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Jahrbuch der Akademie CPH - Anregungen und Antworten


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Handlung verboten. Und drei Jahre zuvor, vor dem Internationalen Militärtribunal von Nürnberg, war der fränkische NS-Propagandist Julius Streicher wegen dieses Delikts zum Tode verurteilt worden.

      Gegenwärtig werden die möglichst engen Grenzen einer Einschränkung am deutlichsten von Agnes Callamard, Direktorin der Menschenrechtsorganisation „Article 19“, formuliert. Jede Einschränkung sollte den folgenden Anforderungen genügen: „klare und enge Definition; keine Bestrafung für Aussagen, die wahr sind; Bestrafung erst, wenn gezeigt ist, dass Hate Speech die Absicht hatte, zu Feindseligkeiten und Gewalt aufzustacheln; angemessene Bestrafung, Gefängnisstrafe nur als letztes Mittel; Einschränkungen dürfen nur das Ziel haben, Individuen zu schützen; sie haben nicht die Aufgabe, deren Denk- oder Glaubenssysteme vor Diskussionen, genauer Prüfung oder – auch unvernünftiger – Kritik zu bewahren“ (Callamard 2007).

       Wer in der NS-Tradition steht, kann in Deutschland den Schutz der Meinungsfreiheit nur eingeschränkt in Anspruch nehmen

      Dass sich bestimmte Personengruppen durch Diskriminierungen und Hate Speech in ihrer Würde oder Ehre verletzt fühlen, ist ein Ergebnis historischer Erfahrungen und kollektiver Verarbeitung durch die jeweilige Gruppe. Die Erfahrungen der Opfer des Nationalsozialismus nimmt die deutsche Rechtsprechung in ihren Grenzziehungen für politische Betätigung und Meinungsfreiheit auf. Ihre Auslegung ist aber auch hierzulande nicht unstrittig. Artikel 9 Absatz 2 GG erklärt Vereinigungen für verboten, deren Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen die Völkerverständigung richten. In Deutschland wurde die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole und die Aufstachelung zum Rassenhass unter Strafe gestellt (Artikel 130 StGB).

      Politische Akteure in Deutschland, im weitesten Sinne Antifaschisten und Demokraten, fordern – zum Schutz der Opfer, aber auch um jede politische Handlungsmöglichkeit von NS-Nachfolgegruppen zu verhindern – weitere Einschränkungen der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. In der Begründung für eine weitere gesetzliche Einschränkung sagte die damalige Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) am 18.2.2005 in der Bundestagsdebatte: „Das Gesetz über befriedete Bezirke schützt die Integrität unserer Verfassungsorgane und ihrer Mitglieder“ (Zypries 2005). Dass auch an anderen Orten, die nichts mit dem Schutz von Verfassungsorganen zu tun haben, wie dem Brandenburger Tor in Berlin oder in Wunsiedel, nicht demonstriert werden darf, begründete die Ministerin mit dem Schutz der „Würde und des Andenkens der Opfer des NS-Regimes“ (Zypries 2005). Sie versuchte auch eine Einordnung der rot-grünen Regierungsposition in die internationale Rechtsentwicklung. In einer Rede im Jahr 2006 sagte sie:

      „Übrigens: International wird dies zum Teil ganz anders gesehen. Denken Sie etwa an die USA mit dem 1. Amendment oder England. Dieses weite angelsächsische Verständnis von Meinungsfreiheit hat mit dazu beigetragen, dass es innerhalb der EU sehr schwierig ist, im Rahmenbeschluss gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auch Strafvorschriften für bestimmte Meinungsäußerungen zu verankern. Der deutsche Weg ist allerdings ein anderer. Und eine bislang bestehende Lücke haben wir im vergangenen Jahr sehr erfolgreich geschlossen. Wir haben den Tatbestand der Volksverhetzung verschärft. [Zypries bezieht sich hier auf das Verbot der Holocaustleugnung, s. u., d. Verf.] Außerdem haben wir das Versammlungsgesetz geändert. Jetzt können Demonstrationen an wichtigen Holocaust-Gedenkstätten verboten werden, wenn sie die Würde der Opfer beeinträchtigen. Damit ist es uns nicht nur gelungen, hier in Berlin das Holocaust-Mahnmal zu schützen, sondern die Rechtsänderung hat auch andernorts Früchte getragen. Die jährlichen Aufmärsche für Rudolf Heß in Wunsiedel können jetzt verboten werden, und diese Verbote haben auch der kritischen Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standgehalten“ (Zypries 2006).

