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Jahrbuch der Akademie CPH - Anregungen und Antworten


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Kontext des gegenwärtigen Umgangs mit der NS-Vergangenheit“ (Lange 2010, S. 12). Um zu verdeutlichen, dass sich auch in anderen Rechtskulturen spezifische historische Erfahrungen und ihre aktuelle Verarbeitung niederschlagen, will ich mit dem Rechtsphilosophen Winfried Brugger einen Blick in die Vereinigten Staaten werfen.

       Hate Speech in den USA

      Brugger beginnt mit einer Begriffsbestimmung: Hate Speech umfasst jede Form der Meinungsäußerung, die verletzend für jegliche rassische, religiöse, ethnische oder nationale Gruppe war. Nach einem Durchgang durch die Auseinandersetzungen um das Verbot bestimmter Arten von Meinungsäußerungen im universitären Kontext („campus speech codes“) kommt Brugger zu dem Fazit: „Amerikanische Policy-Antworten auf rassistische und ethnische Agitation und Hassrede unterscheiden sich deutlich von jenen in anderen westlichen Demokratien“ (Brugger 2009). In seiner Kontextualisierung der unterschiedlichen Verfassungstraditionen verweist Brugger auf „verschiedene geistesgeschichtliche Fundamente und auf die Erfahrungen der Vergangenheit, die zur unterschiedlichen Behandlung von freier Rede innerhalb der jeweiligen rechtlichen Rahmen geführt haben“ (Brugger 2009). Im Grundgesetz stehe – im Unterschied zur Meinungsfreiheit im First Amendment der USA – der Schutz der Menschenwürde an oberster Stelle.

      „Die amerikanische Tradition vertraut auf die Durchsetzungskraft von guten Meinungen im Wettbewerb mit schlechten.“ Die Kraft der öffentlichen Vernunft werde als effektivstes Mittel gegen Hass und Unsicherheit verstanden. Dagegen ist einzuwenden – und Brugger verweist auf die Debattenbeiträge aus der US-Frauenbewegung gegen Rassismus und Pornografie – dass ja durch Hassreden wirkliche Verletzungen hervorgerufen werden, dass die Würde von Einzelpersonen und Gruppen tatsächlich verletzt wird und geschützt werden sollte. Zudem „gibt es einen kumulativen Effekt von physischer und verbaler Gewalt“ (Brugger 2009). Ich fasse das Ergebnis dieser rechtsvergleichenden Darstellung so zusammen: Aus der amerikanischen Tradition der Meinungsfreiheit ergibt sich unzweifelhaft eine tiefgreifende gesellschaftliche Verbundenheit mit dem Prinzip, dass alle Meinungen Zugang zum „marketplace of ideas“ haben sollen. Ungeachtet dessen stellen die Auswirkungen, die Hassrede auf die betroffenen Gruppen hat, ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem dar. Greift man nicht ein, so bleiben die Opfer weiterhin Opfer der Worte, die verwunden.

      Bruggers rechtsvergleichende Darstellung ist vorsichtig bei der Bewertung der beiden Traditionen, im Unterschied zu der von ihm eher skeptisch beurteilten Position von Judith Butler. Die auch in Deutschland bekannte feministische Sprachwissenschaftlerin arbeitet mit dem Foucaultschen Diskursbegriff, der das feine Verwobensein von Denk- und Herrschaftsstrukturen gerade auch im Strafrecht analysiert. In ihrer Untersuchung „Hass spricht – Zur Politik des Performativen“, in den USA 1997 unter dem Titel „Excitable Speech A Politics of the Performative“ erschienen, argumentiert sie ganz aus einem liberal-staatskritischen Grundverständnis heraus:

      „Wenn die Befürworter einer rechtlichen Verfolgung von hate speech die state action doctrine [Staatliches Handeln ist rechtlich anders zu sehen als gesellschaftliches, der Verf.] verabschieden, verabschieden sie möglicherweise zugleich eine kritische Auffassung der Staatsmacht, indem sie deren Attribute auf jene Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten übertragen, über die Staatsbürger als Subjekte verfügen. Indem der Staat mit seinem Rechtssystem über die Verfolgung von hate speech entscheiden soll, erscheint er stillschweigend als eine Form der neutralen Rechtsdurchsetzung“ (Butler 2006, S. 78 ff.).

