Bernhard Weissberg

Wie die Swissair die UBS rettete


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des Verwaltungsrats sei, also das Tagesgeschäft der Airline leite. Der Mann mit der markanten Haartolle tritt die anspruchsvolle Aufgabe an, die in Turbulenzen geratene Airline wieder in eine ruhige Fluglage zu bringen. Er lässt sich den Wechsel vom bequemen Sessel des Chief Financial Officer bei Nestlé in Vevey auf den mittlerweile riskant gewordenen Kapitänsstuhl in Kloten-Balsberg gut bezahlen: Das Salär über fünf Jahre sei im Voraus abzusichern, verlangt der zum Retter bestimmte Finanzfachmann.

      Die Lage der Swissair sieht nicht erfreulich aus – euphemistisch ausgedrückt. Die Grossbank UBS, drei Jahre zuvor aus dem Zusammenschluss der Zürcher Bankgesellschaft und des Basler Bankvereins entstanden, hielt schon am 10. März 2001 in einem internen Memorandum fest, dass die Verschuldung der Swissair den Unternehmenswert um eine bis drei Milliarden Franken übersteige und damit auf keinen Fall neue Kredite gewährt werden dürften. Eigentlich wollten die Banker ihre Analyse dem «alten» Chef Honegger präsentieren. Aber die Sitzung wurde aus den eben geschilderten Gründen abgesagt. Der «neue» Chef lässt sich derweil feiern. Corti sei als Finanzchef von Nestlé in einer komfortablen Position gewesen, «wie man von ihm jederzeit hören konnte», so die NZZ, die den neuen Swissair-Kapitän in doppelter Funktion als Präsident und CEO über den grünen Klee lobt. Ein «Mann des Vertrauens» sei Corti, er habe einen vielfältigen Lebenslauf mit Stationen in Privatwirtschaft (Aluminium, Nestlé) und Verwaltung (Nationalbank, Bundesamt für Aussenwirtschaft). Bei Corti komme zudem «eine äusserst weitgreifende Vernetzung in der Schweiz» dazu, und er sei international breit verbunden. Nicht schaden dürfte auch, dass Corti Anfang der 1990er-Jahre mit einer Cessna einen Flug um die Erde unternommen habe; das erlaube ihm, das Fliegerlatein zu verstehen. Und schliesslich sei der neue Chef der Swissair – so die NZZ – ein begabter Rhetoriker und «Witze-Erzähler»!7

      Vorerst hat Corti aber nichts zu lachen. Die Lage ist mehr als ernst, wie die Zahlen der UBS zeigen. Die von Baslern dominierte Bank ist denn auch nicht mehr bereit, Kredite zu sprechen. Trotz dieser schwierigen Situation will der neue Chef Corti sich nicht von einzelnen lukrativen Nebengeschäften des Flugbetriebs trennen. Schliesslich verfügt er dank der Credit Suisse mit Lukas Mühlemann, der Deutschen Bank unter der Leitung des Schweizers Josef Ackermann und der Citibank über eine Kreditlinie von einer Milliarde Schweizer Franken. Corti glaubt, dass er Zeit habe: Fünf Jahre werde es dauern, um die Swissair wieder auf den Erfolgspfad zu bringen, sagt er öffentlich. Von Sparen ist nicht die Rede, im Gegenteil, der Service an Bord und auch der Sitzkomfort müssten besser werden. Über den Verkauf von Beteiligungen, den Honegger noch im Februar angedeutet hat, will man lediglich «nachdenken» – mehr nicht. René Lüchinger erklärt die Fehleinschätzung des neuen Chefs so: «Mario Corti glaubte immer noch, er könne wie bei Nestlé die Hilfe aller Beteiligten, auch der Banken, einfach einfordern. Und dann musste er feststellen: Das geht ja gar nicht mehr.» Und weiter: «Man glaubte immer noch an die Dualstrategie, also daran, dass die Nebengeschäfte das volatile Fluggeschäft ausgleichen würden.» Die Catering-Firmen, das Duty-free-Geschäft und die Unterhaltsfirma SR Technics sind alle Milliarden wert – noch. Schliesslich funktionierten diese Bereiche im Vorjahr «gut bis hervorragend», während die Fluglinien betrieblich nur mässig rentierten. Dieses Zögern, das Tafelsilber zu Geld zu machen und sich damit Luft zu verschaffen, wird rückblickend von allen Befragten als grösster Fehler angesehen. Allerdings konnte auch niemand antizipieren, was im September in den USA passieren würde. René Lüchinger sagt deshalb: «Es ist eine philosophische Frage: Verkaufe ich, wenn es brennt, die Häuser, die nicht brennen? Das wollte Corti offensichtlich nicht.»

