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Gottes Sehnsucht in der Stadt


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und morgen – wie „kirchen“ wir, um diese Dynamik einmal in einem Neologismus zu beschreiben? Die Fragen, die sich daraus ergeben, sind Legion – und sie sind brisant, angefangen von der Grundproblematik, wie denn die klassisch geprägten Gemeinden zu den neuen Sozialgestalten stehen.

      Vielleicht hat niemand dies so tief und so bewegend formuliert wie Dietrich Bonhoeffer, der 1944 voraussah, dass die gesellschaftlichen und kulturellen Transformationen zu einer veritablen Neugeburt kirchlicher Wirklichkeit führen müssen. Die paschatheologische Relevanz der „ecclesia semper reformanda“ wird bei ihm in aller Deutlichkeit formuliert:

      „Du wirst heute zum Christen getauft. All die alten großen Worte der christlichen Verkündigung werden über dir ausgesprochen und der Taufbefehl Jesu Christi wird an dir vollzogen, ohne dass du etwas davon begreifst. Aber auch wir selbst sind wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen. Was Versöhnung und Erlösung, was Wiedergeburt und Heiliger Geist, was Feindesliebe, Kreuz und Auferstehung, was Leben in Christus und Nachfolge Christi heißt, das alles ist so schwer und so fern, dass wir es kaum mehr wagen, davon zu sprechen. In den überlieferten Worten und Handlungen ahnen wir etwas ganz Neues und Umwälzendes, ohne es noch fassen und aussprechen zu können. Das ist unsere eigene Schuld. Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein. Darum müssen frühere Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur aus zweierlei bestehen: im Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neugeboren werden aus diesem Beten und diesem Tun. Bist du groß bist, wird sich die Gestalt der Kirche sehr verändert haben. Die Umschmelzung ist noch nicht zu Ende, und jeder Versuch, ihr vorzeitig zu neuer organisatorischer Machtentfaltung zu verhelfen, wird nur eine Verzögerung ihrer Umkehr und Läuterung sein. Es ist nicht unsere Sache, den Tag vorauszusagen – aber der Tag wird kommen –, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes so auszusprechen, dass sich die Welt darunter verändert und erneuert …“ (Widerstand und Ergebung, DBW 8, 435).

      Wir stehen nicht – wie er – vor diesem Prozess. Wir sind mitten drin in diesem reinigenden, läuternden und kreativen Wandlungsgeschehen. Und genau das hat uns auf den Weg gebracht, gemeinsam nach neuen Gemeinden für morgen zu suchen

      Katholische Anfänge: den Blick weiten

      Die Anfänge unseres Projektes sind ökumenisch. Auf einem Kongress der evangelischen Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste (AMD) in Leipzig begegnet uns Katholiken Stephen Cottrell – ein anglikanischer Bischof, der uns den Emmauskurs vorstellt. Und schon damals wird deutlich, dass es hier gar nicht nur um einen weiteren unter den vielen guten neuen Glaubenskursen geht. Nein, hier wurde weitergedacht: ein Glaubenskurs zum Evangelisieren, ein Glaubenskurs im Blick auf die Menschen, die „frisch“ zum Glauben kommen, provoziert die Frage nach einer neuen Kirchengestalt. Denn eines ist klar, so hören wir aus England: Glaubenskurse eignen sich nicht dafür, Menschen in bisherige Sozialgestalten des Kircheseins zu integrieren. Denn jede Sozialgestalt – und auch die klassische Gemeinde gehört dazu – hat ihren eigenen ekklesiogenen Code: so wie jemand sein Christsein entdeckt, so wird er auch sein Kirchesein entfalten. Eigentlich ganz logisch, aber provozierend: denn es verlangt eine Umkehr von einer lang erlebten Wirklichkeit, war doch Integration in das Bestehende und eine nachhaltige Kontinuitätsfiktion das prägende innere Bild vergangener gemeindetheologischer Jahrzehnte (und beeinflusst bis heute Kritik und Gegenkritik sowohl Progressiver wie Konservativer – wenn es die überhaupt so noch gibt).

      Die Anfänge sind ökumenisch. Mit Bischof John Finney trafen wir zusammen, weil das Interesse am Emmauskurs und seinen ekklesiogenen Implikationen uns neugierig machte. Wir trafen auf ein Team, und Felicity Lawson und John Finney lebten deutlich vor, dass das Miteinander gestalten von Kirchenaufbruchsprozessen sich schon abbildet im Zueinander der Protagonisten. Humor, Spiritualität, Vielfältigkeit und Einheit – und faszinierende Inspiration, das kennzeichnet viele Protagonisten dieses Aufbruchs. Das macht nicht nur sprachlos, sondern weckt die Neugierde auf mehr. So durften wir Finney auch in unserem katholischen Kontext einführen – denn hinter dem Glaubenskurs und seinem partizipativen Ansatz steht auch eine Kultur des Kircheseins und Kirchewerdens, die in uns die Leidenschaft für die Ekklesiologie des II. Vatikanischen Konzils weckte. Und: der Weg nach England öffnete sich. Hatten die Anglikaner durch ihre evangelisierende Pastoral und ihre erfolgreichen Glaubenskurse den Weg zu neuen Formen der Gemeindebildung gefunden, könnten wir doch von ihnen lernen. Denn die Auflösungserscheinungen milieuhafter Volkskirche fordern den Mut, nach „fresh expressions of church“ Ausschau zu halten …