      Sie parallelisiert als Feministin die gesellschaftliche Definitionsmacht über Geschlechts- mit der staatlichen über Rassen-Identität. Besonders die Befürworter der Strafverfolgung warnt sie vor der produktiv-diskursiven, definitorischen Macht des Staates. Darüber hinaus, so Butler, produziere der Staat Hate Speech. Die rechtliche Kategorie der Hassrede könne ohne das Tätigwerden des Staates nicht existieren und der Staat entscheide zwischen Sprechbarem und Nicht-Sprechbarem. Dadurch lege der Staat selbst fest, was allgemein akzeptable Rede sei. Rede sei mithin solange nicht hasserfüllt oder diskriminierend, bis die Gerichte sagen, dass sie dies sei. Im Verständnis Butlers gibt es solange keine Hassrede im eigentlichen Sinne, wie kein Gericht entschieden hat, dass diese vorliegt. Da es sich dabei um staatliche Entscheidungen handle, produziere der Staat selbst Hate Speech – auch wenn er sie nicht selbst verursache. Regelungen von Hassrede, die nicht staatlich zentriert sind, so zum Beispiel Campus Speech Codes in einer eingeschränkten Jurisdiktion der Universität, sind aus Butlers Sicht weniger besorgniserregend. Trotzdem fordert sie, solche Regelungen eingeschränkt anzuwenden und hinsichtlich des Effekts dieser Rede eine entsprechende Beweisführung vorzunehmen.

      Butler kritisiert, dass die rechtlichen Bemühungen, Hassrede einzuschränken, beim Individuum ansetzen. Der Redner wird als Schuldiger ausfindig gemacht, obwohl er nicht der Ursprung dieser Rede ist. Im Zentrum ihrer Argumentation steht, dass gesetzliche Verbote problematisch sind, obwohl sie diese letztendlich nicht klar ablehnt. Sie favorisiert eher die Strategie des subversiven Umdeutens: Die Homosexuellen haben zum Beispiel das Schimpfwort „schwul“ an die Absender zurückgegeben, allerdings positiv als Selbstbezeichnung umgedeutet.

       Internationale Normsetzung

      Relativ unabhängig von solchen Diskursen zu den nationalen Rechtskulturen setzt sich der transnationale Verrechtlichungsprozess fort und bringt gerade auch in Menschenrechtsfragen zu beachtende Maßgaben ins Spiel, hier vor allem das Verbot rassistischer Diskriminierung. Vom Statut der Vereinten Nationen über regelmäßige VN-Resolutionen (z. B. in den 70er Jahren zur Apartheid in Südafrika) bis hin zur Antirassismuskonvention („Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung“) gibt es eine weltweit gültige Verpflichtung, rassistische Diskriminierung zu unterbinden oder zu bestrafen (Zimmer 2001, S. 37 ff., S. 212 ff.). Wann ist hier ein strafrechtliches Verbot von rassistisch diskriminierenden Äußerungen im nationalen Rahmen gefordert? Zimmer betont – mit Verweis auf die als ‚ethnischen Säuberungen‘ deklarierten Verbrechen in Ruanda und Jugoslawien – ausdrücklich: „Hinsichtlich strafrechtlicher Sanktionen ist in der Antirassismuskonvention kein Ermessensspielraum vorgesehen. Rassendiskriminierende Äußerungen und Handlungen können den Beginn einer rassistischen Bewegung innerhalb eines Staates darstellen“ (Zimmer 2001, S. 219). Das „Wehret den Anfängen“ findet sich somit auch in der Logik der internationalen Konventionen. „Art. 4 der Konvention zwingt die Staaten zum Erlass von Strafgesetzen, durch die sowohl die Verbreitung von rassistischen Ideen als auch die Aufreizung zum Rassenhass mit Sanktionen belegt werden“ (Zimmer 2001, S. 269). Navi Pillay, Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen, erinnerte die Unterzeichner der Erklärung der Genfer Antirassismuskonferenz erst jüngst wieder an diese Verpflichtung. Im Abschlussdokument der Durban-II-Konferenz gegen Rassismus (2009) heißt es dazu unter Artikel 59: „The conference invites Governments and their law enforcement agencies to collect reliable information on hate crimes in order to strengthen their efforts to combat racism, racial discrimination, xenophobia and related intolerance“ (Durban Review Conference 2009). Bemerkenswert ist dabei die positive Interpretation der Meinungsfreiheit unter Artikel 58 des Dokumentes: „… that the right to freedom of opinion and expression constitutes one of the essential foundations of a democratic, pluralistic society and stresses further the role these rights can play in the fight against racism, racial discrimination, xenophobia and related intolerance worldwide“ (Durban Review Conference 2009).

      Nun wird man die entsprechenden Strafandrohungen im deutschen StGB als Erfüllung dieser Verpflichtungen verstehen können. Im Falle der Verfolgung von Holocaust-Leugnung geht das StGB sogar noch darüber hinaus. Dennoch gibt es weitere Anforderungen an die deutsche Rechtspolitik: Im Bericht der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (European Monitoring Center on Racism and Xenophobia – EUMC) werden seit Jahren Studien über die legislativen Maßnahmen in diesem Politikfeld erstellt (Winkler 2002, S. 270). Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat in einer Stellungnahme zum Nationalen Aktionsplan, der sich auch auf die EUMC-Studien bezieht, der Bundesregierung einen Maßnahmeplan vorgeschlagen, der allerdings insgesamt strafrechtliche Verschärfungen nicht für nötig hält (Follmar-Otto/Cremer 2007). Dennoch kehrt die Aufforderung „Rassismus härter bestrafen“ immer wieder, allerdings mit