Rainer Schneuwly

Bilingue


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und Bern – schon zur Förderung der Zweisprachigkeit in den Schulen gegeben hat. Ich hebe vielmehr gewisse aussagekräftige Aspekte hervor, zum Beispiel eben den alltäglichen Sprachgebrauch in Biel und in Freiburg und die unterschiedliche Beschilderung von Strassen und Plätzen.

      Dieses Buch stützt sich auf zahlreiche Gespräche mit Bewohnerinnen und Bewohnern Biels und Freiburgs, die beiden Stadtpräsidenten inklusive. Weitere Quellen sind eigene Erlebnisse, zahlreiche Publikationen über die beiden Städte und ihren Bilinguismus sowie mein eigenes umfangreiches Archiv zum Thema.

      Mein Ziel ist es, den Leserinnen und Lesern die beiden Städte Biel und Freiburg mit ihrer faszinierenden Besonderheit, der Zweisprachigkeit, näherzubringen. Das Buch soll auch aufzeigen, welche Stellung die zwei Städte innerhalb ihrer Kantone haben. Wer sich für Sprache, Sprachpolitik und Sprachgeschichte interessiert, soll auf seine Kosten kommen. Das Buch selbst ist in einer Sprache geschrieben, die für alle gut verständlich sein soll.

      Freiburg ist eine Brückenstadt – im eigentlichen und im übertragenen Sinn. Einerseits weist die auf einem Plateau hoch über der Saane erbaute Zähringerstadt tatsächlich viele Brücken auf (im Bild die 2014 eingeweihte Poyabrücke). Andererseits schlagen Stadt und Kanton Freiburg Brücken von der Deutschschweiz in die Romandie und umgekehrt. (Bild: Charles Ellena)

      Die Bieler Altstadt, die sich ziemlich weit vom Bahnhof entfernt am Fuss einer Jurafalte befindet, bleibt Biel-Besuchern, die sich nur im Stadtzentrum bewegen, verborgen. Aus der Vogelperspektive zeigt sich ihr Charme. Im Vordergrund die Stadtkirche, hinten rechts die Französische Kirche, dahinter der Bielersee mit der St. Petersinsel. (Bild: Matthias Käser/Bieler Tagblatt)

      Einführung

      Von Christophe Büchi

      Schweiz, wie hast Du’s mit der Mehrsprachigkeit?

      Ausländische Gäste, welche die Schweiz bereisen und sich für die Sprachensituation unseres Landes interessieren, sind oft überrascht. Wissend, dass sie in ein offiziell viersprachiges Land gekommen sind, meinen sie, dass auch die meisten Schweizerinnen und Schweizer viersprachig oder zumindest mehrsprachig sind. Sie erwarten, dass sie sich in der Schweiz ein lustiges Sprachengemisch anhören können und stellen dann überrascht fest, dass sich dieser viersprachige Staat aus vier weitgehend einsprachigen Sprachregionen zusammensetzt; dass die Mehrzahl der Bewohner dieses Landes, wie das auch in den umgebenden Staaten der Fall ist, im Alltag meist nur eine einzige Sprache spricht; und dass die Zahl der Schweizer, die sich fliessend in mehr als einer Landessprache ausdrücken kann, weit weniger gross ist, als dies in der Ferne oft angenommen wird.

      Natürlich ist dieser Befund zu nuancieren. Er trifft vor allem für die Bewohnerinnen und Bewohner der beiden grössten Sprachregionen zu, also für die Deutschschweizer und die Romands. Tatsächlich wird in der Deutschschweiz an den meisten Orten fast durchwegs Deutsch – oder genauer: Schweizerdeutsch – gesprochen, in der französischen Schweiz fast durchwegs Französisch (die Dialekte wurden hier seit Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgreich ausgejätet). Daneben hört man auf den Strassen und den Bauplätzen der Deutschschweiz und der Romandie eine Vielzahl von Immigrationssprachen, und in den Büros mehr und mehr auch Englisch.

      Die anderen Landessprachen dagegen fristen eher ein Mauerblümchendasein. Italienisch hört man in der Deutschschweiz und in der französischen Schweiz immer weniger, nicht zuletzt deshalb, weil die Kinder und Grosskinder der italienischen Gastarbeiter längst Schweizerdeutsch oder Französisch sprechen, und weil die Einwanderer aus Italien, die in den 1960er-Jahren den fremdenfeindlichen Bewegungen als rotes Tuch dienten, längst von Menschen aus weit exotischeren Ländern abgelöst wurden. Die französische Sprache, die in der deutschen Schweiz einst als chic galt, ist dort im Rückzug, weil der weltweite Siegeszug des angloamerikanisch dominierten Way of Life zum Niedergang des Prestiges der französischen Kultur geführt hat.

