eng anliegenden Beinkleidern. Besonders eindrücklich ist die Szene bei Brown ausgeführt. Manfred rauft sich im Vordergrund das Haar, der Schrecken steht ihm ins Gesicht geschrieben, in spitzen Schuhe rutscht er bereits auf den Abgrund zu, kein Halt, nirgends. Dahinter erscheint der Gemsjäger, in Fell und Leder gehüllt. Bei Martin ist die Landschaft – in fantastische Blau- und Brauntöne getaucht, eine Szenerie wie aus einem Traum – weitaus wichtiger als die zwei winzigen Rückenfiguren, die sich nur als dunkle Silhouetten abzeichnen.
Die Wirkung von Manfred war schon kurz nach Erscheinen 1817 ungeheuer. Der touristische Zustrom auf die Kleine Scheidegg verdreifachte sich; die englischen Touristen wollten die Manfred-Schauplätze mit eigenen Augen sehen. Kein Wunder, Byron war ein ausgesprochener «poet of place», ein Dichter mit einem Faible für Schauplätze, was sich auch daran zeigt, dass über ein Jahr später die Erinnerung an die Manfred-Inspirationsorte noch ganz und gar lebendig ist. Seinem Verleger Murray erklärte er in einem Brief: «I have the whole scene of Manfred before me as if it was but yesterday & could point out spot by spot, torrent and all» – Ich habe die ganze Kulisse von Manfred vor Augen, als wäre es gestern gewesen, und könnte Punkt für Punkt zeigen, mit Wildbach und allem.
Auszüge aus Lord Byrons Tagebuch an Augusta, 1816
Clarens, 18. Sept. 1816: Gestern, den 17. September 1816 – bin ich (mit Hobhouse) zu einem Ausflug in die Berge von ein paar Tagen aufgebrochen. Ich will ein kurzes Tagebuch führen und die Ereignisse jeden Tages für meine Schwester Augusta aufzeichnen.
17. Sept.: Um fünf aufgestanden; verliessen Diodati ungefähr um sieben in einer der Landkutschen (einer Charaban3), unsere Diener zu Pferd: Wetter herrlich; der See ruhig und klar; Mont Blanc und die Aiguille von Argentieres beide sehr deutlich zu sehen; die Seeufer schön. In Lausanne vor Sonnenuntergang angekommen; angehalten und in Ouchy geschlafen.
H. ging fort, um mit einem Herrn Okeden zu Abend zu essen. Ich blieb in unserer Karawanserei (obwohl in das Haus von H.’s Freund eingeladen – zu faul oder müde, oder sonst etwas, um hinzugehen) und schrieb einen Brief an Augusta. Ging um neun ins Bett – Leintücher feucht: fluchte, zog sie heraus und warf sie – der Himmel weiss wohin: wickelte mich in die Wolldecken ein und schlief wie ein Kind von einem Monat bis fünf Uhr des [Satzende].
19. Sept.: Um fünf aufgestanden: den Wagen herumgeschickt. Die Berge bis Montbovon zu Pferd überquert und auf Maultieren und, wegen des Kletterns, auch zu Fuss; die ganze Strecke schön wie ein Traum, und jetzt für mich fast genauso verschwommen. Ich bin so müde; denn, obgleich gesund, habe ich doch nicht die Kräfte wie noch vor wenigen Jahren. In Mont Davan frühstückten wir; nachher an einem Steilhang abgestiegen, gestürzt und einen Finger aufgerissen; das Gepäck machte sich ebenfalls los und fiel eine tiefe Schlucht hinunter, bis ein grosser Baum es aufhielt: fluchte; holte das Gepäck; Pferd müde und stolprig; stieg auf ein Maultier. Als wir uns dem Gipfel des Dent Jamal näherten, mit H. und der ganzen Gesellschaft wieder abgestiegen. Kamen zu einem See, so richtig in der Brustwarze der Brust des Berges; liessen unsere Vierbeiner bei einem Schäfer und stiegen weiter; kamen zu einigen Überbleibseln Schnee, auf den der Schweiss von meiner Stirn fiel wie Regen, er durchlöcherte ihn wie ein Sieb: die Kälte des Windes und des Schnees machte mich schwindlig, aber ich kletterte weiter und immer höher. H. ging bis auf die höchste Zinne; ich nicht, sondern blieb einige Yards unterhalb (wo der Felsenhang eine Öffnung hat). Beim Heruntersteigen stürzte der Führer dreimal; ich fing an zu lachen und stürzte auch – der Abstieg ist glücklicherweise weich, wenn auch steil und schlüpfrig: H. fiel auch, aber niemand verletzt. Der Berg als Ganzes ist prächtig. Ein Schäfer auf einem sehr hohen und steilen Felsen spielte auf seiner Flöte; sehr verschieden von Arkadien (wo ich die Hirten mit langen Musketen statt Stäben und Pistolen in den Gürteln gesehen habe). Die Flöte unseres Schweizer Hirten war süss und seine Melodie wohltuend. Sah eine verlaufene Kuh; man sagte mir, dass sie sich an und über den Felsenspitzen oft die Hälse brechen. Stiegen nach Montbovon hinunter; hübsches, mageres Dörfchen, mit einem wilden Fluss und einer hölzernen Brücke. H. ging Fischen – fing einen. Unser Wagen nicht da; unsere Pferde, Maultiere, etc. ausgepumpt; wir selbst todmüde; aber um so besser – ich werde schlafen.
