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Jahrbuch der Akademie CPH - Anregungen und Antworten


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im Dezember 2008 präsentiert wurden. Die Bundesregierung wird darin dringend aufgefordert, rassistische Motive bei allgemeinen Verbrechen im Strafrecht besonders zu erwähnen und strafverschärfend zu berücksichtigen (ECRI 2008). Gegenüber dieser Forderung hatte schon Silvia Seehafer in ihrer vergleichenden Untersuchung von 2003 folgende skeptische Überlegung formuliert:

      „Im bundesdeutschen Strafrecht existieren keine speziellen und ausdrücklich die rechtsextremistische / fremdenfeindliche Motivation bei Gewaltdelikten berücksichtigenden Regelungen, wie sie in den USA oder einigen europäischen Staaten anzutreffen sind. Der Ruf nach einer schärferen Ahndung entsprechender Taten beinhaltet die Forderung nach einer besonderen ‚hate crime‘-Regelung, die von politischer Seite bereits an den Gesetzgeber erhoben wurde. Strafverschärfungen sind auch durch eine Änderung des Strafzumessungsrechts durchsetzbar. Grundsätzlich könnte für eine besondere Behandlung dieser Taten sprechen, dass ihnen tatsächlich ein besonderer Unrechtsgehalt innewohnt. Zusammenfassend lässt sich als Ergebnis der Untersuchungen festhalten, dass eine Berücksichtigung der Gesinnung des Täters im Tatbestand die gesetzliche Grundkonzeption, die zwischen Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld und Strafzumessung unterscheidet, verwischen würde. Es besteht die Gefahr, dass emotionale Entrüstung zum Qualifizierungsmaßstab wird …“ (Seehafer 2003, S. 16).

      Nun ist die besondere Verwerflichkeit einer Tat ja durchaus schon Teil richterlicher Strafzumessung. Rassistische Motive können darunter fallen. Dennoch verbietet sich wohl eine zusätzliche gesetzliche Festlegung, die den Richter zur Untersuchung und Feststellung einer bestimmten Motivationslage zwingen würde. Damit wären die Gerichte letztlich zu Gesinnungs-Befunden gezwungen, die sie nur mit Erkenntnissen aus der geschützten Privatsphäre gewinnen könnten.

       Holocaust-Leugnung

      In Deutschland wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung (der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art und Weise) öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost. Diese Handlung muss als eine Störung des öffentlichen Friedens gewertet werden können (§ 130 Abs. 3 StGB). Den Tatbestand einer Volksverhetzung definiert § 130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ In Österreich ist Holocaustleugnung seit 1945 strafbar, inzwischen haben rund 20 Länder einen vergleichbaren Straftatbestand (Israel und die meisten vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Staaten Europas).

      Im Jahr 2003 betonte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in seinem Urteil über die Beschwerde des französischen Philosophen Roger Garaudy, der in Frankreich wegen Leugnung des Holocaust verurteilt worden war, dass die Rechtfertigung einer pro-nationalsozialistischen Politik nicht den Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) genießt: „Es gibt eine Kategorie von historischen Tatsachen, darunter den Holocaust, deren Leugnung oder Infragestellung nach Art. 17 EMRK nicht unter den Schutz von Art. 10 EMRK fällt“ (NJW 2004/51, S. 3691). Es ist daran zu erinnern: „Die Leugnung des Holocaust war von Anfang an ein internationales Phänomen“ (Zarusky 2001, S. 65). Beginnend mit Paul Rassinier, dem pazifistisch-kommunistischen Häftling in Buchenwald, über den – von namhaften Liberalen verteidigten – Robert Faurisson bis hin zum Philosophen Roger Garaudy gibt es zum Beispiel eine starke französische „Tradition“, der der Publizist Lothar Baier auf der Spur geblieben ist und über die er in Deutschland immer kritisch berichtet hat (Baier 1985).

      Das internationale Netz der „Negationisten“ ist gerade im Internet inzwischen kaum noch zu überblicken. Die unterschiedliche juristische Entwicklung der Verfolgung der „Auschwitzlüge“ zeigt wiederum die Spannung zwischen dem Verständnis von Meinungsfreiheit in angelsächsischen Ländern und der Bereitschaft zu ihrer Einschränkung in Zusammenhang mit NS-Propaganda auf dem europäischen Festland. So wurde der britische Holocaust-Leugner David Irving 2006 in Wien zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Die Befürworter der Strafverfolgung stellen die Wirkung bestimmter Aussagen auf die Opfer, also deren Persönlichkeitsrecht und Achtungsanspruch, in den Mittelpunkt: „Bei der justiziellen Ahndung der Holocaust-Leugnung geht es … um die Verhinderung von Hass und nicht um den Schutz eines verbindlichen Geschichtsbildes“ (Zarusky 2001, S. 81). Dennoch: Der Holocaust ist zuerst eine historische Tatsache, seine Leugnung ist eine Behauptung, die nicht den Schutz der Meinungsfreiheit genießt (Urteil des BVerfG vom 13.4.1994, Az. 1 BvR 23/94). Zu dieser Tatsache gehören die Existenz eines Plans zur Ermordung der Juden durch die NS-Institutionen in ihrem Machtbereich und der Einsatz von Gaskammern zu diesem Zweck (Neander 2006, S. 277).

