Wendelin Köster

Reich-Gottes-Politik


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sie die dreißigtägigen Geistlichen Übungen gemacht haben, die auch Große Exerzitien genannt werden. Diese vier Wochen sind eine Zeit intensiver Begegnungen mit Jesus Christus. Er ist der Dritte im Bunde. Er hat uns geprägt.

      Mich beeindruckt, was Jesus Christus aus Rupert Mayer gemacht hat. Deshalb greife ich auf, was er selbst oder andere darüber berichtet haben. Ob ich ihn beeindruckt hätte, weiß ich nicht. Aber ich stelle mir vor, dass er interessiert zuhören würde, wenn ich von meinem Glaubensweg erzähle.

      Was hier zur Sprache kommt, sind Erlebnisse. Oft sind es Aha-Erlebnisse, die ein Glaubensthema in neuem Licht erscheinen lassen. Doch immer steht der erlebte Wie-Glaube im Vordergrund, nicht der gelernte Was-Glaube. Es geht also mehr um das Erzählen von Erlebtem und weniger um das Unterrichten. Die Erlebnisberichte stammen aus zwei Erfahrungsbereichen: aus dem Alltagsleben zweier Christen, die Priester und Ordensleute sind, und eben aus den Großen Exerzitien. Diese beiden Bereiche werden von dem Dritten im Bunde zusammengehalten. Er ist immer dabei.

      Die Schilderung der Erlebnisse auf dem Glaubensweg folgt dem Aufbau der Großen Exerzitien. Ich erkläre, was die Großen Exerzitien sind. Meine manchmal ungewohnte Wortwahl soll dem Versuch dienen, eine Brücke zu Leserinnen und Lesern zu schlagen, die mit der religiösen und christlichen Begriffswelt weniger vertraut sind.

      Ich widme dieses Buch Rupert Mayer. Es ist mein Geschenk an ihn zum dreißigsten Jahrestag seiner Seligsprechung am 3. Mai 2017. Ich widme es denen, die ihn verehren, und allen, die heute ihr eigenes Christsein oder den christlichen Glauben tiefer verstehen möchten. Mein Dank gilt allen, die auf verschiedene Weise am Zustandekommen dieses Bandes mitgewirkt haben.

      Einleitung

      Es begann mit einem Bild. Als ich 1995 an das Generalat des Jesuitenordens in Rom gerufen wurde, hing dort in meinem Zimmer ein großes Foto von der Seligsprechung Rupert Mayers am 3. Mai 1987 im Münchener Olympiastadion.

      In den folgenden Jahren, als die Nordprovinz und die Südprovinz der Jesuiten in Deutschland sich vereinigen wollten und die Verhandlungen dazu begannen, habe ich nach einem diskreten Helfer aus dem himmlischen Hintergrund gesucht. Mir, dem Mann aus dem Norden, kam der selige Rupert Mayer in den Sinn, mein Mitbruder aus dem Süden. Ich vertraute auf seine Hilfe, die Verhandlungen auf ein Ergebnis hinzulenken, das sich im Sinne der größeren Ehre Gottes sehen lassen konnte.

      Seitdem besuche ich bei meinen Reisen nach München immer das Grab von Rupert Mayer in der Krypta der Bürgersaalkirche. Ich sage ihm schlicht, was ich auf dem Herzen habe. Er hört zu und ich weiß: Er ist hilfsbereit, findig und ausdauernd. Nicht umsonst ist er für die Münchener und für viele andere der „15. Nothelfer“.

      Die Begegnungen mit Rupert Mayer beschränkten sich aber nicht auf Besuche an seinem Grab. Ich begann, über ihn zu lesen. Wichtig wurden mir dabei vor allem die autobiographischen Texte. Beim Lesen dieser Texte musste ich immer wieder innehalten und nachdenken. Es ergab sich ein stilles Gespräch mit meinem Mitbruder. Als ich gefragt wurde, ob das stille Gespräch für Zuhörer nach außen geöffnet werden könnte, verspürte ich eine Ermutigung. So entstand der Plan, eine kleine Schrift herauszugeben.

      Wir sind zwei ganz verschiedene Menschen. Rupert Mayer wurde fast siebzig Jahre alt; ich stehe heute, 2016, schon im 78. Lebensjahr. Als er starb, war ich sechseinhalb; er wäre heute 142.

      Rupert Mayer wuchs im Kaiserreich auf und fühlte sich als deutscher Patriot. Er stritt für die Rechte seiner geliebten katholischen Kirche. Ich bin in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen, wo zwischen Staat und Kirche ein vertraglich abgesicherter Frieden herrscht. Ich fühle mich als deutscher Europäer. Als Katholik versuche ich, in weltweiten Zusammenhängen zu denken. Im Leben mit der Kirche haben wir beide nur einen Papst gemeinsam: Pius XII. Prägende Konzile waren für Rupert Mayer das 1. Vatikanische Konzil (1869–1870), für mich das 2. Vatikanische Konzil (1962–1965). Die Konzile hinterließen im Jesuitenorden, dem wir angehören, unterschiedliche Spuren. Zu Lebzeiten von Rupert Mayer war der Orden eher auf kämpferische Abwehr von Feinden des Glaubens und der Kirche eingestellt. Ich erlebe den Orden eher als eine Gemeinschaft, die sich weltweit für Glaube, Gerechtigkeit, Kultur und Dialog engagiert und dafür Verbündete sucht.