Die Aussicht vom höchsten Punkt der heutigen Reise umfasste auf der einen Seite den grössten Teil des Lac Léman, auf der anderen die Täler und Berge des Kantons Fribourg und eine unermessliche Ebene mit den Seen von Neuchâtel und Morat, und alles, was die Ufer von diesen und des Genfersees erben: an einem Aussichtspunkt hatten wir beide Seiten des Jura vor uns, mit Alpen die Menge. Als wir an einem Felsrutsch vorbeikamen, empfahl uns der Führer dringend, schneller zu gehen, da die Steine mit grosser Geschwindigkeit fallen und gelegentlich Schaden anrichten: der Rat ist ausgezeichnet, aber, wie guter Rat meistens, undurchführbar, weil die Strasse an dieser bestimmten Stelle so unwegsam ist, dass weder Maultiere, noch Menschen, noch Pferde sich schneller vorwärtsbewegen konnten. Ohne Brüche oder Gefahr davon durchgekommen.
Die Musik der Kuhglocken (denn ihr Reichtum, wie der der Patriarchen, besteht in Vieh) auf den Weiden, (die weit höher hinaufreichen als jeder Berg in England), und die Hirten, die uns von Felsenspitze zu Felsenspitze zuriefen und auf ihren Rohrflöten spielten, an Steilhängen, die fast unerreichbar schienen, mit der Landschaft, die uns umgab, verwirklichte alles, das ich je von einem Hirtendasein gehört oder mir vorgestellt habe: – viel mehr als Griechenland oder Kleinasien, denn dort sind wir ein bisschen zu sehr von der Zunft der Säbel und Musketen; und wenn da ein Stab in der einen Hand ist, kann man sicher sein, ein Gewehr in der anderen zu sehen: – aber dies war rein und ungetrübt – einsam, wild und patriarchalisch: die Wirkung kann ich nicht beschreiben. Als wir fortgingen, spielten sie den «Ranz des Vaches» und andere Weisen, als Lebewohl. Ich habe letzthin meinen Geist mit Natur neu bevölkert.
20. Sept.: Auf um 6. Fort um 8. Die ganze heutige Reise in einem Durchschnitt von zwischen zweitausendsiebenhundert und dreitausend Fuss über dem Meeresspiegel. Dieses Tal, das längste, schmälste, das man für eines der schönsten der Alpen hält, wird selten von Reisenden durchquert. Sah die Brücke von La Roche. Das Flussbett sehr weit unten und tief, zwischen ungeheuren Felsen, und reissend wie der Zorn; – ein Mann und ein Maultier sollen hinuntergestürzt sein, ohne Schaden zu nehmen (das Maultier hat auf alle Fälle Glück gehabt; bevor ich nicht den Mann kenne, werde ich mich hüten, von ihm das gleiche zu sagen). Die Leute sahen frei und glücklich und reich aus (das letztere schliesst keins der ersteren ein): die Kühe prächtig; ein Stier sprang beinahe in die Charaban – «angenehmer Gefährte in einer Postchaise»; Geissen und Schafe sehr gut gedeihend. Ein Berg mit riesigen Gletschern zur Rechten – der Kletsgerberg; etwas weiter der Hockthorn – nette Namen – so weich! – Hockthorn, glaube ich, sehr hochragend und zerklüftet, nur stellenweise mit Schnee bedeckt; keine Gletscher darauf, aber einige gute Wolkenepauletten.
Die Grenze passiert, aus dem Vaud heraus und in den Kanton Bern; das Französische mit einem schlechten Deutsch vertauscht; der Bezirk berühmt für Käse, Freiheit, Besitz und keine Steuern. […] Zum Fluss geschlendert: sah Buben und kleinen Ziegenbock; Böcklein folgte ihm wie ein Hund; Böcklein konnte nicht über einen Zaun kommen und blökte mitleiderregend; versuchte selbst, dem Böcklein zu helfen, wäre aber bald mit ihm in den Fluss gefallen. Ungefähr um sechs Uhr abends hier angekommen. Neun Uhr – im Begriff, ins Bett zu gehen. H. im Nebenzimmer hat sich den Kopf an der Tür angeschlagen und natürlich gegen alle Türen gewettert; heute nicht müde, hoffe aber doch zu schlafen. Frauen plappern drunten: lesen eine französische Übersetzung von Schiller. Gute Nacht, liebste Augusta.
21. Sept.: Früh fort. Das Tal von Simmenthal wie vorher. Der Eingang in die Ebene von Thoun sehr eng; hohe Felsen, bis zur Spitze bewaldet; Fluss; neue Berge, mit grossartigen Gletschern. See von Thoun; weite Ebene mit einem Gürtel von Alpen. Ging hinunter zum Chateau de Schadau; Aussicht den See entlang: überquerte den Fluss in einem Boot, das von Frauen gerudert wurde: Frauen kamen mir jetzt zum erstenmal wieder in den Sinn. Thoun ist eine sehr hübsche Stadt. Die Reise des ganzen Tags war im Hochgebirge und stolz.
22. Sept.: Thoun in einem Schiff verlassen, das uns in drei Stunden über die ganze Länge des Sees brachte. Der See klein; aber die Ufer schön: Felsen bis hinunter zur Wasserfläche. In Neuhause gelandet; an Interlachen vorbeigekommen; dort beginnt eine Kette von Landschaftsbildern,