       Lernprozesse am Beispiel unterschiedlicher Rechtskulturen

      Die österreichische Journalistin Eva Menasse hat den Prozess beobachtet, den Irving 1999 in London gegen seine Kritikerin Deborah Lipstadt angestrengt hatte. Es ging ihm um seine Ehre und seinen Ruf (Menasse 2000, S. 12). Aber der Richter stellte fest, dass Irving weiterhin „ein Rassist, ein Antisemit, ein Holocaust-Leugner und ein absichtlicher Fälscher historischer Fakten“ genannt werden darf (Menasse 2000, S. 157). Sie schließt ihren Essay „Der Holocaust vor Gericht“ mit einem Vorschlag für das hier verhandelte Problem, der mir plausibel erscheint: „Zum juristischen Umgang ‚mit den Irvings und Co‘ sind noch viele Fragen offen. Doch scheinen verschiedene Systeme mehr Chancen zu eröffnen als eine einheitliche Lösung. Dass Irving in Deutschland und Österreich seine Parolen nirgends äußern, ja, dass er nicht einmal mehr einreisen darf, scheint aufgrund der historischen Lasten und Pflichten richtig, vielleicht nicht für immer, aber noch eine gute Zeit lang. Dass er in den Vereinigten Staaten predigen und hetzen darf und dafür von der Macht der Zivilgesellschaft bestraft wird, ist nur gerecht und vielleicht die beste Lösung unter vielen schlechten. Dass Irving in seiner Heimat Großbritannien sogar die Möglichkeit hat, zu seiner ‚Ehrenrettung‘ den Gerichtshof der Königin anzurufen, muss im Sinne von Aufklärung und demokratischer Konfrontation nicht falsch sein“ (Menasse 2000, S. 178).

      In der politischen Bildungsarbeit besteht neben einer „antifaschistischen Rechtsmoral des Nie wieder“ eine – der pädagogischen Logik angemessene – Skepsis gegenüber Maßnahmen, gar juristischen Zwangsmaßnahmen und gegenüber dem Strafrecht. Und die Skepsis, ob das trockene juristische Argumentieren der Moral gerade in Menschenrechtsfragen gerecht werden kann, ist bei Bildungsveranstaltungen gerade mit Jugendlichen oft spürbar. Dennoch halte ich es für zwingend, die hier vorgetragenen Themen in die politische Bildungsarbeit und die Menschenrechtsbildungsarbeit einzubringen. Denn: Auch Rechtsverständnis will gelernt sein, gerade wenn in Bildungsveranstaltungen immer häufiger rechtsextremistisch Geschulte mit ihrem Recht auf Meinungsfreiheit, auf Wissenschaftsfreiheit, auf ergebnisoffenen Diskurs usw. argumentieren. Diejenigen, die „Gegen Rechts“ das Banner „Aktive Demokratie“ hochhalten, sollten sich auch mit dem Menschenrecht auf Meinungsfreiheit aktiv auseinandersetzen. Wer andererseits die Menschenrechte in historischer Perspektive als Reaktion auf den Nationalsozialismus analysiert und zum Bestandteil der Bildungsarbeit macht, muss sich mit dem Stand der Erfahrungen derjenigen befassen, die sich in der aktiven Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus befinden.

       Literatur

      L. Baier, Französische Zustände. Berichte und Essays. Frankfurt/Main 1985.

      Ders., Alte Klamotten und neue Fähnchen. Kostümfest bei der Nouvelle Droite, in: H.-M. Lohmann (Hrsg.): Extremismus der Mitte. Vom rechten Verständnis deutscher Nation. S. 29–259.

      Bayerischer Jugendring. Wi(e)derworte. Zum Umgang mit Rechtsextremen bei demokratischen Veranstaltungen. München 22009.

      H. Bielefeldt, Rassismusbekämpfung im Streit der internationalen Menschenrechtspolitik, Policy Paper No. 13 des Deutschen Instituts für Menschenrechte, 2009.

      J. Butler, Hass spricht: Zur Politik des Performativen.