Bernhard Weissberg

Wie die Swissair die UBS rettete


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nationale Monument Swissair rettet. Für die anderen hat Corti viel zu grosse Illusionen und steht zu wenig in der Gegenwart. Die positive Lesart zeigt sich in der Anlegerzeitung Finanz und Wirtschaft: Sie will «die Swissair Group nicht aufgeben», wie sie am 1. September titelt, und sie kommentiert, das präsentierte Zahlenwerk «lässt erschauern, gleichzeitig aber auch Hoffnung schöpfen». Trotz der Tatsache, «wie nah die Swissair Group am Abgrund steht», gebe es doch «Anlass zu gewissen Hoffnungen». Und begründet dies mit: «Wer sich daran erinnert, wie Cortis analytisches Regime die Nestlé-Divisionen auf Vordermann brachte, sieht deshalb einen Lichtschimmer am Swissair-Horizont.» Die Zahlengläubigkeit von Corti stösst beim SonntagsBlick auf Skepsis: «Corti allein kann nicht Swissair sein», kommentiert die damals auflagenstärkste Zeitung der Schweiz. Sie zweifelt, dass Corti das Unternehmen in die richtige Richtung treibt. Der von ihr befragte Marketingchef der Billig-Airline Ryanair sagt klipp und klar: «Corti lebt in einer Welt von vorgestern.» Die Zukunft im Kurz- und Mittelstreckenverkehr gehöre den kostengünstigen Airlines: «Die Leute sind nicht bereit, für ein besseres Glas Wein und ein knuspriges Sandwich einen Aufpreis zu zahlen.» Die inzwischen eingegangene Westschweizer Sonntagszeitung dimanche.ch fragt denn auch als erste Publikation: «Und wenn Swissair Konkurs geht?» Ein vom Blatt befragter Bankenanalyst sagt, mit 15 Milliarden Franken Schulden «kann man nicht überleben». Nur die Deutsche Bank empfiehlt ihren Kunden in dieser Situation, die Aktie zu kaufen.

      Dass sich die Aussichten für die Airline schwer eingetrübt haben, ist noch vor den Anschlägen vom 11. September 2001 vielen klar. Die SonntagsZeitung rechnet ihren Leserinnen und Lesern nur gerade zwei Tage vor den Terrorakten vor, dass 15 Milliarden Schulden 750 Millionen Franken Zinsen pro Jahr bedeuten, dass das Fluggeschäft einen Verlust von 400 Millionen Franken mache, von den Zahlungen an die ausländischen Airline-Beteiligungen nicht zu sprechen. «Das Loch ist nicht zu stopfen», kommt die Zeitung zum Schluss, da hälfen auch die «gewieftesten Bilanztricks» nicht. Deshalb gebe es nur eine Lösung: einen Schuldenverzicht der Bank, sonst sei die «Swissair am Ende». Das Sonntagsblatt holt sich bei dieser Argumentation Hilfe von SVP-Mann Christoph Blocher. Der vergleicht die Situation mit der Lage der Uhrenindustrie Ende der 1970er-Jahre. Es brauche deshalb einen Schuldenverzicht und eine Aufstockung des Eigenkapitals. Blocher: «Damals [bei der Uhrenindustrie, Anm. des Autors] verzichtete man auch auf viel Geld, im Nachhinein stellte sich das aber als sehr lohnendes Geschäft für die Banken heraus.» Eine Staatshilfe lehnt der SVP-Vordenker jedoch strikt ab, genauso eine Bürgschaft: «Das ist keine nationale Airline, das ist eine private Fluggesellschaft», stellt Blocher seine Sicht der Dinge klar. Und sagt bei der Frage nach Cortis Plänen: «Bei Sanierungen dieser Grössenordnung darf man nicht zu zögerlich vorgehen. Da braucht es wohl eher den Vorschlaghammer.»

      Am 10. September 2001, einen Tag vor den Anschlägen in Amerika, lässt sich also folgende kurze Zwischenbilanz ziehen: Corti ist die Sanierung der Swissair mit der ihm eigenen Gründlichkeit angegangen, will die Probleme Schritt für Schritt und ganz sauber lösen. Sowohl die Geschäftsentwicklung und neue Informationen aus dem Bauch der Firma zwingen ihn im Sommer, das Tempo zu erhöhen. Aber er glaubt immer noch, genügend Zeit zu haben, will keinen Notverkauf von Beteiligungen einleiten, sondern einzelne Unternehmen bis Ende Jahr loswerden. Erwarteter Ertrag: rund fünf Milliarden Franken. Damit liesse sich die Schuldenlast reduzieren, allerdings fielen dann auch die Betriebseinnahmen dieser rentablen Firmen weg. Und dann kommt der Schock am 11. September 2001: Ein Passagierflugzeug rast in einen Tower des World Trade Center im Süden Manhattans. Und als die New Yorker noch mit vor Staunen offenem Mund zur Rauchwolke, die aus den obersten Stockwerken quillt, hochstarren, rast bereits die zweite Maschine in den anderen Tower. Stunden später kollabieren beide Hochhäuser, brechen in sich zusammen. Zudem kommt die Nachricht, dass ein weiteres Flugzeug in das Pentagon geflogen und eine vierte Maschine vor dem Erreichen ihres Ziels abgestürzt ist. Bei diesen koordinierten Anschlägen von islamistischen Terroristen sterben fast 3000 Menschen. Sie senden Schockwellen rund um die Welt. Und sie bringen innerhalb von Stunden den gesamten Flugverkehr in und nach den USA zum Erliegen. Die Erkenntnis dringt langsam durch: Mit den Ereignissen von 9/11 sind alle Pläne und alle Szenarien Mario Cortis für die Swissair Makulatur. Zwar titelt die Finanz und Wirtschaft noch am Tag nach den Anschlägen «Swissair Group auf dem Weg zum Turnaround». Allen anderen aber ist klar, dass die Anschläge «mindestens kurz- und mittelfristig gravierende Auswirkungen auf die Airline-Industrie haben» werden, wie der Tages-Anzeiger am 13. September schreibt. Der Blick meint: «Für die Swissair ist es eine Katastrophe.» Gegen aussen gibt sich die Airline bedeckt, man rechne «verschiedene Szenarien» durch. Sicher ist, dass der geplante Verkauf der Tochterfirmen nicht die erwarteten Erlöse bringen wird. Der Finanzexperte und SVP-Nationalrat Hans Kaufmann orakelt, es bleibe nur noch die Umwandlung von Fremd -in Eigenkapital, getreu der Parteilinie, dass die Wirtschaft ihre Probleme selbst lösen muss. Nur einer aus dem bürgerlichen Lager kann sich auch einen anderen Weg vorstellen: Wirtschaftsminister Pascal Couchepin. In den USA berät der dortige Kongress über eine Bundeshilfe für die darniederliegende Airline-Industrie. Deshalb sagt der freisinnige Bundesrat aus dem Wallis eine Woche nach den Anschlägen: «Wir können nicht heiliger sein als das Heilige Land der freien Wirtschaft.» Und funkt damit gleich zwei Regierungskollegen in ihre Arbeit hinein: Für die Fluggesellschaft ist eigentlich der SP-Mann und Verkehrsminister Moritz Leuenberger zuständig, und die Bundesfinanzen hütet Couchepins Parteikollege Kaspar Villiger.

