Lagger, eine 39-jährige Restauratorin französischer Muttersprache, stammt aus dem Kanton Wallis und spricht sehr gut Deutsch. Sie hat in Freiburg einen Job gefunden. Auf die Frage, ob sie die Stadt zweisprachig wahrnehme, sagt sie, Freiburg sei für sie ganz klar französisch geprägt mit einer deutschsprachigen Minderheit.
Munteres Hin und Her in Biel und Freiburg
In Biel und Freiburg wird nicht nur Deutsch und Französisch respektive Deutsch oder Französisch gesprochen. Manchmal reden beide Sprachen beherrschende Bieler und Freiburger auch wild durcheinander Deutsch und Französisch. Der Welschbieler Journalist Jean-Philippe Rutz sagt, Sätze wie etwa «on schwenze» («wir schwänzen») oder «il s’est fait schlaguer» seien in der Schule früher gang und gäbe gewesen. Noch heute würden solche Sätze kreiert.
In Freiburg ist dieses Hin-und-her-Wechseln zwischen den Sprachen als «Bolz» bekannt. Ursprünglich galt es als «Sprache der Freiburger Unterstadt», es ist aber keine Sprache und auch kein Dialekt, sondern einfach ein Mix aus Senslerdeutsch und Französisch. Die dort lebenden Deutschsprachigen waren darauf angewiesen, gut Französisch zu sprechen, sie wuchsen in gemischtsprachigen Familien auf oder spielten in der Freizeit mit französischsprachigen Kindern. Sie waren – respektive sind – dermassen in beiden Sprachen «zu Hause», dass sie beide verwenden.
Die Freiburgerin Fränzi Kern-Egger hat das Bolz in zwei Büchern verewigt. Sie heissen «Üsa Faanen isch as Drapùù» («Unsere Fahne ist ein ‹drapeau›»; von frz. le drapeau, die Fahne) und «D Sùnenerschyy vam ‹Soleil Blang›» («Die Sonnenenergie des ‹Soleil Blanc›» – das «Soleil Blanc» ist ein Restaurant in der Freiburger Unterstadt).3
Kern-Eggers Geschichte «De Foppalmatsch» im erstgenannten Buch beginnt wie folgt: «Lösch Sùnntig bǜn i so gäg di öufi anni i ds ‹Tannöör› yy, bǜ det im en a Eggeli ùf en as Tabure ghocket ù han as Ggaaffi ù Le bschtöut. A Blätz wyt va mier syna zwee Ùnderstettler zäme ghocket. Bǜm ena Baalong Wyyssa hii si ùber e Foppalmatsch dysggüttiert, wa sich am Samschtig am Aabe zwǜschen ‹Etuaal-Spoor› ù ‹Ssangtral› ùf ùm Terraingj hinder de Gäärte derulii het.»
Fränzi Kern-Egger besuchte also an einem Sonntag gegen elf Uhr morgens das Restaurant Les Tanneurs in der Freiburger Unterstadt. In einer Ecke setzte sie sich auf einen Hocker (auf ein «tabouret», frz.) und bestellte einen Milchkaffee (Café au lait). Ein Stück weit entfernt von ihr sassen zwei Unterstädtler beieinander. Bei einem kleinen Glas («un ballon») Weisswein diskutierten sie über das Fussballspiel, das am Samstagabend zwischen Etoile-Sport und Central Freiburg – zwei Fussballklubs der Freiburger Unterstadt – ausgetragen worden war. Fränzi Kern-Egger spricht vom «Foppalmatsch», da für Fussball das französische Wort «le football» verwendet wird. Und das ü im Wort «dysggüttiert» steht da, weil Kern-Egger damit die französische Aussprache des Verbs diskutieren benützt. Der Match «s’est déroulé»; er fand statt, und zwar auf dem «Terraingj», also dem Fussballfeld mit dem Namen «Hinter den Gärten» an der Saane.
