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Kirche der Armen?


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es sucht zu lieben „wie ich euch geliebt habe“ (Joh 13,34; 15,12). Es hat in der Diakonie der Kirche absolute Priorität (und damit Erneuerungspotenzial).

      Jesu Proexistenz wirkt weiter in der Proexistenz des Volkes Gottes „mitten in der Welt“, die – in allen seinen Wesensvollzügen, besonders und zuerst aber in seinem (kenotischen) Dasein und tätigen „Dazwischengehen“ für einander und für alle Menschen in Not – Gottes besondere Option für die Armen und Leidenden widerspiegelt. So wirkt es (prophetisch, priesterlich, königlich) daran mit, dass Sein Reich komme (Mt 6,10) – in konkreten Dienstleistungen, im Stiften von Solidarität, in politischer Anwaltschaft und in der (Bildung und) Befähigung zu solcher Praxis.

      Zugleich macht sie mit dem Blick und Geist Jesu frei dafür, alle Wirklichkeiten auch außerhalb der sichtbaren Kirche mit Freude wahrzunehmen, anzuerkennen und ggf. mit ihnen zusammenzuwirken, in denen auch Gottes Reich und seine Gerechtigkeit anbrechen und agape (caritas) realisiert werden kann.

       3. Johann Pock

      Das griechische Wort „diakonia“ meint zunächst einfach den „Dienst“. Im Neuen Testament bezeichnet es die Gesamtheit der fürsorgenden Tätigkeiten.

      Als eine Grunddimension der Kirche verpflichtet sie diese zu einer dienenden Grundhaltung – und zwar in allen ihren Handlungen. Nach dem Kirchenverständnis des II. Vatikanums liegt die Identität der Kirche in ihrem Gesendet-Sein, in ihrer Hingabe hinein in die Welt und mit der Welt: Ohne diesen Weltbezug ist sie nicht die Kirche Christi. Damit ist Diakonie eine Form der Evangelisierung – der Verkündigung der Botschaft Jesu in konkreten Werken.

      Der Maßstab für die Diakonie sind die Reich-Gottes-Kriterien (Mt 25), weshalb sie eine zuinnerst soziale und politische Ausrichtung der Kirche bedingt.

      Im Verständnis von Diakonie kann man verschiedene Akzente setzen. Hermann Steinkamp hebt die politische Dimension in Form der Sozialpastoral hervor – mit dem Schwerpunkt auf der Veränderung ungerechter Verhältnisse und weniger in der (systemstabilisierenden) Hilfe.

      Diakonie kann auch verstanden werden als das „absichtslose“ Helfen (das nicht hilft, um selbst davon zu profitieren oder um Menschen dadurch zu missionieren); das Maß des Helfens ist der/die Andere, was sich wiederum in der Achtung der Freiheit des Menschen begründet.

      Diakonie hat sich schließlich auch in der Ämterstruktur der Kirche abzubilden: einerseits als „dienende“ Ausrichtung aller Ämter; andererseits als amtliche Repräsentanz des faktischen Handelns. Deshalb ist das Diakonenamt, welches Christus als jenen repräsentiert, der sich „für alle Menschen“ zum Diener und „Sklaven“ gemacht hat, auch für Frauen zu öffnen.

      Meine Kurzformel lautet: Diakonie meint das absichtslose Handeln von ChristInnen, das Maß nimmt am Handeln Jesu und das als dienende Grundhaltung alle Dimensionen der Kirche wie auch ihre Ämterstruktur prägt.

       Gerechtigkeit

       1. Norbert Mette

      Entsprechend dem Axiom von der Einheit der Gottes- und Menschenliebe besteht die Praxis des christlichen Glaubens in zwei Grundvollzügen: dem „Beten und Tun des Gerechten unter den Menschen“ (D. Bonhoeffer).

      Den biblischen Zeugnissen in beiden Testamenten zufolge hat sich Gott als der offenbart, der Gerechtigkeit ist und Gerechtigkeit will. Durch sein Handeln bewirkt er Gerechtigkeit und eröffnet er den Menschen die Möglichkeit, in Freiheit ihrerseits Gerechtes untereinander zu tun. Gottes „Tun des Gerechten“ besteht darin, die, die ihrer Rechte beraubt worden sind, wahr-zu-nehmen, sich von ihrer Not anrühren zu lassen und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen, in Freiheit miteinander leben zu können.

      Diesen Gott, der für die Bedrängten und Unterdrückten, für die der „Fülle des Lebens“ (Joh 10,10) Beraubten Partei ergreift, zu erkennen und zu ehren, ist seitens der Menschen an eine entsprechende Praxis gebunden. „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit …“ (Mt 6,33).

