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Jahrbuch der Akademie CPH - Anregungen und Antworten


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„Cage people“ in Hongkong macht Misereor auf das Schicksal all derer aufmerksam, denen das Menschenrecht auf einen angemessenen Platz zum Wohnen verwehrt wird. Mit der Ausstellung „Daheim auf zwei Quadratmetern – Vom Leben im Käfig“ will Misereor den Blick auf die unglaublich große Zahl von Menschen lenken, die inmitten aufstrebender Städte und schillernder Metropolen in bitterer Armut leben – mitten unter uns also – und doch versteckt und vergessen. Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Es geht also auch darum, auf unser nahes Umfeld aufmerksam zu machen und zu verbinden.

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       Ein Blick über die Skyline von Hongkong lässt nicht erahnen, unter welchen Lebensbedingungen Menschen hier wohnen

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       Ausstellungseröffnung „Cage People“ im Caritas-Pirckheimer-Haus am18.11.2010 (Bildnachweis: Pressestelle Kath. Stadtkirche Nürnberg – Elke Pilkenroth)

      Inmitten glitzernder Metropolen treffen wir auf unbeschreibliche Armut. Nicht nur in Hongkong, sondern in vielen Städten der Welt. Derzeit lebt bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Im Jahre 2030 werden schon drei von fünf Menschen in städtischen Ballungsgebieten leben. Das Wachstum der Städte ist ein Wachstum der Armut, denn der Anteil der armen Menschen steigt überproportional zur wachsenden Stadtbevölkerung an. Rund 100 Millionen Menschen weltweit sind bereits heute obdachlos. Das sind etwa 30-mal so viele wie die Bundeshauptstadt Berlin Einwohner hat. Schätzungsweise 2 Milliarden Menschen leben unter menschenunwürdigen Bedingungen, weil für sie kein menschenwürdiger und bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht.

      Hongkong ist ein bedrückendes Beispiel. Die Stadt hat etwa 7 Millionen Einwohner. 1,3 Millionen von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Wohnraum ist knapp in der Metropole und teuer. Für eine menschenwürdige Einzimmerwohnung im Stadtzentrum muss man im Durchschnitt über 1000 Euro pro Monat aufbringen. Für Hongkongs Arme unerschwinglich. Rund 100 000 Menschen in Hongkong können sich daher als ein Zuhause nicht mehr leisten als einen Käfig von weniger als 2 qm Größe – 20 000 von ihnen sind Kinder. Einen solchen Käfig kann man „schon“ für umgerechnet rund 120,– Euro im Monat mieten – Strom oder andere Nebenkosten meist nicht eingerechnet.

      Der Käfig, der Bestandteil der Ausstellung ist, stand vor gut einem Jahr noch mitten in Hongkong. Zwei Menschen lebten darin, mit genau den Habseligkeiten, die auch jetzt dort zu sehen sind.

      Erste Käfigheime entstanden in Hongkong bereits in den 1940er Jahren. Vor allem aber seit Anfang der 1950er Jahre boomte der Käfigheim-Markt. Denn damals kamen zahlreiche Einwanderer und Flüchtlinge vom chinesischen Festland ins aufstrebende Hongkong. Als Billiglöhner fanden sie Arbeit in den Fabriken oder verdingten sich als Lastenträger. Doch sie verdienten nicht genug, um sich eine menschenwürdige Unterkunft in der Metropole leisten zu können. Die Stadtverwaltung von Hongkong – damals noch britisch – stellte für all diese Einwanderer keinen angemessenen Wohnraum zur Verfügung. Alleinstehende waren bis in das Jahr 1985 hinein nicht einmal berechtigt, überhaupt einen Antrag auf eine Sozialwohnung zu stellen. So entstand ein neuer, „privater“ Wohnungsmarkt in Hongkong – der Markt der Käfigheime. Einige „einfallsreiche“ Haus- und Wohnungsbesitzer waren auf die Idee gekommen, einzelne Appartements oder ganze Wohnhausetagen aufzuteilen. Statt an eine einzelne Person oder an eine Familie konnten sie ihre Wohnungen und Appartements so an Dutzende von Menschen vermieten und ein Vielfaches an Miete kassieren und das alles völlig legal. Bis zu 100 solcher Wohneinheiten gab es in der Vergangenheit zuweilen auf einer einzelnen Hochhausetage.

      Die hygienischen Verhältnisse sind in der Regel katastrophal. Dutzende Menschen müssen sich Toilette und Dusche teilen. Die sogenannten Küchen bestehen oft nur aus einer Gasflasche zum Betrieb zweier Herdplatten. Einen Kühlschrank sucht man zumeist vergeblich. Gesundheitsprobleme und soziale Konflikte sind vorprogrammiert. Viele Bewohnerinnen und Bewohner schotten sich ab: gegenüber der Außenwelt, gegenüber der eigenen Familie, manchmal auch untereinander.

