Heinz Nauer

Fromme Industrie


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um das Wohl der Arbeiter, sondern nur um den eigenen Profit, lautete der Vorwurf. Interessant in dieser Hinsicht waren die Pläne der Firma Benziger im Jahr 1865, in Euthal ein neues Fabrikgebäude für die Buchbinderei zu erstellen. Euthal galt damals als ärmstes Viertel Einsiedelns und war gemäss einem Artikel im «Einsiedler Anzeiger» ein «ödes, abgelegenes verdienstloses Nest».185 Die Firma Benziger hatte in Euthal schon länger mehrere Dutzend Kinder zum Kolorieren von Heiligenbildern sowie zum Falzen und Heften von Gebetbüchern beschäftigt und beabsichtigte nun, dort eine eigene Buchbinderei einzurichten. Zunächst wurde im Schulhaus eine kleine Buchbinderei installiert, wo vor allem Frauen einen Nebenerwerb zur Landwirtschaft verdienten. Die Firma Benziger wollte diesen Zweig weiterausbauen und plante einen grosszügigen Neubau für mindestens fünfzig Arbeiter. Der Grund dafür: Die Löhne waren in Euthal, nur wenige Kilometer von Einsiedeln entfernt, tiefer als im Dorf Einsiedeln und kompensierten die höheren Transportkosten ausreichend. Im Sommer 1865 schrieb die Verlagsleitung in die USA: «In Eutthal werden billigere Löhne die Fracht u. einige Mehrauslagen mehr als decken. Unsere Befürchtung ist in Einsiedeln werden unter kurzem die Löhne stark steigen u. stets fortsteigen, während im Eutthal auf noch lange in diesem Punkte Ruhe d.h. genug Arbeitskraft zu weit billigerem Lohne sich finden wird.» Zudem galten die Euthaler Arbeiter für die Verleger als «eifrige, thätige Leute und weit lenksamer als unsere unruhigen Dorfbewohner».186

      Die Firma Benziger wollte das neue Fabrikgebäude nur errichten, wenn die Korporation Euthal ihr Holz im Wert von 8000 Franken sowie den nötigen Bauplatz zur Verfügung stellte. Gegen diese Forderung formierte sich in Euthal Widerstand. Im «Einsiedler Anzeiger» meldete sich ein anonymer Gegner zu Wort: «Ist den H. H. Gebr. Benziger an dem Erstellen eines Arbeiterhauses etwas gelegen, so können und werden sie dies thun, ohne dass ihnen die Aermsten der Welt solch’ enorme Vergabungen […] machen müssen, indem dies Herren sind, denen das Ausgeben von 8000 Franken für Holz weniger wehe thut, als uns.»187 An einer ausserordentlichen Genossenversammlung am 2. Juli 1865 kam es zum Eklat. Mehr als zwanzig Gegner der Firma Benziger verliessen protestierend den Versammlungssaal. Die Vorlage wurde darauf angenommen, das Fabrikgebäude letztlich aber erst in den 1870er-Jahren realisiert.188

      Es stellt sich hier die Frage, ob die Firma Benziger auch auf andere Branchen in der Region einwirkte und nachhaltige Innovationen auslöste. In den Quellen greifbar sind lediglich einige Hersteller mechanischer Werkzeuge sowie mit Maschinen ausgestattete Schreinereien, die sich rund um die Druckereibranche entwickelten und die Firma Benziger und die anderen Druckereien vor Ort belieferten. In einem grösseren Kontext lassen sich aber durchaus sogenannte Rückkoppelungseffekte auf die regionale Wirtschaft und Gesellschaft feststellen. Mitglieder der Verlegerfamilie waren als Initianten, Gönner, Financiers oder Inhaber öffentlicher Ämter an auffallend vielen wirtschaftlichen und sozialen Neuerungen in Einsiedeln massgeblich beteiligt. Ich sehe «Rückkoppelungseffekte» vor allem auf drei Ebenen: Erstens hat die Firma Benziger oder haben einzelne Mitglieder der Verlegerfamilie als «Privatleute» konkrete infrastrukturelle Projekte initiiert oder finanziell unterstützt (Gaswerk, Eisenbahn, Krankenhaus usw.). Eine zweite Ebene betrifft das Bildungswesen. Mehrere Familienmitglieder haben sich in verschiedenen Funktionen als Förderer einer guten Schulbildung betätigt. Die dritte Ebene ist eher psychologischer Natur. Die Firma Benziger hat den hohen Bekanntheitsgrad Einsiedelns als Wallfahrtsort massiv zu eigenen Werbezwecken eingesetzt und sich in die Geschichte und die Erscheinung des Orts eingeschrieben. Dieses «Labelling» hat der «Marke» Einsiedeln eine zusätzliche Sichtbarkeit verschafft und dürfte sich förderlich auf die Wallfahrt ausgewirkt haben.