       2. Regina Polak

      „Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben!“ (Mt 6,33). Das Streben nach der Gerechtigkeit des Reiches Gottes steht im Zentrum des Evangeliums Jesu Christi und beschreibt eine ebenso spirituelle wie soziale und politische Praxis.

      Laut biblischem Zeugnis ist Gerechtigkeit zuerst eine Eigenschaft Gottes: Er sieht das Elend seines Volkes, hört seine Klage, kennt sein Leid und kommt ihm zu Hilfe (Ex 3,7). Die Gerechtigkeit Gottes ist also – im Unterschied zum griechischen Mythos – nicht blind und abstrakt, sondern sieht das Leid der Armen und hat Erbarmen. Deshalb ist diese Art der Gerechtigkeit auch parteiisch: Sie gibt den Armen Vorrang und nimmt die Reichen in die Pflicht. Sie zielt auf die Gleichheit der Menschen, auf eine gerechte Verteilung der Güter und Teilhabemöglichkeiten für alle Menschen einer Gesellschaft. Die Armen dürfen daher nicht nur mit Almosen abgespeist werden, sondern haben Rechte. – Weil Gott gerecht ist, können und müssen auch die Menschen als sein Abbild gerecht sein.

      Spirituell bedeutet dies, Erbarmen (Mitgefühl) zu lernen und Gerechtigkeit als Tugend zu üben. Politisch verpflichtet dies dazu, an einer Gesellschaftsordnung mitzuwirken, die ihre ethische Qualität an einem guten Leben der Armen bemisst. Die Gerechtigkeit ist daher die Form der Liebe zu den Armen.

       3. Alois Riedlsperger

      „Gerecht“ ist ein Grundwort. Es meint richtig, entsprechend – im Sinne eines Maßstabs: Gleiches gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln oder jedem das Seine, das ihm Entsprechende zu geben. Dabei sind nach Situation und Kontext die Kriterien für diesen Maßstab zu diskutieren und zu bestimmen.

      Das Wort „gerecht“ wird in unterschiedlichen Zusammenhängen genutzt: für menschliche Handlungen und ihre Beurteilung (z.B. bei Entlohnung, im Sport, vor Gericht), für soziale Regeln (z.B. Gesetze, Verfahrensweisen), für Beziehungen zwischen Personen und Gruppen in der Gesellschaft (z.B. Besserstellung, Benachteiligung). Im politischen Prozess bezieht sich „gerecht“ auf „Soziale Gerechtigkeit“.

      Mit der Verarmung der Arbeiterschaft in der Industriellen Revolution wird damit ein Gesellschaftssystem als gerecht bezeichnet, das auf das Gemeinwohl im Sinne des Wohls aller und eines jeden abzielt. Mit der Globalisierung geht es um eine „Gerechte Weltordnung“ im Sinne eines weltweiten Gemeinwohls, mit dem Klimawandel um „ökologische“ und „Generationengerechtigkeit“ als politische Aufgabe.

       2. Kontexte

       Armut in Westeuropa

      Situation und Herausforderungen

      Martin Schenk

      Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Armut in den westeuropäischen Ländern, ihren Ausprägungen und ihren Unterschieden. Dazu werden die wichtigsten Indikatoren zu Rate gezogen und die Ergebnisse in den Kontext sozialstaatlicher Sicherung gesetzt. Aus den sozialempirischen Daten wird auf die Herausforderungen geschlossen, mit denen sich Armutsbekämpfung und -vermeidung in Westeuropa aktuell konfrontiert sieht. Dabei kommen Wohnen, Gesundheit, sozialer Aufstieg, Pflege, Prekarität und die Suche nach Anerkennung in den Blick.

       1. Armut: Verhältnis, Freiwilligkeit und Freiheit

      Armut setzt sich stets ins Verhältnis. Sie manifestiert sich in reichen Ländern anders als in Kalkutta. Menschen, die in Österreich von 700 € im Monat leben müssen, hilft es wenig, dass sie mit diesem Geld in Kalkutta gut auskommen könnten. Die Miete ist hier zu zahlen, die Heizkosten hier zu begleichen und die Kinder gehen hier zur Schule. Deshalb macht es Sinn, Lebensverhältnisse in den konkreten Kontext zu setzen. Armut ist weniger ein Eigenschafts- als ein Verhältniswort.

      Die Ohnmacht: Armut ist das Leben, mit dem niemand tauschen will. Hier geht es nicht um freiwillig gewählte Armut wie sie zum Beispiel von Mönchen oder Asketen praktiziert wird. Freiwillig gewählte Armut braucht einen Status, der den Verzicht zur Entscheidung erhebt. Unfreiwillige Armut sieht anders aus. Armutsbetroffene haben die schlechtesten Jobs,