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Jahrbuch der Akademie CPH - Anregungen und Antworten


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wonach sich Kreativität in den unterschiedlichen Betätigungsfeldern wie Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft höchst unterschiedlich ausprägen kann. Nun, die Herausforderungen sind in allen Bereichen groß: Wir brauchen viel Kreativität, um allen Menschen ein Leben zu ermöglichen, das auch ihre Menschlichkeit und Kreativität zulässt. Die Ermöglichung von Kreativität hat die Fähigkeit, ein Motor zur Entfaltung des Menschlichen zu werden. Das Ziel individuellen Lebens, zu einem Mehr an Menschlichkeit beizutragen, wie es die unterschiedlichsten Religionsgemeinschaften definieren, braucht diesen Antrieb. Es gilt, eine Welt zu gestalten, in der jeder Einzelne seine Würde und seine damit verbundenen Rechte bewahren und sich in Einklang mit den natürlichen Ressourcen entfalten und die Rahmenbedingungen für alle dafür schaffen kann.

       Globale Herausforderungen

      Im Ulmer Brotmuseum blinkt eine Lampe im letzten Raum, der sich Welternährungsfragen widmet, etwa alle fünf Sekunden lang auf. Sie soll versinnbildlichen, dass nach den Berechnungen der UN-Welternährungsorganisation weltweit alle fünf bis acht Sekunden ein Mensch an Hunger und Unterernährung stirbt. Dieses Blinken bleibt länger im Gedächtnis als die ihr zugrunde liegenden Zahlen. Von den rund 6,5 Milliarden Menschen auf der Welt leben rund 1,5 Milliarden in extremer Armut. Nach den kürzlich erschienenen Zahlen der Weltbank sind es 1,4 Milliarden. Das Schwanken liegt an der Berechnungsgrundlage. Bisher waren Menschen, die mit einem Dollar am Tag ihren Lebensunterhalt bestreiten mussten, dieser Kategorie zugeordnet worden. Nun beruht sie auf einer Rundung von 1,25 Dollar pro Person und Haushalt. Gleichzeitig rutschen durch den seit Jahren zweistelligen Wirtschaftsboom in China Millionen von Menschen aus der untersten Armutsgrenze in die relative. Bei aller Veränderung dieser Zahlen bleibt mittlerweile die Größe derer, die in Armut leben, recht konstant bei 3,1 Milliarden Menschen. Sie verfügen am Tag über weniger als zwei Dollar. Wie man auch rechnet, über Jahrzehnte sind es rund 50 % der Weltbevölkerung, die zu arm sind, um sich, wenn überhaupt, nur unausgewogene Nahrung leisten zu können, ein wenig billigen Reis und (Mais-)Brot, die keinen Zugang zu Krankenversorgung haben, geschweige denn über eine menschenwürdige Behausung verfügen oder Zugang zu gesundem Wasser haben. Allein die Todesfälle durch verunreinigtes Wasser werden jährlich auf über 200 Millionen veranschlagt. Etwa 2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu diesem elementaren Lebensmittel. In dem beeindruckenden Film „We feed the world“ kommt der Vorstandsvorsitzende Brabeck von Nestlé, der weltweit führenden Inhaberin von Wasserversorgungsnetzen, zu Wort. Sinngemäß sagt er, es gäbe Menschen, die glauben, Wasser sei ein Grundrecht aller und nicht eine Ware des Marktes. Diese Menschen würden nicht einsehen, dass erst der Markt dem Wasser seinen Wert beimisst und die Mechanismen des Marktes nach manchen nötigen Strukturanpassungen letztlich zu einer gerechteren Verteilung helfen oder führen würden. Jean Ziegler, der ebenfalls in diesem Film interviewt wird und auch als Sonderberichterstatter der UN für Welternährungsfragen vor deutlichen Worten nicht zurückschreckt, formuliert dagegen drastisch: „Wenn heute ein Mensch an Hunger stirbt, wird er ermordet.“ Unsere zivilisatorischen Errungenschaften haben seit langem einen Stand erreicht, um die natürlichen Ressourcen ohne ökologische Erschöpfung zu nutzen, um jeden einzelnen Menschen dieser Erde zu ernähren. Das Blinken im Ulmer Brotmuseum macht deutlich, welche Dimensionen Hunger hat. Aber es zeigt uns noch keine Gesichter. Die Welt der Zahlen vermag Erschrecken auslösen, gewinnt aber keine Konturen. Wer jemals durch einen Slum in Indien, eine Favela bzw. ein Barrio in Lateinamerika oder eine Müllhalde vor den Megacitys dieser Welt ging, wer jemals die ausgemergelten Gestalten auf den Feldern Indiens oder Afrikas, in den Sweatshops an den Küsten Asiens sah, wird nie mehr vergessen, dass hinter diesen 10-stelligen Zahlen einzelne Menschen stehen. Menschen, welche durch ihre Geburt die gleiche Würde in sich tragen. Menschen, denen es nicht gegeben war, im Gegensatz zur knappen anderen Hälfte der Menschheit ihre Würde, ihre Individualität und Persönlichkeit entfalten zu können. Im letzten Vierteljahrhundert konnte dem Siegeszug der neoliberalen Weltanschauung, verstärkt seit dem Zusammenbruch des Ost-West-Konfliktes, kein Einhalt geboten werden. Die Rezepte zur Lösung dieser humanitären Herausforderung haben die Probleme und die Kluft zwischen Armen und Privilegierten sogar immens vergrößert. Profitiert haben davon die multinationalen Konzerne, welche ihre Verteidiger und Ideologen in Politik und Wissenschaft unterstützen. Karl Marx hatte zurecht aphoristisch zugespitzt: „Die herrschenden Ideen sind die Ideen der Herrschenden.“ Mittlerweile haben sich viele Gegenbewegungen gebildet, die Hoffnung machen. Literarische Gegenentwürfe sowie Aktivisten und Bewegungen machen Mut, zeigen aber auch die Dominanz des neoliberalen Denkens. Was wir brauchen ist die Kraft der Kreativen! Man lese nur die Biografien der Preisträger des alternativen Nobelpreises, aber gerne auch die der offiziellen. Es gibt kreative Köpfe gegen den mainstream, es wird aber nicht ausreichen, als Einzelne gegen die herrschende Politik in dieser global vernetzten Welt anzugehen, um ein Mehr an Humanität zu schaffen. Dazu braucht es viele, vor allem in den privilegierten Weltbevölkerungsgruppen, jede und jeden einzelnen. Es braucht die Kreativität von Hinz und Kunz oder von Frau und Herrn Mustermann, um diese Welt humaner zu gestalten. Dabei ist das Ziel nicht allein ein Einsatz für hehre Ziele um eine Weltzivilgesellschaft. Eine Humanisierung beginnt damit, dass auch im kleinen Umfang die Bahnen der Ich-AG verlassen werden, um nach Alternativen zu suchen. Ein Einsatz für mehr Menschenwürde und Menschenrechte beginnt hier und sollte dann aber den Blick weiten. Der alte Slogan von lokalem Handeln und globalem Denken hat weiterhin seine Berechtigung. Dazu gehört Kreativität, die aber große Widersacher hat.