      Die Anfänge sind noch weiter ökumenisch. Schon vor fast 10 Jahren fanden wir – aus dem Fachbereich Verkündigung – uns bei Leitungskongressen der freikirchlichen Willow Creek Association. Trotz aller Warnungen vor Sektengefahr erlebten wir hier etwas, was uns bleibend prägte. Eine tiefe gemeinsame biblische Spiritualität, die gepaart war mit einer Achtung für die jeweilige eigene kirchliche Tradition; eine missionarische Leidenschaft für die Menschen, die Christus noch nicht entdeckt haben, und einen Mut, sich auf diese Menschen einzulassen und mit ihnen gemeinsam das Evangelium zu entdecken und zu leben; eine Kreativität und experimentellen Mut, Kirche dort wachsen zu lassen, wo sie bisher nicht vermutet wird – und in Formen, die zunächst einmal merkwürdig anmuten. Die angloamerikanische Mischung von Pragmatismus, Christusverbundenheit und experimenteller Christusnachfolge sind einfach inspirierend.

      Rückkehr nach Deutschland

      Das Risiko solcher weltkirchlichen Ökumene ist das Ausbremsen solcher Impulse und das Verglühen des Idealismus an institutioneller Skepsis und Bestandswahrung: „das geht hier nicht, das passt nicht – und wir sind sowieso anders …“, das sind hilfreiche immunisierende Wendungen im Blick auf die Sehnsucht nach Selbsterhalt.

      Aber dann wurden wir wieder überrascht: an der evangelischen Fakultät von Greifswald kamen wir mit Professor Michael Herbst in Kontakt. Eine Freundschaft und Gemeinschaft im Geiste entwickelte sich schnell, denn die Anliegen und die spirituelle Verwurzelung verbanden uns. Und so entdeckten wir, dass sich gerade im Blick auf die Frage nach Evangelisierung und Missionarische Pastoral und ihre Konsequenzen eine ökumenische Konsonanz ergibt, die ohne Konkurrenz, sondern in gegenseitiger Achtung und geistlicher Verbundenheit ein gemeinsames Suchen nach neuen Wegen ermöglicht. Uns ging immer mehr auf: Ökumene ist gerade im Bereich der missionarischen und evangelisierenden Bemühungen kein Kann, kein Darf, sondern ein Muss: wir beschenken uns wechselseitig, wir inspirieren einander, wir evaluieren miteinander – wir lernen miteinander in dem gemeinsamen Anliegen, dem Evangelium, Jesus Christus einen Raum zu öffnen.

      Und dies gilt besonders für unsere Zusammenarbeit mit dem Haus Kirchlicher Dienste der Landeskirche Hannover. Im Laufe der vergangenen Jahre verdichteten sich die Kontakte und schufen eine erstaunliche, frohmachende und fruchtbare missionarische Ökumene, deren schriftliche Erstfrucht hier vorliegt.

      Mit Kollegen wie Burkhard Merhof, Philipp Elhaus, Martin Römer, Hans Christian Brandy, Dirk Stelter und Andreas Risse verbindet uns die gemeinsame Sehnsucht nach einer missionarischen Kirche. Was ganz einfach anfing mit regelmäßigen Treffen zum Thema Hauskreise und Kleiner Christlicher Gemeinschaften, mit gemeinsamem Nachdenken über Glaubenskurse, mündete ein in gemeinsame Fahrten nach England – und zu Projekten gemeinsamer Kongresse zum Thema einer Kirche, die kommt. Wenn im Februar 2013 der geplante Großkongress „Kirche 2.0“ in Hannover stattfinden wird, dann ist das nicht eine punktuelle Aktion, sondern das Ergebnis ökumenischer Konvivenz und Konvergenz, spiritueller Suche und visionärer Gemeinschaft.

      Es begann auf unserer Seite mit dem Projekt „Kirche für Suchende – Evangelisation auf katholisch“: Minikundschafterfahrten nach Braunschweig zur Friedenskirche, zur Freien Evangelischen Gemeinde in Hildesheim und zum Expowal nach Hannover mündeten ein in einen Studientag mit Michael Herbst.

      So entstand in den Gesprächen mit unseren evangelischen Brüdern und Kollegen die Idee einer gemeinsamen ökumenischen Reise nach London, um „fresh expressions of church“ zu studieren.

      Evangelische