      Während die NZZ den neuen Swissair-Chef über alle Massen lobt, melden sich anderswo kritischere Stimmen: Der «Super-Mario» habe in erster Linie «Schönwetterzeiten beim Sofortkaffee-Konzern erlebt», monieren Wirtschaftsfachleute im SonntagsBlick. Sie würden sich fragen, ob Corti als Krisenmanager bestehen könne. Doch der geht das Ganze gründlich und gemütlich an – wie die Aufgaben zuvor, so das Wirtschaftsmagazin Bilanz: «Mario Corti geht in den Dingen auf, mit denen er sich beschäftigt.» Zwei Jahre habe er sich in den 1980er-Jahren in die Akten des Bundesamts für Aussenwirtschaft gekniet, ehe er dessen Wirken und Aufgaben zu verstehen glaubte. Zwei Jahre habe er in den 1990er-Jahren den Nahrungsmittelmulti Nestlé studiert, bevor er ihn zur Gänze durchschaut habe. Es gibt nur ein Problem: Der Swissair – und damit Corti – bleiben nicht zwei oder gar fünf Jahre Zeit, um die aktuellen Probleme zu lösen. Während alle Weggefährten seine Intelligenz hervorheben – «der kompetenteste CEO, den ich bisher erlebt habe», sagt ein GL-Mitglied –, geht eine andere Eigenheit unter: Corti ist ein Einzelkämpfer, der zwar bei Nestlé als CFO Verantwortung getragen hat, aber nicht die eines obersten Chefs. Deshalb sagen Gefährten auch, er halse sich zu viel auf und könne nicht delegieren. Die Bilanz zeichnet die Detailbesessenheit dieses brillanten Kopfs anhand einer Beobachtung nach: Die schwere Tasche, die Corti in den vergangenen Jahren ständig mit sich führte, war immer übervoll mit Akten. Und so geht Corti denn die Arbeit an: Er holt mit Jacqualyn Fouse von Nestlé eine vertraute Person als neue Verantwortliche für die Finanzen, schafft Ordnung im Reporting – so wie er das schon als junger Mann in seiner damaligen Wohngemeinde Aeugst tat. Er versucht, mit sogenannten Quick Wins, mit Sofortmassnahmen, unmittelbar Wirkung zu erzeugen. Die alte Swissair-Leitung lässt er mit einem Jahresverlust von 2,9 Milliarden Franken im letzten Geschäftsjahr schlecht aussehen. Das macht jeder Neue: Er schiebt die Kosten für fast alles der alten Equipe zu. Seine Finanzchefin beruhigt derweil den Verwaltungsrat insofern, als «die Liquidität bis Ende Jahr ausreichen» werde. Ja, Super-Mario, wie die Medien ihn hoffnungsvoll nennen, besitzt alle intellektuellen Fähigkeiten, den Fleiss, die notwendige Beharrlichkeit, um das Millionenpuzzle Swissair zu lösen. Aber etwas hat er nicht, das, was er bei seinen bisherigen Aufgaben immer hatte: Zeit.

      Scheitern mit Ankündigung

      Zeit ist relativ. Auch für Mario Corti. Er wird später sagen, er sei die Probleme der Swissair zügig angegangen. Das mag stimmen – in seinen Zeitrelationen. Für die Swissair agiert er nicht schnell genug. Ja, Corti geht den Ausstieg aus den ausländischen Beteiligungen an. Aber nicht ohne zum Beispiel für die deutsche LTU 250 Millionen Franken auf die Seite zu legen – Geld, das damit für das Kerngeschäft verloren ist. Später wird man ihm das vorwerfen: Er habe die Mittel falsch eingesetzt. Er habe es verpasst, den Notausstieg zu suchen und den Geldabfluss zu stoppen. René Lüchinger glaubt ebenfalls, dass ein Ausstieg aus den Auslandsbeteiligungen sinnvoll gewesen wäre. Einfach wäre dies sicherlich nicht gewesen, «aber möglich». Corti aber will korrekt bleiben gegenüber allen. Auch gegenüber dem Personal. Er schnürt ein erstes Sparpaket, streicht Flüge, mottet Flieger ein. Und denkt erstmals laut über den Verkauf von Firmen aus dem Beteiligungsportfolio nach. Ende August kündigt er an, dass die Abfertigungsfirma Swissport und die Duty-free-Firma Nuance verkauft werden sollen – bis Ende Jahr. Von 71 000 Beschäftigten soll die Swissair auf 47 000 schrumpfen, davon sind 1300 Arbeitsplätze direkt bei der Swissair betroffen: «Swissair schockt mit Stellenabbau» empört sich der Zürcher Tages-Anzeiger am 31. August 2001. Hintergrund der Sparübung: Die neue Finanzchefin entdeckt Bilanzmanipulationen, das Unternehmen steht noch viel schlechter da als gedacht. Der bisherige Finanzchef Georges Schorderet, von der Neuen abgeschoben, wird nun definitiv gefeuert.

      Chefpilot Corti muss zu Notmassnahmen greifen. «Knapp vor dem finanziellen Abgrund» stehe die Swissair, muss auch der Tages-Anzeiger konstatieren, Corti habe gar keine andere Wahl. Im Blick verströmt der Konzernchef Optimismus: 2002 werde ein tolles Jahr, es gehe nicht um den radikalen Abbau des Netzes, nein, wenn die Konjunktur anziehe, würden auch die Passagierzahlen wieder steigen. Um sich dann mit den Journalisten über das neue Terminal am Zürcher Flughafen, die neue Zuschauerterrasse dort und die Verpflegung in der Economy-Klasse auszutauschen. Und siehe da, auch der so aufrechte Herr Corti arbeitet mit Buchhaltungstricks. So werden plötzlich «vermutlich verfallene Flugscheine» mit 251 Millionen Franken gutgeschrieben. Sie sind bezahlt, aber nicht abgeflogen worden. «Niemand würde nun Corti im Ernst vorwerfen, er wolle irgendetwas verstecken», schreibt die Berner Zeitung. Er tue nur, was jeder Konzernchef tun würde: Optimismus verströmen, «er bemüht sich, mehr noch: er müht sich ab». Der Angesprochene erklärt sich und die Bilanzanpassungen: Nicht er, Corti, sei verantwortlich für die Ticketgutschrift, sondern die Revisionsgesellschaft habe dies veranlasst. Ein Schurke, wer Böses denkt …

      Die