Das Bolz ist letztlich das, was Linguisten Code-Switching nennen und was etwa Secondos aus Italien praktizieren. Sie wechseln ja auch fliessend und innerhalb eines Satzes von Italienisch auf Schweizerdeutsch und zurück. Allerdings gibt es laut Fränzi Kern-Egger einige Bezeichnungen, welche man in der Freiburger Variante des Code-Switching nie je in Deutsch verwenden würde, etwa Eislaufen. Dafür wird der Begriff patiniere (von frz. patiner) verwendet. Für den Freiburger Germanisten Walter Haas überwindet dieser Umgang mit den zwei Sprachen die Sprachgrenze, oder besser: Er lässt die Grenze verschwinden.
«Biels Zweisprachigkeit schadet der Sprache!»
In den 1920er-Jahren wurde eine öffentliche Diskussion darüber geführt, ob die Zweisprachigkeit in Biel dem guten Deutsch oder dem guten Französisch schaden würde. Lanciert wurde die Debatte von den Redaktoren des Bieler Jahrbuchs im Jahr 1927. Das Bieler Jahrbuch ist ein Werk, in welchem seit gut hundert Jahren mehrere Autorinnen und Autoren Artikel zu aktuellen Themen publizieren. Die Jahrbücher enthalten jeweils auch die «Bieler Chronik», welche stichwortartig die wichtigsten Ereignisse chronologisch wiedergibt.
Grundtenor der Beiträge von Heinrich Emil Baumgartner (dem deutschsprachigen Redaktor der Ausgabe 1927) und Adolphe Kuenzi (dem französischsprachigen Redaktor) war, dass die Qualität der Sprache leidet, wenn Deutsch ständig auf Französisch trifft und umgekehrt.4 Bieler gingen in der Regel unbefangen mit Sprache um, mischten sorglos Deutsch und Französisch, so Baumgartner. «Das trägt die Hauptschuld, dass wir heute in Biel weder eine bodenständige Mundart, noch ein anständiges Schriftdeutsch und Französisch hören.»
Das französische Wort suche heute «unsere Bieler Sprache geradezu heim», fährt Baumgartner fort und bringt Beispiele für «deutsch-französische Redensarten» wie «es Faible ha» und «mach doch nit gäng söttigi Sottise» («Mach doch nicht immer solche Dummheiten»). In behördlichen Erlassen zeige sich «die starke Durchdringung des Schriftdeutschen mit französischen Wörtern» ebenfalls: «Die gemachten Bemerkungen sind zu notieren», «Er war wegen Indisposition ersetzt worden.»
Kuenzi bringt Beispiele für die schlechte, vom Deutschen beeinflusste Verwendung des Französischen, etwa «il veut pleuvoir» (berndeutsch: «es wott cho rägne», auf gut Französisch etwa «il semble qu’il va pleuvoir») oder «Tu m’es au chemin» («Du bist mir im Weg»). Kuenzi sieht durchaus auch Vorteile der Zweisprachigkeit, verteufelt sie keineswegs, verlangt aber – wie Baumgartner – nach einem besonderen Effort der Bieler bei der Pflege ihrer Sprache.
Der Einfluss der Zweisprachigkeit auf die Sprache der Bielerinnen und Bieler wird auch in Bieler Jahrbüchern späterer Jahre hin und wieder thematisiert, so etwa im Jahr 1981. In einem Beitrag dieses Jahrgangs ist die Rede von Übersetzungen wie «Entrée défendue» (für «Betreten verboten», auf Französisch eigentlich «Défense d’entrer» – «Entrée defendue» meint eher «Eintreten wird bekämpft»), «Danger de vie!» («Lebensgefahr»; auf Französisch üblicherweise «Danger de mort!»).5
«Mit tollkühner Selbstverständlichkeit» setzten Stadtangestellte deutscher Muttersprache immer wieder «die lustigsten französischen Sprachgebilde» in die Welt, schreibt der damalige städtische Übersetzer Jacques Lefert im Bieler Jahrbuch von 1992.6 Er stelle aber mit Befriedigung fest, so Lefert weiter, dass dies in Biel zu keinen wilden Auseinandersetzungen führe. «Toleranz […] wird am Jurasüdfuss gross geschrieben.»
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