Barbara Piatti

Von Casanova bis Churchill


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heute kaum mehr gelesen. Schon ein zeitgenössischer Kritiker mokiert sich über die Länge des Romans und darüber, dass der «langweilige Mann aus den Vereinigten Staaten» nicht fertig werden kann: «Schon hundert Seiten sind wir damit beschäftigt, uns in den Kahn zu setzen und über den See zu fahren, aber immer hält noch etwas auf.»

      Was hingegen die Lektüre sehr lohnt, ist seine Schilderung der Taminaschlucht bei Bad Pfäfers, die er konsequent als Gang in die Unterwelt gestaltet (siehe Originaltext). Als Cooper 1828 nach Bad Pfäfers kam, waren die grossen Modernisierungen noch nicht im Gang. Ein Bäderführer aus dem Jahr 1868 schildert die damaligen Zustände im Umfeld der heissen Quellen, dort, wo sich die Schlucht zu einem domartigen Gewölbe weitet: «Einzelne Bretter, meist nass und schlüpfrig, ohne Befestigung, ohne Geländer gegen die zu Füssen tobende Tamina, bildete den zitternden Steg, so dass noch Ebel, in seiner Anleitung, die Schweiz zu bereisen› dem Fremden anräth, den Besuch nur zwischen zwei hintereinander gehenden Männern, die nach der Tamina-Seite eine Stange tragen, dem Fremden zum Schutze dienend, zu wagen. Später wurde ein fester Brettersteg mit einer schützenden Rampe erstellt, allein er schwebte immer noch frei auf Tragbalken über der Tamina, war dem Steinfall ausgesetzt und wurde im Winter von herabfallenden Eismassen meist zertrümmert, endlich, war er zu schwach, die immer umfangreicheren Wasserleitungen für Pfäfers und Ragaz zu tragen.» Erst 1857 wurde ein Weg in den Fels gesprengt.

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      James Fenimore Cooper (1789–1851) auf einem Porträt von 1835.

      Bad Pfäfers war eine Entdeckung aus dem Mittelalter (der Überlieferung nach sollen Jäger per Zufall auf das badewannenwarme Wasser von 36,5 Grad gestossen sein), sein Ruhm war weitherum verbreitet, es wurde später in einem Atemzug mit Baden-Baden, Budapest oder den Bädern von Wien genannt und galt als «Königin der Bäder im Abendland». Das kostbare Heil- und Kurwasser wurde in Fässern nach ganz Europa verschickt.

      Anfangs badeten die Kranken direkt in der Schlucht, in Felswannen und hölzernen Bottichen. Wer konnte, stieg über Leitern ab, wer sich nicht traute oder körperlich nicht dazu in der Lage war, wurde in Körben herabgelassen. Die Patienten blieben manchmal zehn Tage ohne Unterbrechung im Wasser. Das heilende Nass sollte die Haut so auflösen, dass die Giftstoffe entweichen konnten, war die medizinische Idee hinter diesem Vorgehen. Ab 1350 wurden hölzerne Badehäuser quer über die Schlucht gebaut. Mitte des 15. Jahrhunderts badeten die Kurgäste noch sechs bis sieben Tage ununterbrochen im warmen Wasser. Eine einzige Nacht ausserhalb des Bades diente der Erholung. Unter anderem besuchte der todkranke Reformator Ulrich von Hutten 1523 die warmen Quellen von Bad Pfäfers, und der berühmte Paracelus war hier als Kurarzt tätig. Doch dann wurde der geniale Einfall umgesetzt, das Heilwasser mittels einer hölzernen Leitung über vier Kilometer aus der Schlucht heraus talabwärts zu leiten und dort Badeanlagen und Übernachtungsmöglichkeiten zu schaffen. Das war die Geburtsstunde des Kurorts Bad Pfäfers. 1704 bis 1718 wurden ausserhalb der Schlucht mehrere Gebäude erbaut, die zum Teil noch stehen – eine barocke Badeanstalt. In diesen Gebäuden übernachtete auch Cooper. Noch im 18. Jahrhundert badete man bis zu zehn Stunden täglich. Doch allmählich war das sogenannte Ausbaden überholt. Man liess sich mehr Zeit und fuhr zu einem drei- bis vierwöchigen Kururlaub. Gebadet wurde nun täglich einmal, aber nie länger als eine Stunde, in einem wollenen oder leinenen Badehemd. Danach legte man sich eine Viertelstunde ins Bett.

      Der Badebetrieb wurde seit dem Mittelalter von Benediktinermönchen geleitet, bis in Coopers Zeit hinein – erst fünf Jahre nach seinem Ragazer Aufenthalt, 1838, wurde das Kloster säkularisiert. 1838/39 zog man die Leitung bis hinunter nach Bad Ragaz und erbaute zugleich eine neue Fahrstrasse.

