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Kirche der Armen?


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       1. Johann Pock

      Mit „caritas“ wird das neutestamentliche, griechische Wort „agape“ ins Lateinische übersetzt, die Liebe. In den frühen Gemeinden war die Agape das caritative Helfen im Rahmen des Gottesdienstes.

      Die Liebe wurde zwar grundsätzlich von Theologen gewürdigt (wie Chrysostomus, Basilius, Augustinus, Thomas von Aquin); in der lehramtlichen Verkündigung kam die „Liebe“ jedoch nur vor als „Grundwirklichkeit“ von Familie und ehelicher Partnerschaft. Eine Verbindung von Eros und Agape im Hinblick auf die caritative Diakonie findet sich erstmals in der Enzyklika „Deus caritas est“ von Papst Benedikt XVI., wobei hier caritas als „Liebestun der Kirche“ übersetzt wird. Agape und Eros gehören zusammen – wer Liebe schenken will, muss auch Liebe empfangen können; beide bezeichnen die liebevolle Beziehung zum/zur Anderen.

      Theologisch ist die Caritas trinitarisch grundgelegt: Gott selbst ist die Liebe (1Joh 4,8). In Jesus wird die sich bis in den Tod hingebende Liebe sichtbar – gefeiert in der Eucharistie. Der Heilige Geist befähigt die Gläubigen, sich den Leidenden helfend zuzuwenden, denn „die Frucht des Geistes ist die Liebe“ (Gal 5,22). Jesus verbindet die Gottes- und die Nächstenliebe (Mt 22,34-40) – und ergänzt, dass die Selbstliebe wesentlich dazugehört (V. 39 – „wie dich selbst“). 1Joh 4,20 macht deutlich: „Wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“. Damit ist einer weltenthobenen Sicht der Liebe der Boden entzogen.

      Der Begriff der Caritas wurde in der katholischen Kirche im 20. Jh. zur Bezeichnung ihrer Hilfsorganisation; daher wird mit Caritas im deutschen Sprachraum zumeist die verbandliche Caritas verbunden. Nach H. Pompey versteht sich die Caritas der Kirche „als Anwältin und Helferin der Leidenden unserer Gesellschaft“. In diesem verbandlichen Bereich sind die Begriffe Caritas und Diakonie inhaltlich fast austauschbar – sie bezeichnen die katholische bzw. evangelische Hilfsorganisation.

       2. Rainald Tippow

      Caritas meint gutes und gerechtes Leben für alle. Sie ist Ausdruck des Wesens der Kirche, denn „die Kirche kann den Liebesdienst so wenig ausfallen lassen wie Sakrament und Wort“ (Benedikt XVI.). In diesem Sinn ergaben sich seit der Frühzeit der Kirche unterschiedlich stark ausgeprägte Organisationskulturen und für die weitere Entwicklung wegweisende Aussagen. „Die eigenen Güter nicht mit den Armen zu teilen bedeutet, diese zu bestehlen und ihnen das Leben zu entziehen. Die Güter, die wir besitzen, gehören nicht uns, sondern ihnen.“ (Johannes Chrysostomus)

      Die Kirche sieht sich als „Anwältin der Gerechtigkeit und Verteidigerin der Armen gegen untragbare soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten, die zum Himmel schreien“ (Aparecida 2007). Das fordert von einer modernen Caritas als organisierte kirchliche Liebestätigkeit, dass sie ihre Arbeit in einem zweifachen Sinn ausübt. Zuerst geht es um die praktisch-konkrete Hilfe. Stößt sie an Grenzen oder werden hier strukturelle Ungerechtigkeiten sichtbar, so sieht sich die Caritas anwaltschaftlich-politisch gefordert, denn man muss „den Forderungen der Gerechtigkeit Genüge tun, und man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet ist.“ (AA 8)

       3. Rainer Krockauer

      Eine wichtige Rolle im Prozess einer Kirchenentwicklung am Ort der Armen spielt die institutionalisierte Caritas. Die bunte Vielfalt organisational Gestalten unter dem Dach der verbandlichen Caritas oder sozialcaritativer Orden bzw. Trägergesellschaften prägt, besonders in Deutschland, maßgeblich das Erscheinungsbild von Caritas neben ehrenamtlich- und gemeindlich-caritativer Arbeit. Kirchliche Sozialberatungsstellen, Senioren- und Pflegezentren, Hospize, Krankenhäuser oder Jugendhilfe- und Behinderteneinrichtungen zeichnen sich dabei nicht nur durch hochprofessionelles Engagement und hervorragende Dienstleistungen aus. Sie sind auch in der Breite des Lebensraumes und in der Tiefe des unmittelbaren Kontaktes zum Menschen angesiedelt, besonders an den „geographischen und existentiellen Peripherien“ der Gesellschaft.

