hinter ihnen türmt sich das düstere Juragebirge auf. Der bedeckte Himmel, welcher uns einigemal ganz gelinden Regen sandte, brachte einen ernsthaften, aber milden Ton in die Gegend, wobei die Farbe des Sees immer saphirgrün leuchtete. Es wurde spät, als wir in einem kleinen Örtchen an der Grenze des Pays de Vaud ankamen, wo wir etwas zu Nacht assen. Unser Vetturin wollte uns trotz der Dunkelheit doch noch nach Yverdon bringen, und wir willigten ein, weil er die Strasse hundertmal gemacht zu haben vorgab; die Sache ging auch glücklich ab, obgleich wir uns, bei der Finsternis und dem Wetterleuchten in der Feme, nicht ganz gemächlich dabei fühlten. Das Bier, das uns abends halb elf Uhr zu Yverdon angeboten und als etwas Neues von uns angenommen wurde, erhitzte uns sehr; ich schlief schlecht und verdarb mir einen Teil des künftigen Tages. […]
In der Ecke des Wallisertals, im Örtchen Martigny, machen wir Mittag. Wir sitzen auf einer Wiese, ringsum von hohen Alpen umgeben und schreiben das Tagebuch. Lange Strecken waren wir durch Wasser gefahren, da eine Überschwemmung das Rhonetal heimgesucht und dem ohnehin höchst ärmlichen Volke, welches von Saint-Maurice ab hier wohnt, grossen Schaden zugefügt hatte. Schrecklich ist dieses Volk anzusehen in seiner abgemagerten, gelben Gestalt; die dritte Person, besonders unter den Weibern, hat einen scheusslichen Kropf, oder auch zwei und sogar drei, und ausserdem sieht man Crétins in Menge. Den Genuss der Pissevache störte uns eine Gesellschaft solcher Missgestalten, die Almosen forderten oder Gestein, Kristall und so weiter zum Kauf, als Erinnerung an die Kaskade, anboten. Das Tal wird hinter Martigny rauher und eintöniger, bis man sich der Hauptstadt des Valais nähert, Sion. Dieser abenteuerliche Ort kündigt sich schon aus der Ferne auffallend an. Auf beiden Seiten des Valais steigen die Berge bis zu Alpenhöhe auf, und im Tale erheben sich zwei kleinere Berge, wovon der eine, etwas niedrigere, mit wunderbar durcheinander getürmten, alten, halbverfallenen Klostergebäuden gekrönt ist, den höheren aber die weitläufige Ruine des alten Schlosses Tourbillon ziert. Etwas tiefer liegt ein zweites zerstörtes Schloss, Valeria genannt, und an den gedachten zwei Bergen klettert die Stadt Sion mit ihren sonderbaren Kirchen und befestigten Turmmauern hinauf. In der Stadt sind wenig Häuser, die bewohnt aussehen; alles scheint auf Ruinen und alten Gewölben zusammengebaut, mehr der Aufenthalt von Ratten, Eulen und Fledermäusen als von Menschen zu sein. Wir waren neugierig, wie für uns, die wir gut serviert werden sollten, hier ein Unterkommen zu finden sein würde. Dies war auch nur so eben möglich in einem Wirtshause, welches sich im Charakter nicht viel von allen übrigen Gebäuden unterschied. Nach der Ankunft bestiegen wir den höheren Schlossberg. Die ehemaligen Besitzer des Schlosses verloren allmählich ihre Rechte und ihr Land gegen den Bischof des alten Klosters auf der danebenliegenden Höhe. In den Ruinen des Schlosses fanden wir eine alte Schlosskapelle, in welcher die Wände noch mit Freskobildem von der frühesten Zeit (aus dem dreizehnten Jahrhundert) bemalt waren. Die Marmorplatte auf dem Altar schien erst kürzlich herabgestürzt worden zu sein, und die Räume wurden, nach dem vielen Dünger zu urteilen, der darinnen lag, dazu gebraucht, die auf den Felsabhängen weidenden Kühe bei Nacht aufzunehmen. Die Kreuzgewölbe waren zum Teil eingestürzt. Das Herabsteigen von diesen felsigen Höhen ist nicht bequem, und man muss wegen des Gleitens bei den Abgründen sehr achtsam sein. Eine Grotte im Felsen, welche weiter unten, zwischen den angelehnten Häusern, unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, weil vielerlei Menschen herauskamen, lockte uns hineinzugehen. Es war ein Durchgang durch den Felsen, um nach einer anderen Seite der Stadt zu gelangen. Zwischen den Trümmern der Schlösser und des Klosters und ein paar neuen bewohnten Gebäuden, die indes auch das Ansehen von Ruinen hatten, vermehrten einige Pfauen, welche hier und da auf den Schornsteinen sassen, den wunderlichen Eindruck dieses schauerlichen Ortes.