      In der politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus sind aber auch differenziertere Positionen präsent als die, die ich hier als „traditionellen Antifaschismus“ bezeichnen möchte. Der Berliner Antisemitismusforscher Michael Kohlstruck fordert nicht zuerst Verbote für Demonstrationen, sondern empfiehlt, Aufmärsche als Chance für die Öffentlichkeitsarbeit und für die politische Bildung zu sehen:

      „‚Kein Fußbreit den Faschisten‘ ist ein historischer Slogan. Ziel von Aktivitäten sollte aus Achtung vor den Grundrechten und aus Gründen des Respekts vor rechtsstaatlichen Entscheidungen nicht die Verhinderung, sondern allein der Protest gegen rechtsextreme Veranstaltungen sein. Der Protest bezieht sich zunächst auf die aktuelle Veranstaltung. Er sollte verallgemeinert werden und die gesellschaftlichen wie die politischen Ordnungsideen der Rechtsextremen thematisieren“ (Kohlstruck 2007, S. 2).

      Zudem gibt es Bürgerrechtsgruppen, die aus den freiheitlich-bürgerrechtlichen Defiziten der deutschen Geschichte ein fundamentalkämpferisches Menschen- und Grundrechtsverständnis entwickeln, dem jede Forderung nach effektiveren staatlichen Maßnahmen zuwider ist. Der bürgerliche wie der sozialistische Staat werden aus dieser Perspektive als strukturell repressiv verstanden; ihm noch mehr rechtliche Mittel an die Hand zu geben, wäre für alle Bürger fatal. Seit Jahrzehnten in der Menschenrechtsarbeit aktive Gruppen wie die „Humanistische Union“ oder das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ wenden sich gegen Einschränkungen öffentlicher Auftritte z. B. der NPD. In den Worten eines bekannten Sprechers, des Berliner Politologen Wolf-Dieter Narr:

      „Statt Verbote – öffentliche Auseinandersetzungen: Lebendige Demokratie und ein nicht heuchlerisches Menschenrechtsverständnis der staatlichen Institutionen zeigt sich in der offenen Auseinandersetzung. Den Opfern des Nationalsozialismus wird man nicht gerecht, wenn man Demokratie und Meinungsfreiheit örtlich einschränkt“ (Narr 2005).

       „Nie Wieder“ als normativer Maßstab des Grundgesetzes

      Im August 2008 legte der damalige Vizechef der NPD, Jürgen Rieger (inzwischen verstorben), Verfassungsbeschwerde gegen den vierten Absatz des Volksverhetzungs-Paragraphen 130 des Strafgesetzbuchs ein. Rieger monierte hier unzulässiges Sonderrecht, weil sich Absatz 4 allein gegen die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft wende und damit nur gegen eine bestimmte politische Richtung. Grundrechte auf Versammlungs- bzw. Meinungsfreiheit dürften nur auf Grundlage allgemeiner Gesetze, nicht aber durch Sonderrecht eingeschränkt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat im November 2009 die Verfassungsbeschwerde mit folgender Argumentation (in der Zusammenfassung von Jörg Lange vom Erfurter Max-Weber-Kolleg) zurückgewiesen:

      „Grundsätzlich bestätigte es die Auffassung, dass die Meinungsfreiheit nur durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden dürfe. Die Regelung zur NS-Herrschaft sei, so das Gericht, allerdings kein allgemeines Gesetz, das heißt Sonderrecht – aber dennoch ‚ausnahmsweise‘ mit der im Grundgesetz vorgesehenen Einschränkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit ‚vereinbar‘. Eine solche Ausnahme lasse sich begründen angesichts des ‚einzigartigen‘, ‚sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und […] Schreckens‘ der NS-Herrschaft. Diese Erfahrung sei von grundlegender Bedeutung ‚für die Identität der Bundesrepublik Deutschland‘ und deren Entstehungsgeschichte. […] Das bewusste Absetzen von der nationalsozialistischen Herrschaft sei ein ‚historisch zentrales Anliegen aller an der Entstehung wie Inkraftsetzung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte‘ gewesen und bilde ‚ein inneres Gerüst der grundgesetzlichen Ordnung‘. Das Grundgesetz könne ‚geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden‘ und sei ‚von seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen‘. Folglich sei dem Grundrechtsartikel zur Meinungsfreiheit eine ‚Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent‘, die Befürwortung der NS-Herrschaft in Deutschland dementsprechend als ‚ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens‘ zu beurteilen und insofern ‚mit anderen Meinungsäußerungen nicht vergleichbar‘“ (Jörg Lange 2010, S. 4).

      Die Sonderstellung des Nationalsozialismus für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat sich indes nicht so klar und ausdrücklich in den Formulierungen des Grundgesetzes niedergeschlagen. Jörg Lange fragt deshalb kritisch,