      Chaos im Bundeshaus

      Bundesrat Kaspar Villiger sitzt am Tag vor Couchepins Aussagen an seinem Bürotisch im Bernerhof, dem Sitz des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD). Er geht an diesem 17. September 2001 wie immer seiner Arbeit als Finanzminister der Schweiz nach, das heisst: Sitzung folgt auf Sitzung. In einem ruhigen Moment denkt der Finanzminister an den Wohnungsumzug, der während der sogenannten Bundesratsferien in zwei Wochen anstehen wird und seine Frau und ihn tüchtig in Anspruch nehmen dürfte. Schliesslich haben auch Bundesräte ein Privatleben. Aber noch ist nicht Oktober.8 Villiger schaut auf seinen Terminkalender und weiss: Die nächsten Gäste bringen sicher keine Ferienstimmung. Noch ahnt der Luzerner Politiker nicht, dass diese Gäste sein Leben in den nächsten Wochen auf den Kopf stellen werden.

      Der Bernerhof ist kein eigentliches Verwaltungsgebäude, nicht so wie das benachbarte Bundeshaus West oder das Bundeshaus Ost, auf Nützlichkeit getrimmte Bollwerke der Administration mit dem Charme von Schulhäusern. Nein, der Bernerhof ist erstens schön gelegen, am westlichen Ende der Bundeshausterrasse, stammt zweitens aus den 1850er-Jahren und beeindruckt drittens auch heute noch die Besucher mit seinem Prunk, der so gar nicht zur Bescheidenheit eines Finanzministeriums passen will. Doch das Gebäude mit seinem eindrucksvollen Treppenhaus, dem imposanten Leuchtersaal, den eleganten Salons war ja eigentlich auch gar nicht als Sitz für Sparfüchse gedacht. Der Berner Hotelier Jean Kraft hatte das Gebäude vor 150 Jahren als Grand Hotel konzipiert, als Unterkunft für die Mächtigsten und Reichsten dieser Welt. Napoleon der Dritte war da, die Kaiserin von Russland, Könige und Maharadschas, Geldadel wie die Rothschilds genauso wie Kulturgrössen à la Jacques Offenbach. Doch nach dem Ersten Weltkrieg geht es den noblen Damen und Herren – ob Erb- oder Geldadel ist dabei einerlei – nicht mehr so gut, sie können sich das Edelhotel in Bern nicht mehr leisten. Dann verstirbt auch noch der Hotelier, und so verkauft seine Witwe es in der Not 1923 an die Eidgenossenschaft. In diesem einstigen Nobelhotel quartiert der Bundesrat ab 1924 – Ironie des Schicksals – seinen Säckelmeister ein.

      Doch die zwei Besucher aus Zürich haben an diesem 17. September 2001 keinen Blick für die Schönheit und Eleganz des Baus. Im Gegenteil: Wie arme Schlucker gehen der Swissair-Chef und seine Finanzchefin die Treppe zum Büro von Bundesrat Kaspar Villiger hoch. Mario Corti und Jacqualyn Fouse brauchen Geld. Viel Geld. Eine Milliarde ungefähr – sofort. Und ja, dann brauche es eine Rekapitalisierung von ungefähr vier Milliarden Franken. Bundesrat Kaspar Villiger wird sich später nur erinnern, dass Cortis Vorstellungen zur Swissair-Sanierung «vage» gewesen seien. Mario Corti präsentiert jedenfalls kein schlüssiges Sanierungskonzept für den eigentlichen Betrieb der Airline. Der freisinnige Bundesrat ist ratlos. Corti entschuldigt sich, dies habe alles mit den Terroranschlägen von vor einer Woche zu tun. Vorher habe es noch einen schmalen Weg zur Sanierung aus eigener Kraft gegeben. Aber jetzt sei eine Rettung ohne Finanzhilfe des Staats nicht mehr möglich. Ansonsten sei die Swissair Anfang Oktober