      Die Stellung der deutschen Kultur und Sprache in der welschen Schweiz schliesslich war – hélas! – schon immer eine prekäre, zwei Weltkriege und die nationalsozialistische Barbarei haben sie noch zusätzlich und dauerhaft beschädigt. Dass Deutschland und vor allem Swinging Berlin in den letzten Jahren bei der welschen Jugend im Schwange war, hat den historischen Niedergang nicht dauerhaft gebremst. Und die welschen Abwehrreaktionen gegen die Deutschschweizer Mehrheit sowie die alemannische Liebe zu den schweizerdeutschen Dialekten tragen das Ihre dazu bei, den meisten Romands allein schon die Idee auszutreiben, dass man Deutsch wirklich lernen könnte. Versuchen Sie, in der internationalen Stadt Genf eine Auskunft in deutscher Sprache zu bekommen: Sie können es ebenso gut auf Finnisch versuchen! Dass alle Genfer Schülerinnen und Schüler flächendeckend während der obligatorischen Schulzeit mehrere Jahre Deutschunterricht verabreicht bekommen, ändert überhaupt nichts daran, im Gegenteil. Wer sich nach den Gründen für die Unkenntnis erkundigt, bekommt von Romands oft die erbauende Auskunft: «Ich kann nicht Deutsch, ich habe es in der Schule gelernt». Damit ist auch schon alles gesagt. Arme Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer. Sisyphus im Klassenzimmer …

      Mit anderen Worten: In der französischen Schweiz ist Französisch im Alltag fast so beherrschend wie in Frankreich, in der Deutschschweiz ist Deutsch fast so dominant wie in Deutschland. Eine Ausnahme bilden allerdings die Agglomerationen Freiburg und Biel/Bienne, die an der «Sprachgrenze» – oder um es sympathischer zu sagen: entlang der deutsch-französischen «Kontaktzone» – gelegen sind. Hier durchmischen sich Deutsch und Französisch in einem gewissen Mass, allerdings auf sehr unterschiedliche Weise, wie der Autor der vorliegenden Darstellung im Detail nachweist. Aber selbst in diesen beiden Agglomerationen kann, so scheint mir, von einem flächendeckenden Bilinguismus nicht gesprochen werden. Und noch weniger ist dies an der Walliser Sprachkontaktzone um Sierre (Siders) der Fall, wo sich der Bilinguismus im Verlauf der Jahrzehnte eher noch zurückentwickelt hat.

      Etwas anders sieht es dagegen bei den «Hyper-Minoritären» aus, will sagen: bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der italienischsprachigen und erst recht der rätoromanischen Schweiz. Hier ist die Anzahl der Personen, die regelmässig zwischen ihrer Muttersprache und einer anderen Landessprache «switchen» und auch mehrere Landessprachen wirklich beherrschen, bemerkenswert hoch; bei den Schweizer Sprachminderheiten zeigt es sich eben – wie in anderen Ländern auch –, dass es keine bessere Sprachlehrerin gibt als die pure Notwendigkeit.

      Wenn die Mehrsprachigkeit ein Identifikationsmerkmal der Swissness darstellt, kann man mit Fug und Recht sagen, dass die Angehörigen der kleinen Sprachminderheiten die besten und eigentlich die einzigen typischen Schweizer sind. Übrigens trifft dies auch auf viele Menschen mit Migrationshintergrund zu, die oft von ihrer Biografie her zur Mehrsprachigkeit «verdammt» sind. Nur wer sesshaft ist, kann es sich leisten, einsprachig zu sein.

      Viersprachiger Staat, weitgehend einsprachiger Alltag? Eine weitere Einschränkung dieses etwas plakativen Befunds ist angebracht. Natürlich gibt es in der Schweiz mehr als in offiziell einsprachigen Staaten eine ganze Reihe von staatlichen, parastaatlichen und privaten Organisationen, in denen mehrere Landessprachen gesprochen und geschrieben werden. Dies gilt in der Schweiz besonders für all jene nationalen – «eidgenössischen» – Institutionen, die an das in der Bundesverfassung festgeschriebene Prinzip der Viersprachigkeit gebunden sind. Allerdings ist es eine altbekannte Tatsache, dass die vier Landessprachen, von denen drei (Deutsch, Französisch und Italienisch) als vollberechtigte Amtssprachen und eine weitere (Rätoromanisch) als «fast vollberechtigte» Amtssprache anerkannt sind, zwar im Prinzip gleich sind, einige aber etwas gleicher als andere. Konkret: In der Bundesverwaltung, aber auch im Bundesparlament und in vielen anderen eidgenössischen Instanzen, wird eine Art temperierte Mehrsprachigkeit gepflegt, bei der Deutsch dominiert und Französisch zumindest respektiert wird. Italienisch als terza lingua spielt aber eine nur sehr untergeordnete Rolle, vom Rätoromanischen gar nicht zu sprechen. Die Eidgenossenschaft ist viersprachig in ihrem Prinzip. In der Realität ist Mutter Helvetia eher zweieinhalbsprachig.

      Die Feststellung, dass die Schweiz zwar ein offiziell viersprachiger Staat ist, die meisten