Quelle: Karl Friedrich Schinkel: Reisen in Italien, der Schweiz, Frankreich und England. Aus Tagebüchern und Briefen. Aarau: Sauerländer 1968, S. 61–70.
1828
James
Fenimore
Cooper
Paris —
Neuchâtel —
Bern —
Berner Oberland —
Bern —
Schaffhausen —
Rigi —
Luzern —
Bern —
Bad Pfäfers —
Chur —
Bern —
Lausanne —
Genf —
Bern —
Florenz
Die Taminaschlucht, die «Unterwelt», die James Fenimore Cooper 1833 besuchte. Gemalt von Édouard Pingret, lithografiert von Gottfried Engelmann (1826).
Ich murmelte fast immer das Wort «unterweltlich» vor mich hin, und ich glaube, dies Beiwort bezeichnet diesen Ort am besten.
James Fenimore Cooper (1836)
Wer den Namen James Fenimore Cooper hört, denkt sogleich an die Lederstrumpf-Abenteuer, an Indianer, Prärie, Pioniere und Scouts – etwa in dieser Reihenfolge oder einer anderen. Der Amerikaner Cooper hat wie später Karl May die Vorstellungen vom «Wilden Westen» massgeblich mitgeprägt. Er war aber auch ein Kenner des Alten Europa, das er im Rahmen einer sehr ausgedehnten Grand Tour bereiste, die insgesamt sieben Jahre dauerte, von 1826 bis 1833. Der Anlass war Coopers Wunsch, seinen fünf Kindern eine europäische Erziehung und Ausbildung angedeihen zu lassen. Und so schiffte sich die kleine Reisegesellschaft am 1. Juni 1826 in New York ein: Cooper, seine Ehefrau Susan, die vier Töchter Susan, Caroline, Anne und Marie, der Sohn Paul und der Neffe William, der als Sekretär und Kopist tätig war.
Zweimal besuchte Cooper im Lauf dieser sieben Jahre die Schweiz, 1828 und 1832. Dabei blieb ihm genug Zeit, das Land in alle vier Himmelsrichtungen zu erkunden. Er absolvierte ein gewaltiges Programm auf den kanonischen Routen, inzwischen vorgespurt durch Generationen von Reisenden: Zürich, Luzern, Genf, Einsiedeln, die Hohle Gasse Tells, Rousseaus Sehnsuchtsorte am Genfersee, die Schlachtfelder von Morgarten und Sempach, die Blüemlisalp, die Taminaschlucht und dazu ein paar Dutzend weitere Wasserfälle, Seen und Berge.
Beim ersten Aufenthalt im Jahr 1828 richtete er sich mit seiner Familie für drei Monate in Bern ein. Er mietete ein Landhaus ausserhalb der Stadt, «La Lorraine» genannt, und unternahm von dort aus sternförmig mehrere ausgedehnte Exkursionen und Märsche, ausgerüstet mit Regenmantel, Wanderstock, Ebels Reiseführer und einem Vorrat an Schokolade. Eine erste Kurzreise führte ihn ins Berner Oberland, eine zweite an den Rheinfall und auf die Rigi, eine dritte nach Bad Pfäfers und Chur, die vierte an den Genfersee. Auf seinen Streifzügen verglich Cooper immer wieder die amerikanischen Landschaften mit den schweizerischen, ja für sein daheim gebliebenes amerikanisches Lesepublikum dachte er sich ganz besondere Strategien aus, wenn er etwa den Walensee ausgehend vom Panorama der Catskill Mountains beschreibt: «Sie brauchen nichts, als den höchsten Gipfel, den Round Top, abzuschlagen, bis eine etwas unregelmässigere Abdachung entsteht, sodann seiner Höhe noch die Hälfte hinzuzufügen, und ihn alsdann, längs dem Rand eines vollkommen klaren Gewässers, etwa zehn englische Meilen weit an beiden Seiten auseinander zu dehnen, die Felsen danach gelegentlich mit einigen Hütten, Dörfern, Alpenmatten zu verzieren, noch ein paar Dörfer unter den zackigen Abstürzen hinzubauen, dann wird Ihre Ansicht des Wallenstädtersees ziemlich vollständig dastehen.»
1832 weilte er für vier Wochen in Vevey und schrieb dort an einem Roman mit dem verheissungsvollen Titel Der Scharfrichter von Bern oder das Winzerfest (1833). Cooper hat darin wortgewaltig einen Schneesturm auf dem Grossen Sankt Bernhard (er unternahm extra eine Tour dorthin, um alles authentisch schildern zu können) und ein Gewitter über dem Genfersee beschrieben – das konnte er, war er doch selber jahrelang bei der Marine und hatte auch eine Reihe von Seeromanen geschrieben. Er galt als ein zweiter Vernet, als ein Maler von Seestürmen, wie ein Rezensent lobend anerkannte. Und bei seiner Beschreibung