      In der institutionalisierten Caritas gibt es folglich nicht nur starke christliche Tat- und Wortzeugnisse, es gibt dort auch einen oft übersehenen, aber verheißungsvollen ekklesiogenetischen Entwicklungsprozess. Wer beispielsweise Gottesdienste in einer Behinderteneinrichtung oder Segensfeiern in einem Hospiz erlebt, kann die starke Ausstrahlung einer feiernden Kirche mit einer starken Botschaft am Ort der Armen und Bedrängten aller Art selbst erfahren. Das heißt: Seit langem wird in der institutionalisierten Caritas Kirche, vor allem durch gelebte „caritas“. Damit verbindet sich der spannende Selbstvergewisserungsprozess der dortigen Akteure, wie (die) caritas im Rahmen von institutionalisierter, ökonomisierter und professionalisierter Dienstleistungsarbeit glaubwürdig gelebt und verwirklicht werden kann. Oder: Wie das Evangelium mit seiner ganzen Kraft und Originalität in der Organisation zu wirken und die Verbundenheit mit den Armen, die Dienstgemeinschaft, ihre Feierkultur und ihre Botschaft und Unternehmensphilosophie nachhaltig zu prägen vermag. Und das Besondere: Diese Denk- und Entwicklungsprozesse verknüpfen sich vielerorts mit denen anderer Kirchenorte, z.B. von Pfarrgemeinden, ziehen diese mit an den Ort der Armen und stimulieren sie nachhaltig, bei und mit diesen Kirche der Armen zu werden.

       Diakonie

       1. Herbert Haslinger

      Diakonie ist in einer Kurzdefinition das christliche Hilfehandeln zugunsten Not leidender Menschen.

      Für die diakoniewissenschaftliche Reflexion kann man differenzierter definieren: „Diakonie“ bezeichnet die im christlichen Glauben begründeten und an ihm ausgerichteten Praxisformen, in denen Not leidende Menschen durch Solidarität, durch individuelle Bearbeitung ihrer Lebenslage sowie durch gesellschaftsstrukturelle Bekämpfung von Notursachen Hilfe in bzw. Befreiung aus ihrer Not erfahren, so dass sie entsprechend ihrer Würde als Menschen leben können.

      „Not“ meint jedwede den Menschen aufgezwungene Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten, welche ein erfülltes individuelles Leben wie auch eine gleichberechtigte Teilnahme am sozialen Leben erschwert oder verhindert.

      Als „Hilfe“ firmieren Akte, in denen jemand seine Handlungsmöglichkeiten einsetzt, um bei anderen Personen einen diesbezüglichen Mangel auszugleichen.

      Die bewusste Rede von „Menschen“ zeigt an, dass die christliche Diakonie grundsätzlich und ohne jede Unterscheidung allen Menschen gilt.

      Diakonie ist auch ein Moment der Identität der Kirche: Der Begriff „Diakonie“ meint nicht nur einen spezifischen Praxisbereich der Kirche, sondern auch den verausgabenden Dienst für Menschen und ihr menschenwürdiges Leben, der die durchgängige Identität der Kirche bilden muss.

       2. Klaus Baumann

      Diakonie kann als ein Synonym für die Sendung des Volkes Gottes (der Kirche) auf dem (Pilger-)Weg durch die Zeit angesehen werden. Die Ergebnisse der exegetischen Studien über Diakonia im NT stellen die Aspekte der bevollmächtigten Beauftragung oder Sendung in den Vordergrund. Sie rücken traditionelle Schieflagen eines einseitig-unterwürfigen Dienst-Verständnisses zurecht. Diese wiederentdeckten Aspekte von Diakonie passen hervorragend zur Verwendung von „Diakonie“ in LG 29: „diaconia liturgiae, verbi et caritatis“.

      Alle drei Wesensvollzüge der Kirche sind Diakonie als bevollmächtigter Auftrag, d.h. als sakramentale Sendung der Kirche, der bzw. die ihr von ihrem Herrn in der Kraft Seines Geistes anvertraut ist: die Feier des Glaubens, die Verkündigung des Evangeliums und die organisierte Praxis der Nächstenliebe besonders für „die Armen und Bedrängten aller Art“ (GS 1). Ihre – stets unvollkommen bleibende, aber doch anfanghafte – Realisierung schafft jene koinonia oder communio, der es zuerst um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit geht (vgl. Mt 6,33).

      Für alle drei Wesensvollzüge ist somit die (kenotisch bleibende) „diaconia Christi“ als Sendung Christi „Raum“, innere Form und Maß allen liturgischen, verkündenden und caritativen Tuns. Sie ist Selbstmitteilung (Offenbarung und Ereignis) der Liebe (=Agape=Caritas) Gottes selbst. Für die organisierte Nächstenliebe der katholischen Kirche zeigt sich darum, wie glücklich die Wahl des Namens „Caritas“ für die gemeinsame Verwirklichung