      Seit über 20 Jahren arbeitet eine der Misereor-Partnerorganisationen aus Hongkong für und mit den „Käfigmenschen“. SoCO, die „Society for Community Organisation“, wurde 1972 in Hongkong von einer Handvoll engagierter Menschen gegründet. SoCO ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation, die mit Sachverstand und Kompetenz die soziale Situation und Entwicklung Hongkongs analysiert und kommentiert, insbesondere die Lage der am gesellschaftlichen Rande der Weltmetropole lebenden Menschen. Der Menschen, die ausgegrenzt, diskriminiert, ignoriert werden: Arme, Alte, Behinderte, Billiglohnarbeiterinnen und Arbeiter. Viele von ihnen sind vom Festland Chinas eingewandert in der Hoffnung, in der aufstrebenden Stadt Arbeit und Wohlstand zu finden. Zu SoCO gehören rund zwei Dutzend fest angestellter Menschen und Hunderte ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer, die konkrete Hilfe leisten, wo akute Not besteht. SoCO findet bei Ärzten, Sozialarbeitern und Psychologen, bei Pädagogen, Journalisten und Fotografen, bis hin zu Friseuren und anderen Handwerkern professionelle Unterstützung. Immer geht es darum, mit Fantasie und Empathie die Eigeninitiative der „Käfigmenschen“ zu fördern; sie zu ermutigen, selbst ihre Rechte einzufordern. Und immer wieder macht SoCO öffentlich auf das Schicksal der Menschen aufmerksam und leistet professionell und erfolgreich Lobbyarbeit zur Änderung von Gesetzen und Verordnungen, die die Interessen der in Armut lebenden Menschen nicht berücksichtigen und vernachlässigen.

      SoCO zog sogar bis vor die Vereinten Nationen, um auf die Diskriminierung und Verletzung der Menschenrechte der „Käfigmenschen“ aufmerksam zu machen.

       Wer sind diese Menschen, die in Käfigen leben und die bereit waren, sich für die Ausstellung fotografieren zu lassen?

      Beginnen wir mit Chung Yuk-chun. Als das Foto von ihr aufgenommen wird, ist sie 78 Jahre alt. „Ich fühle mich wie ein kaputtes Boot, das das andere Ufer des Flusses nicht erreichen kann,“ sagt sie und dass sie „eine Verliererin“ sei. Ursprünglich aus einer wohlhabenden Familie stammend, kommt sie in den 1950er Jahren nach Hongkong. Sie möchte am Wohlstand der aufstrebenden Stadt teilhaben. Doch sie findet nur schlecht bezahlte Arbeit in einer der vielen Fabriken der Stadt. So wie ihr geht es damals abertausend chinesischen Einwanderern.

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       Thomas Antkowiak im Gespräch vor einem Original Käfig aus Hongkong. Ausstellungseröffnung „Cage People“ im Caritas-Pirckheimer-Haus am 18.11.2010, Bildernachweis: Pressestelle Kath. Stadtkirche Nürnberg – Elke Pilkenroth

      Chung Yuk-chun hat in ihrem Käfig viele Fotos von Buddha angebracht. Das hilft der alten Frau, ihren Lebensmut nicht völlig zu verlieren. Jeden Morgen beim Aufwachen betet sie eines der Grundgebete des Buddhismus: dass alle fühlenden Wesen von ihrem Leid erlöst werden mögen.

      Mit Hilfe von SoCO hat Chung Yuk-chun inzwischen tatsächlich eine Sozialwohnung bekommen. Nach über 35 Jahren im Käfig tut sie sich schwer, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Und noch ist sie nicht ganz geheilt von den Depressionen, die sie immer wieder einholen. Doch sie hält Kontakt nach außen und hilft nun selbst denjenigen, die den Sprung in ein menschenwürdiges Zuhause noch nicht geschafft haben. Auch sie sollen den Mut nicht verlieren.

      Lee Cheung ist 71 Jahre alt. Er hat sich an das Leben im Käfig und an die, die dieses Schicksal schon viele Jahre mit ihm teilen, so sehr gewöhnt, dass er sich etwas anderes nicht mehr vorstellen kann und will. Eine staatliche Rente erhält er nicht. Er lebt von dem wenigen Ersparten, das er als selbständiger Dreirad-Fahrer in Hongkong zurücklegen konnte. Und als Gelegenheitsarbeiter verdient er sich seit seiner Pensionierung vor drei Jahren immer mal wieder ein paar Euro dazu. Die spart er – für seine Beerdigung. Es ist sein fester Wille, in Würde von dieser Welt zu gehen.

      Ho Tim ist zum Zeitpunkt der Aufnahme erst 41 Jahre alt. Seine Frau und seine Kinder leben noch auf dem chinesischen Festland. Eine Zeit lang arbeitete er in der Küche eines der vielen Restaurants in Hongkong. Doch dann löste sich die Netzhaut von