       Die überforderte Gesellschaft

      Lassen Sie mich kurz auf die Bahnhofsbuchhandlungen zurückkommen. Allein der Blick auf die Regalmeter der Literatur zu Computertechnik und Hobbys lässt erahnen, mit welchen Dingen Menschen ihre Zeit verbringen. Natürlich hat der Einzug der Personalcomputer eine neue Stufe der digitalen und damit Informationsrevolution eingeleitet. Die entsprechenden Firmen wie MICROSOFT, IBM, INTEL etc. feiern in diesen Tagen Geburtstag und sind gerade erstmal erwachsen geworden. Noch vor 20 Jahren waren Computer in Privathaushalten eine Ausnahme, heute verfügt beinahe jeder Haushalt in Deutschland über einen eigenen Internetzugang. Als man vor 20 Jahren einen Telefonanschluss ins Haus legen ließ, gab es dafür einen Anbieter und einen kleinen Apparat mit Wählscheibe, entweder grau oder orange, später hatte man auch noch die Wahlmöglichkeit grün. Heute benötigt man für die Auswahl des Anbieters, des entsprechenden Modells sogar Ratgeberliteratur (die es in den Bahnhofsbuchhandlungen zuhauf gibt). Die Wahl des passenden Handys wird zum abendfüllenden Projekt. Nun füllen die Abende aber auch noch ganz andere Projekte. Blickt man auf die Titelseiten der Zeitungen und Illustrierten, sind es viel wichtigere Fragen: die Entscheidung für die richtige Krankenversicherung, Altersvorsorge, die Weichenstellungen für die persönliche Fortbildung, Gesundheitsfragen. Der Beruf, etymologisch durchaus auf Berufung zurückzuführen, und damit auf eine lebenslange Bestimmung für eine Tätigkeit in einem Unternehmen, wurde längst zum Job. Und das bereits vorgetragene Plädoyer, die großen Fragen nach Armut und Gerechtigkeit weltweit in den Blick zu nehmen, soll nicht darüber hinwegsehen lassen, wie sehr auch hierzulande Menschen um ihre Existenz ringen. Armut ist ja ein doppeltes Phänomen: Wenn wir von primärer Armut sprechen, handelt es sich um den Mangel an grundlegenden Mitteln zur Selbsterhaltung. Aber sekundäre Armut, die nicht mehr einen der Umwelt entsprechenden Lebenswandel ermöglicht, betrifft zunehmend mehr und soll nicht bagatellisiert werden. Die Menschen in unserer Gesellschaft sind unsicher geworden, Lebensentwürfe sind für einen Großteil unserer Bevölkerung nichts Abgeschlossenes und auch nichts Langfristiges mehr. In dieser verschärften „neuen Unübersichtlichkeit“ (Jürgen Habermas) sind die Anforderungen immens gestiegen. Es mag aus diesem Blickwinkel heraus nicht verwundern, dass die Ratgeberliteratur und der Anteil an Büchern zu spirituellen Themen ebenso zugenommen haben. Noch im mittlerweile vorletzten Jahrhundert kannte man die Sparte Erbauungsliteratur. Auch diese jetzige Literatur versucht zu erbauen, den Menschen aufzubauen, der unter der Last der Anforderungen schier zusammenbricht. Natürlich sind dies gemessen an den oben zitierten Herausforderungen von Hunger und Ausbeutung Luxusfragen und man möchte mit Friedrich Nietzsche resigniert feststellen, dass jede Kulturstufe ihre eigenen Probleme schafft. Aber die Mitglieder einer überforderten Gesellschaft zwischen Hartz IV und Burnout haben keinen Freiraum mehr für Kreativität. Erst recht nicht für eine Kreativität, die ihre Energie auf Fragen der Gestaltung der eigenen Welt