      Infrastrukturelle Investitionen

      Anja Buschow und Werner Oechslin streichen die Bedeutung der Firma Benziger für die bauliche Entwicklung des Dorfs zwischen 1850 und 1914 heraus, als eine «Entwicklung vom Dorf zum sich städtisch gebenden Flecken» stattgefunden habe.189 Die Firmen Benziger und Eberle seien der «Motor des baulichen Aufschwungs» gewesen. Von der Bautätigkeit der Firma Benziger sei «die ganze Entwicklung der Architektur des Dorfs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts» ausgegangen.190 Doch reichte der Einfluss der Firma Benziger über die architektonische Entwicklung hinaus. So wurden die ersten Gasleitungen von Privathäusern Ende des 19. Jahrhunderts von der Firma Benziger errichtet und mit Gas aus dem eigenen Gaswerk gespiesen, das 1876 errichtet worden war.191 Das erste öffentliche Gaswerk errichtete der Bezirk erst in den Jahren 1909/10.192 Ab 1889 besass die Firma Benziger eine eigene Telefonanlage mit Anschlüssen in Einsiedeln, Euthal und Gross, die auch das Postbüro benutzte. Ein öffentliches Telefonbüro wurde in Einsiedeln erst 1895 eingerichtet.193

      Auch bei einem 1893 in Einsiedeln errichteten und heute noch bestehenden Panorama («Kreuzigung Christi») stand die Firma Benziger am Ursprung. 1886 hatte ein Panoramagemälde der Kreuzigungsszene des Malers Bruno Piglhein in München für Aufsehen gesorgt. Die Firma Eckstein & Esenwein aus Backnang in Württemberg, die auf die Herstellung von Panoramen spezialisiert war, gelangte einige Jahre später an die Firma Benziger. Sie hoffte, in Einsiedeln eine Kopie des Panoramas von Piglhein zeigen zu können, und stiess beim Verlag auf offene Ohren. Benziger stellte das Bauland für das Panoramagebäude zur Verfügung, übernahm den Betrieb und die Verwaltung und sicherte sich vertraglich 15 Prozent der zu erwartenden Nettoeinnahmen. Im Sommer 1893 konnte das Panorama eröffnet werden und war ein grosser Erfolg. In den ersten Betriebsjahren wurden jeweils über 30 000 Besucher gezählt.194

      Das wichtigste infrastrukturelle Projekt, an dem sich die Firma Benziger beteiligte, war aber die Eisenbahnlinie von Wädenswil am Zürichsee nach Einsiedeln. Zum zehnköpfigen Komitee, das die Bezirksversammlung 1870 wählte und das Projekt ausarbeiten sollte, gehörten auch Adelrich B.-Koch sowie Nikolaus B.-Benziger II. Nikolaus Benziger war zudem Verwaltungsrat der ein Jahr später gegründeten Aktiengesellschaft. Einsiedeln übernahm mit 250 000 Franken ein Drittel des Aktienkapitals, Wädenswil die übrigen zwei Drittel. Interessanterweise beteiligte sich auf der Einsiedler Seite das Kloster, das wohl auf günstige Auswirkungen des Eisenbahnanschlusses auf die Wallfahrt hoffte, mit 50 000 Franken am Aktienkapital, während der Bezirk lediglich 45 000 Franken beisteuerte.195 Beim Bau der Eisenbahnlinie traten schwerwiegende Probleme auf, sodass das Einsiedler Komitee 1875 gezwungen war, noch einmal 375 000 Franken einzuschiessen. Das Kloster beteiligte sich erneut mit 50 000 Franken, weiteres Kapital steuerten der Bezirk, der Kanton sowie Private bei. Eine schliesslich noch offene Finanzierungslücke von weiteren 50 000 Franken übernahm die Firma Benziger.196 Im April 1877 konnte die Wädenswil-Einsiedeln-Bahn eröffnet werden, zu einem Zeitpunkt notabene, als in Wädenswil noch kein Eisenbahnanschluss nach Zürich bestand und der Warentransport zwischen diesen Orten per Schiff auf dem Zürichsee erfolgte. Das Engagement der Firma Benziger beim Eisenbahnbau war nicht zufällig. Der Eisenbahnanschluss lag im eigenen Interesse. Einsiedeln ermangle «der nöthigen Lage an einer Eisenbahn», hatte die Verlagsleitung schon 1866 beklagt.197

      Zu erwähnen sind zwei soziale Institutionen, die von der Familie Benziger gegründet wurden. Zum einen die Waisenanstalt Maria-End, die 1869 auf dem «Katzenstrick», einem Hügel wenige Kilometer ausserhalb des Dorfs, errichtet wurde. Gegründet wurde die Anstalt vom Einsiedler Konditor und späteren Regierungsrat Stephan Steinauer, der eine Tochter von Josef Karl B.-Meyer geheiratet hatte. Dem Verwaltungsrat der Stiftungsgesellschaft gehörten mit Martin B.-Dietschy und Nikolaus B.-Benziger II auch zwei Mitglieder der Familie Benziger an. Nach dem Tod des Gründers Steinauer-Benziger im Jahr 1878 setzte sich vor allem Nikolaus B.-Benziger II für die Weiterführung der Anstalt ein. 1884 musste die Waisenanstalt aus finanziellen Gründen geschlossen werden. Die Stiftungsgelder gingen später in die «Stiftungsgesellschaft zur Gründung eines Krankenhauses für den Bezirk Einsiedeln», eine weitere Gründung der Familie Benziger, über.198 Die Krankenhausstiftung wurde 1863 von Josef Karl B.-Meyer zum Andenken an seine zwei Jahre zuvor verstorbene Frau ins Leben gerufen. Zusammen mit seinen drei Söhnen stiftete er ein Anfangskapital von rund 15 000 Franken. Bis 1897 wuchs das Stiftungskapital durch weitere Schenkungen vor allem aus dem Umfeld der Familie Benziger auf über 300 000 Franken an. 1903, vierzig Jahre nach Stiftungsgründung, konnte das Spital Einsiedeln schliesslich eingeweiht werden.199

      Die Familie Benziger als