ (De praedestinatione sanctorum liber unus, nr. 2,5/PL 44, 963: „nihil aliud est quam cum assensione cogitare“). Denn niemand vermag etwas zu glauben, von dem er nicht zuvor eingesehen hat, es könne geglaubt werden. Es ist unumgänglich, dass alles, was geglaubt wird, aufgrund eines vorausgehenden Denkens geglaubt wird („necesse est tamen ut omnia quae creduntur, praeveniente cogitatione credantur“). Nicht jeder Denker ist ein Glaubender, aber jeder Glaubende denkt. Er (be)denkt alles, was er glaubt, indem er im Glauben denkt und im Denken glaubt („sed cogitat omnis qui credit, et credendo cogitat, et cogitando credit“). Der Grund hierfür liegt darin, dass der Glaube ein Bewusstseinsinhalt ist und darum den Bedingungen entsprechen muss, die für Bewusstseinsvollzüge gelten, d. h. er muss intelligibel, einsichtig und zustimmungsfähig sein.
30 Wohl nur in diesem Sinne sind der Vernunft etliche Stellungnahmen des kirchlichen Lehramtes zumutbar, wenn diese sich von der Begegnung von Vernunft und Glaube eine „Weitung“ oder „Reinigung“ der Vernunft versprechen. Vgl. exemplarisch BENEDIKT XVI., Glaube, Vernunft und Universität, in: Ch. Dohmen (Hg.), Die Regensburger Vorlesung, Regensburg 2007, 11–26; JOHANNES PAUL II., Enzyklika „Fides et Ratio“ (hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz), Bonn 1998.
31 Vgl. ARISTOTELES, Metaphysik: „Es ist unmöglich, dass eine Aussage und ihre Leugnung in bezug auf dasselbe zugleich wahr sei“ (Met. IV 6, 1011b, 15–17). Logische Widerspruchsfreiheit korreliert mit ontologischer Widerspruchsfreiheit: „Es ist unmöglich, dass dasselbe demselben und unter derselben Hinsicht zugleich zukomme und nicht zukomme“ (Met. IV 3, 1005b, 19 f.). Siehe hierzu auch A. J. SCHLICK, Über den Satz des Widerspruchs im vierten Buch der aristotelischen Metaphysik, Würzburg 2011.
32 Zur Bedeutung des Nichtwiderspruchsprinzips als Richtmaß jedweden sinnvollen Denkens siehe St. SCHICK, Contradictio est regula veri. Die Grundsätze des Denkens in der formalen, transzendentalen und spekulativen Logik, Hamburg 2010.
33 Für maßgeblich und Maßstäbe setzend bei der Operationalisierung des Nichtwiderspruchsprinzips halte ich im Kontext zeitgenössischer Rationalitätstheorien das Konzept diskursiver Rationalität, welches die Objektivität und Normativität der Vernunft als Intersubjektivität argumentativ gestützter und konsensuell beglaubigter Handlungsgründe rekonstruiert und den Test auf die Universalisierbarkeit von Daseinsdeutungen und Handlungsorientierungen mit der Zustimmung aller von ihrer Umsetzung betroffenen Subjekte als Teilnehmer eines rationalen Diskurses verknüpft. Es handelt sich hierbei um ein Vernunftkonzept, das am ehrgeizigsten sowohl die rationalitätskritischen Lektionen der Moderne verarbeitet als auch eine Begründung der Sache der Vernunft aus unhintergehbaren Ermöglichungsgründen des Denkens und Handelns nicht vorzeitig aufgibt. Zur ausführlichen Erörterung der Relevanz dieses Ansatzes für die Diskussion religiöser Geltungsansprüche siehe H.-J. HÖHN, Zeit und Sinn. Religionsphilosophie postsäkular, Paderborn/München/Wien/Zürich 2010, 73–104.
§ 3 Streitfälle:
Gott – Offenbarung – Heilswege
Jeder Streit hat eine Vorgeschichte. Er kann zwar plötzlich ausbrechen, aber er bleibt ohne Schärfe und Dramatik, wenn ihm nicht ein Konflikt zugrunde liegt, der schon längere Zeit schwelt. Dies unterstellt auch der folgende Versuch einer Neuformatierung der klassischen fundamentaltheologischen demonstrationes. Sie sind per se als Streitfälle zu betrachten. Denn wer für etwas demonstriert und mit Transparenten auf die Straße geht, setzt sich für ein Anliegen ein, dem es an Anerkennung mangelt. Nicht anders verhält es sich mit den großen Themen der Fundamentaltheologie. Wer/was es verdient, in Wahrheit und Wirklichkeit „Gott“ genannt zu werden, ob es Orte und Ereignisse seiner Offenbarung in der Geschichte gibt, welche Wege der Erschließung von Heil und Erlösung damit verbunden sind – dies sind zwar aktuell Randthemen für eine säkulare Öffentlichkeit. Aber sie berühren Menschheitsfragen, die in und für multireligiöse Gesellschaften erneut an Bedeutung gewinnen. Sie zu verdrängen oder zu verschweigen dient niemandem – ebensowenig wie die Bereitschaft, sich mit überkommenen Antworten zufriedenzugeben.34
So kann man etwa bei der Streitsache Gott längst nicht mehr davon ausgehen, dass sich in der Welt ein Verweisungszusammenhang rekonstruieren lässt, der – etwa im Stile der „quinque viae“ des Thomas von Aquin – unzweideutig auf Gott hin auslegbar ist. Strittig ist hierbei nicht die Maxime: Wer von Gott reden will, muss zugleich von der Welt sprechen, soll diese Rede nicht geschichts- und kontextlos sein. Wohl aber gehen die Auffassungen