      Cooper schilderte das Ganze wie gesagt als Ausflug in die Unterwelt. Das funktioniert hervorragend, und der Romancier hat sichtlich Spass an der Ausschmückung mit Details bis hin zum Pferdefuss, den er unter einer schmutzigen Mönchskutte vermutet. Das Beste aber kommt zum Schluss, da geht die Fantasie vollends mit ihm durch. Um dem geneigten Leser, der geneigten Leserin eine möglichst präzise Vorstellung von der Taminaschlucht zu geben, vor allem von deren Tiefe, greift er erneut zu einem schweizerischamerikanischen Vergleich: Man stelle sich vor, der höchste Turm Amerikas stünde in dieser Schlucht, dann bekäme man eine ungefähre Idee. Das ist eine rätselhafte Stelle. Das erste amerikanische Hochhaus über 100 Meter wurde erst 1899 fertiggestellt, die Taminaschlucht ist aber bis zu 200 Meter tief. Welchen Turm könnte Cooper gemeint haben? Ein unterirdischer Wolkenkratzer in Bad Pfäfers, in jener urtümlichen Schlucht, das ist jedenfalls ein filmreifes Bild, das schon weit in die Zukunft weist.

      Die Bergschlucht hatte anfangs eine Weite von drei- bis vierhundert Fuss; aber sie nahm an Enge immer mehr zu, bis die Felsen einander über dem unterhalb durchrauschenden Strom zu berühren schienen; doch gingen wir mehrere Meilen weit, bis diese Berührung wirklich eintraf. Ein wenig mehr diesseits der Stelle, wo die Felsen sich begegneten, wies der Führer nach einem kleinen Gebäude, das über dem Abhang schwebte, grade am gegenüberliegenden Rande der Schlucht. Man hatte sich dessen sonst bedient, allerlei Gegenstände in die Schlucht hinab und aus ihr heraus zu fördern. Hier stiegen wir schnell einen steilen Weg im Zickzack wohl mehrere hundert Fuss hinab. Auf dem Grunde der Schlucht gelangten wir in das berühmte Bad von Pfäfers.

      Das ist vermutlich der ausserordentlichste Ort in seiner Art, den man in der Welt finden kann. Die Breite des Engtals misst unten nicht über zweihundert Fuss, und hoch oben ist es nicht viel breiter. Es richtet sich fast genau nach Osten und Westen, und an der Südseite kann die Felsenwand als ganz senkrecht betrachtet werden. Ich bin nicht gewiss, ob der Gipfel nicht über seinen Fuss hinausragt; an einzelnen Stellen ist es wirklich so. Gegen Norden ist der Abhang weniger steil, aber doch nicht weniger schroff. Ich glaube kaum, dass sich diese enge Schlucht bis auf dreihundert Fuss öffnet, wenn sie auch wirklich so weit ist. Ebel gibt die Höhe der südlichen Felsen zu sechshundertvierundsechzig Fuss an, französisches Mass, welches mit siebenhundertundfünfzehn Fuss englisch übereinstimmt. Die Weite des Engtals nimmt allmählig ab, bis sich die Öffnung ganz verliert, wie schon erwähnt, und es möglich macht, mittelst einer natürlichen Brücke hinüberzugehen. Mitten im Sommer sieht man in diesem Tale die Sonne erst um elf Uhr vormittags, und um drei Uhr verschwindet sie wieder.

      Im Grunde dieser halb unterirdischen Welt steht ein mächtig grosses Gebäude, das im Notfall sechs- bis siebenhundert Gäste fassen kann. Die Bäder sind Eigentum der Abtei Pfäfers, eine geistliche Brüderschaft, welche in dem vorher erwähnten Klostergebäude wohnt. Die Badezeit war vorüber, und es waren wenig Fremde dort, die bloss der Neugierde halber dahin kamen. Das Gebäude ist von Stein und ruht auf Bogen und hat gewölbte Gemächer im Unterbau. Es steht am Fuss des nördlichen Abhangs, und zwischen ihm und dem südlichen Abhang rauscht die Tamina vorüber. In der Mitte ist eine Kapelle, wie es einem Mönchseigentum ziemt; die Küchen, die Bäder und Wirtschaftszimmer sind hinreichend düster, um klösterlich heissen zu können. Fast sollte man glauben, dieser Ort sei von der Natur recht eigentlich zum Vergnügungsort für Mönche bestimmt worden.

      Ich trat in einen ungeheuern Bogengang ein, wo sechs oder acht roh aussehende Mannspersonen mit Kartenspielen beschäftigt waren, und ein Aufwärter empfing mich mit den gewöhnlichen Höflichkeiten der Oberwelt. Nachdem ich an diesen vorübergegangen war, wanderte ich tiefer in das Gebäude hinein und kam in ein anderes Gemach, wo der Wirt, ein Mönch und einige Hausgenossen auf dieselbe Weise beschäftigt waren. Ich kann Ihnen den ersten Eindruck nicht beschreiben, den das auf mich machte. Ich kam von den Bergen, aus der Bergluft, von den duftenden Fluren, aus dem Tag des Himmels in diese schauerliche Kluft hinab, in diese düstern, dumpfigen, gewölbten Gemächer, und musste grade Gruppen begegnen wie diesen hier; da dämmerten mir dunkle Erinnerungen aus den Kinderjahren auf, wo im Sinne der amerikanischen Rechtgläubigkeit Karten und Gottlosigkeit zusammengehörten und Mönche und Teufel einander für verbrüdert galten. Der Benediktiner hatte wirklich gehärtete und scharf ausgedrückte Züge, und die Einmischung des Mönchsgewandes in diesem Gemälde verleitete mich beinah, nach dem Pferdehuf unter dieser braunen schmutzigen Kutte zu spähen.

      Nachdem wir unseren Reisepack aufgehoben,