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Kirche der Armen?


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man die Gesellschaft in drei soziale Schichten, finden sich bei Kindern in der unteren Schicht mehr Kopfschmerzen, Nervosität, Schlafstörungen und Einsamkeit. Wo Sicherheit fehlt, wird die kritische Phase des Einschlafens doppelt schwierig. Und der stressige Alltag unter finanziellem Dauerdruck erreicht auch die Kinder und zwingt sie, sich den Kopf zu „zerbrechen“. Die sozialen und gesundheitlichen Ungleichheiten, die in der Kindheit auftreten, haben eine hohe Prognosewirkung für die Morbidität im Erwachsenenalter. Diese Kinder tragen die soziale Benachteiligung als gesundheitliche Benachteiligung ein Leben lang mit. Sie sind auch als Erwachsene deutlich kränker als der Rest der Bevölkerung. Arme Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen.

      Wenn ich mit der Straßenbahn vom ärmsten Wiener Gemeindebezirk, Fünfhaus, in den reichsten – nach Hietzing – fahre, dann liegen dazwischen einige Minuten an Fahrzeit, aber auch fünf Jahre an Lebenserwartung der jeweiligen Wohnbevölkerung. Betrachtet man nicht nur die Armut, also diejenigen im untersten Segment, sondern die gesamte Gesellschaft, dann zeigt sich bei steigender sozialer Ungleichheit eine Verschlechterung der gesundheitlichen Lebensbedingungen. Die Lebenserwartung sinkt, Kindersterblichkeit steigt, Teenager Birth Rate nimmt zu und die Aufstiegschancen für Kinder sinken (Abb. 4). Der Index umfasst: Lebenserwartung, Analphabetismus & mathematische Fähigkeiten, Kindersterblichkeit, Mordraten, Anzahl an Häftlingen, Schwangerschaften von Jugendlichen, Vertrauen, Fettleibigkeit, Ausmaß an psychischen Erkrankungen (inkl. Drogen- und Alkoholmissbrauch) & soziale Mobilität.

       Abb. 4 : Soziale Ungleichheit wirkt sich negativ auf gesundheitliche und soziale Entwicklung aus18

      Die Ergebnisse zum Einfluss von Armut und sozialem Status auf die Gesundheit in Westeuropa entsprechen den Forschungsergebnissen, die international seit Jahren vorliegen.19 Das Bild ist überall das gleiche: Mit sinkendem sozialem Status steigen die Krankheiten an, die untersten sozialen Schichten weisen die schwersten Krankheiten auf und sind gleichzeitig mit der geringsten Lebenserwartung ausgestattet. Es lässt sich eine soziale Stufenleiter nachweisen, ein sozialer Gradient, der mit jeder vorrückenden Einkommensstufe die Gesundheit und das Sterbedatum anhebt.

      Maria hat drei Kinder, eines ist krank und braucht eine spezielle Therapie. Das geht sich dann nicht aus, sagt sie. Kleinigkeiten? Nein, das sind die wichtigen Faktoren für die Entwicklung von Kindern: Gesundheit, Anerkennung, Förderung – keine Beschämung und keine Existenzangst. Die Streichungen bei der Wohnbeihilfe in England führten zu einem zehnprozentigen Anstieg von psychischen Problemen bei Personen aus Niedrigeinkommenshaushalten, wie Studien der Universität Oxford zeigen. 20

      4.3. Bildung und sozialer Aufstieg

      Kinder und Jugendliche, die in Haushalten mit niedrigem Einkommen aufwachsen, haben Nachteile, die in mehreren Bereichen sichtbar werden. Die Gefahr des sozialen Ausschlusses zeigt sich in den geringeren Möglichkeiten, Freunde einzuladen, Feste zu feiern und an kostenpflichtigen Schulaktivitäten teilzunehmen. Diese sozialen Teilhabemöglichkeiten sind erst ab mittlerem Einkommen für fast alle Kinder leistbar.21 Soziale Ungleichheit hat Folgen und geht unter die Haut.

      Die Chance, aus der Armut herauszukommen, steht in enger Wechselbeziehung zu gesellschaftlicher Polarisierung insgesamt. Je sozial gespaltener eine Gesellschaft ist, desto mehr Dauerarmut existiert. Je mehr Dauerarmut existiert, desto stärker beeinträchtigt sind die Zukunftschancen sozial benachteiligter Kinder. Je früher, je schutzloser und je länger Kinder der Armutssituation ausgesetzt sind, desto stärker die Auswirkungen.