      Rupert Mayer hat den Ersten Weltkrieg „im Feld“ erlebt, an vorderster Front. Später geriet er in den Würgegriff der Nazis. Ohnmächtig musste er zusehen, wie sein geliebtes Vaterland in Trümmer ging. Ich dagegen habe nur Kindheitserinnerungen an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Danach erlebte ich den Wiederaufbau Deutschlands und die Neugestaltung Europas. Rupert Mayer erlitt 1916 eine schwere Verwundung und musste sich seitdem mit Holzbein und Krücke fortbewegen. Ich bin körperlich unversehrt und wurde vom Militärdienst befreit.

      Er trat im Jahre 1900 als junger Kaplan von gut 24 Jahren in den Jesuitenorden ein, ich 1959 mit knapp zwanzig Jahren, kurz nach dem Abitur. Bei seiner Priesterweihe 1899 war er 23 Jahre alt, ich bei meiner im Jahr 1969 dreißig.

      Er ist in der Großstadt Stuttgart aufgewachsen und zur Schule gegangen, ich in der Kleinstadt Meppen/Ems. Seine Umgebung war durch und durch protestantisch, meine durch und durch katholisch. In Meppen bewahrt man die Erinnerung an den Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst, dem die Emsländer einen sicheren Wahlkreis garantierten.

      Die Eltern von Rupert Mayer waren Kaufleute, standen beide im Geschäft und hatten ein sehr gutes Einkommen; meine Eltern standen wirtschaftlich auf wackeligen Füßen, bis mein Vater sich als Rechtsanwalt und Notar selbständig machen konnte. Rupert Mayers Familie war mit sechs Geschwistern und Kindermädchen groß; meine Familie, bestehend aus Eltern und zwei Geschwistern, war klein. Später kamen allerdings nacheinander zwei pflegebedürftige Großmütter hinzu und ein Onkel, der aus dem Krieg heimkehrte und vorübergehend eine Bleibe brauchte.

      Uns verbindet, dass wir weniger für Forschung und Lehre, dafür aber mehr für die Seelsorge geeignet sind. Beide waren wir Assistenten des Novizenmeisters, er ein Jahr lang (1904/1905), ich fünf (1970–1975). Hätten wir zusammen in einer Kommunität gelebt, wären wir begeistert gewesen von „Flädlessuppe“ und „Pfannenkuchen mit Kompott“ [vgl. ASch 7 und 83].

      Die tiefere Gemeinsamkeit beruht auf der Prägung durch die 30tägigen Exerzitien, im internen Sprachgebrauch auch Große Exerzitien genannt. Exerzitien sind zunächst einmal Übungen (vgl. EB 1), wie sie auch Sportler kennen. Große Exerzitien gleichen einem religiösen Trainingslager von vier Wochen mit vier bis fünf Übungen pro Tag. Jede Übung dauert gewöhnlich eine Stunde und hat einen bestimmten Aufbau. Unterbringung, Ernährung, Schlaf und Freizeit sind auf die Übungen zugeschnitten. Das Übungsprogramm dient dazu, Jesus Christus und sich selber besser kennenzulernen, um klarer zu sehen, auf was man sich einlässt, wenn man ihm folgt. Die Zusammenstellung dieses geistlichen Ausbildungsprogramms ist das Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola (EB). Jeder Jesuit wird zweimal in seinem Leben in ein solches Trainingslager geschickt: am Anfang (im Noviziat) und am Ende der mehrjährigen Probezeit.

      In seinem Lebenslauf schreibt Rupert Mayer über den Anfang seines Ordenslebens 1900 in Tisis/Vorarlberg: „… hier machte ich im Noviziat die großen Exerzitien (30 Tage lang), die einen nachhaltigen Eindruck hinterließen“ [RB1, 33]. Das zweite Mal machte er sie 1905. Ich kann bestätigen, dass die Großen Exerzitien auch auf mich einen nachhaltigen Eindruck gemacht haben. Ich erlebte sie 1959 und 1974 im Rahmen meiner Ausbildung, ein drittes Mal 2008 nach Beendigung meiner dreizehnjährigen Tätigkeit in der Ordenszentrale in Rom.

      Unsere tiefste Gemeinsamkeit sehe ich jedoch in der persönlichen Beziehung zu Jesus Christus. Er ist so etwas wie unser Ständiger Begleiter. Ob Rupert Mayer sich auf diese Wortwahl einlassen würde? Wahrscheinlich hätte er auf ein Wort verwiesen, das er einmal zu Schwestern sagte: „Noch etwas bewirkt der Wandel in Gottes Gegenwart: Wir werden Gott immer mehr lieben lernen in dem Bewusstsein, wie er uns liebt“ [K/R 162]. Jedenfalls ist uns in den Exerzitien klar geworden, dass Jesus Christus nicht nur Gegenstand des Nachdenkens und Forschens ist, sondern liebender Begleiter unseres Alltags. Wo immer