      Das Schulsystem hat eine starke Hebelwirkung, wenn es darum geht, den Teufelskreis der „Vererbung“ von Armut zu durchbrechen. Johann Bacher, Soziologieprofessor an der Universität Linz,22 nennt drei Faktoren, die eine Rolle spielen: erstens: Das österreichische Schulsystem delegiert sehr viele Aufgaben an die Eltern, gerade die Bildungsaufgaben. Daher hängt viel davon ab, ob die Eltern unterstützen können oder nicht. In der Soziologie wird das als primärer Schichteffekt bezeichnet. Zweitens: die Selektion. Österreich trennt die Kinder zu früh. Je früher die Trennung, desto weniger spielt der Leistungseffekt eine Rolle, desto stärker wirkt der soziale Hintergrund bei der Bildungsentscheidung. Dies wird als sekundärer Schichteffekt bezeichnet. Drittens: die soziale Zusammensetzung in der Schule. Schulen in ärmeren Vierteln mit Arbeitslosigkeit oder niedrigerem Status wirken sich ungünstig auf die Bildungschancen der Kinder aus. Das nennen wir soziale Kontext- bzw. Kompositionseffekte. Eine überbelegte Wohnung fällt zusammen mit einer Halbtagsschulordnung. Wenig Einkommen trifft auf ein einkalkuliertes Nachhilfesystem. Keine Unterstützung zu Hause kommt mit eigener Erschöpfung und Unkonzentriertheit zusammen.

      Ein sozial selektierendes Bildungssystem mit Tendenz zu homogenen Gruppen blockiert sozialen Aufstieg. Trotz der im europäischen Vergleich geringen Kinderarmut schneidet Österreich in den sozialen Aufstiegschancen nach oben nur durchschnittlich ab. Hohe Bildung und damit hohes Einkommen, hohe berufliche Position der Eltern bedeuten im hiesigen Schulsystem viel bessere Testleistung als Kinder aus Elternhäusern mit weniger Bildung und Einkommen. In anderen EU-Ländern ist dieser Abstand geringer.23

      4.4. Pflege und Altersarmut

      PflegegeldbezieherInnen in Privathaushalten müssen mitunter – auf Grund ihrer geringen Einkommen und gleichzeitig hoher Ausgaben – mit einer überaus prekären Lebenssituation zurande kommen. Armutsbetroffene werden im Alter öfter krank und pflegebedürftig sein als Ältere mit hohen Pensionen, aber gleichzeitig weniger Geld zur Bezahlung sozialer Dienstleistungen zur Verfügung haben. Besondere Gefährdung besteht für alleinstehende Frauen in der Pension.

      Zu geringe Investitionen in Dienstleistungen lassen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen allein und Potentiale im Dienstleistungssektor brach liegen. Die sozialen Dienstleistungen wie Kinderbetreuung oder Pflege liegen in Österreich unter dem EU-Durchschnitt. Auch der Anteil der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitssektor ist unterdurchschnittlich (Abb. 5). Hier stellt sich die Frage der Verteilung der „Care-Arbeit“ zwischen den Geschlechtern und innerhalb der Gesellschaft.

       Abb. 5: Anteil der Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitssektor an den Beschäftigten insgesamt, 1995–201524

      4.5. Prekarität und Working Poor

      Jetzt schon leben an die 200.000 Menschen in Österreich in Haushalten, in denen der Verdienst trotz Erwerbsarbeit nicht reicht, um die eigene Existenz und die der Kinder zu sichern. Unfreiwillige Ich-AGs, Generation Praktikum, Abstiegsbiographien sind hier die Stichworte. Ein niedriges Erwerbseinkommen schlägt sich weiters in nicht-existenzsichernden Sozialleistungen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und in der Pension nieder. Wer sein Leben lang in prekären Jobs arbeitet, wird keine ausreichende Pension erhalten; das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe sind so gering, dass man im Falle eines Jobverlusts damit keinen Tag überleben kann. Und die eigene Krankenversicherung kann unsicher werden. „Prekär“ heißt ja wörtlich nicht nur „unsicher“, sondern lateinisch eigentlich „auf Widerruf gewährt“, „auf Bitten erlangt“. Da steckt der geringe Umfang an Kontrollchancen und Handlungsspielräumen bereits im Begriff.

      Serge Paugam unterscheidet zwischen der Prekarität von Beschäftigung und der Prekarität von Arbeit.25 Die Beschäftigung ist demnach dann prekär, wenn es unsicher ist, die berufliche Zukunft nicht überblickt werden kann, eine starke ökonomische Verwundbarkeit aufweist und mit einer partiellen Einschränkung von sozialen Rechten einhergeht. Davon zu unterscheiden ist die Prekarität von Arbeit, die unabhängig von der Form des Beschäftigungsverhältnisses dann vorliegt, wenn damit das Gefühl verbunden ist, dass sie nicht von Belang und schlecht bezahlt ist, wenig Anerkennung im Unternehmen erhält und der Beitrag zur gesellschaftlichen Produktion keinerlei Wertschätzung erfährt.

      4.6. Achtung und Anerkennung

      Mangelnde Transparenz und Mitbestimmung sind gerade im kontinentaleuropäischen Sozialstaatsmodell große Herausforderungen: Arbeitslose am Arbeitsamt, Patienten in Spitälern, Wohnbevölkerung ohne Wahlrecht, Mitbestimmung in den Sozialversicherungen etc.26 Hier