zusammentun, dann sind wir zwei in Wirklichkeit plus 1, also zu dritt. Von diesem Dritten, so scheint mir, stammt auch die Idee, unser Gespräch an den Themen der Großen Exerzitien auszurichten.
Training für Reich-Gottes-Politiker
Die großen Exerzitien
Die Großen Exerzitien möchte ich hier als ein vierwöchiges Training für Reich-Gottes-Politiker bezeichnen. Unter Reich Gottes verstehe ich die Menschheit, deren Wohl und Wehe Gott in seine Regie genommen hat. Das Wehe der Menschheit ist ein fundamentaler Schaden, nämlich der Tod. Ihr Wohl ist die Heilung dieses Schadens: Gott bricht die Allmacht des Todes durch Liebe. Das ist seine Politik. Bürger des Reiches Gottes sind Menschen, die diese Politik und ihre Grundsätze für richtig halten und danach leben.
Trainingsziel
Die Übungen haben ein doppeltes Ziel: das tiefere Kennenlernen Jesu Christi und seiner Politik und die bessere Selbsterkenntnis meiner Person. Wer ist er? Wer bin ich? Kann er mich als Helfer gebrauchen? Ich sehe in ihm den Ur-Politiker des Reiches Gottes. Seine Politik-Formel lautet: „In allem lieben und dienen!“ Seine Liebe knickt nicht ein, auch wenn der Widerstand gegen sie wächst. Sein Dienen unterläuft die Herrschaft derer, „die mit dem Tod uns regieren“ (Kurt Marti, 1970, vgl. auch Weisheit 1,16). Die Helfer-Formel lautet: „sich selbst zu überwinden und sein Leben zu ordnen, ohne sich durch irgendeine Neigung, die ungeordnet wäre, bestimmen zu lassen“ (EB 21). Es kommt also darauf an, in der Spur Jesu Christi zu bleiben und sich nicht auf Abwege locken zu lassen.
Die Empfindsamkeit für gefährliche Abwege soll durch ein Grundprinzip gestärkt werden. Es lautet: „Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten. Die andern Dinge auf Erden sind zum Menschen hin geschaffen und um ihm bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu dem hin er geschaffen ist. Hieraus folgt, dass der Mensch sie soweit zu gebrauchen hat, als sie ihm zu seinem Ziele hin helfen, und soweit zu lassen, als sie ihn daran hindern. Darum ist es notwendig, uns allen geschaffenen Dingen gegenüber gleichmütig (indifferentes) zu machen, überall dort, wo dies der Freiheit unseres Wahlvermögens eingeräumt und nicht verboten ist, dergestalt, dass wir von unserer Seite Gesundheit nicht mehr als Krankheit begehren, Reichtum nicht mehr als Armut, Ehre nicht mehr als Ehrlosigkeit, langes Leben nicht mehr als kurzes, und dementsprechend in allen übrigen Dingen, einzig das ersehnend und erwählend, was uns jeweils mehr zu dem Ziele hin fördert, zu dem wir geschaffen sind“ (EB 23).
Die Zielführung in Richtung Gott soll so eindeutig sein, dass kein anderes Ziel an seine Stelle tritt. Die Sorge um die Gesundheit ist wichtig, aber nicht erstrangig. Die materielle Absicherung ist wichtig, doch nicht erstrangig. Ehre, Rang und Name mögen wichtig sein, doch ebenfalls nicht erstrangig. Mit „Gleichmut“ („Indifferenz“) ist ein seelischer Fühler oder Sensor gemeint, der anzeigt, ob ich in den Sog des Zweitrangigen und damit des Eigennutzes gerate. Wenn das geschieht, weiche ich vom Weg zu meinem eigentlichen Lebensziel ab. Dieser Sensor, so könnte man auch sagen, ist eine Warn- und Steuerhilfe gegen Bestechung hin zu einer Haltung der Unabhängigkeit (vgl. EB 189).
Übungsleiter
Der eigentliche Leiter des Übungsprogramms ist mein Ständiger Begleiter Jesus Christus selbst, der Ur-Politiker des Reiches Gottes. Wie ein gewissenhafter Politiker kümmert er sich um das Wohl und Wehe der Menschen. Er ist Reich-Gottes-Politiker, weil er sich an die Grundsätze und Richtlinien hält, die Gott dem Volk Israel anvertraut hat. Sie gehören nicht Israel allein, sondern sind für alle Menschen da. In der Bibel sind sie dokumentiert. Zugleich dokumentiert die Bibel auch die Weise, wie das Volk mit den Grundsätzen und Richtlinien Gottes zurechtgekommen ist. Von Abraham bis zu Jesus Christus schwankt das Volk zwischen Zustimmung und Ablehnung. Erstaunlich ist jedoch dieses: Das Volk Israel hält die Richtlinien Gottes hoch, obwohl es, daran gemessen, selber schlecht aussieht. Noch erstaunlicher ist: Gott bleibt geduldig. Die Verkörperung seiner Geduld ist Jesus Christus. Aus ihm ist die Kirche hervorgegangen; durch ihn bleibt sie im Volk Israel verwurzelt. Bei ihm ist, wie bei einem guten Politiker, das Handeln wichtiger als das Reden. Wer in die Reich-Gottes-Politik einsteigen will, muss ihn kennenlernen und bei ihm in die Lehre gehen.
Der eigentliche Leiter hat zwei Stellvertreter. Der eine ist Ignatius von Loyola. Er ist bei Jesus Christus in die Lehre gegangen und hat daraufhin das Trainingsprogramm zusammengestellt: das Exerzitienbuch (EB). Der andere Stellvertreter ist ein Übungsleiter vor Ort, der Exerzitienbegleiter, ein Ordenskollege oder ein anderer Christ, der das Training selber durchlaufen hat, sich mit der Reich-Gottes-Politik identifiziert und den Übenden berät. Der Exerzitienbegleiter wird angehalten, mit dem Übenden nicht die Geduld zu verlieren, sondern ihm verständnisvoll entgegenzukommen (vgl. EB 22).
Das gesamte dreißigtägige Programm ist in vier Wochen-Etappen eingeteilt. Eine „Woche“ kann weniger oder mehr als sieben Tage dauern, je nach Verfassung des Übenden. Manchmal scheut er vor einem Hindernis zurück, manchmal kommt er sehr schnell voran. Dann ist Beratung durch den Exerzitienbegleiter wichtig.
Die Übungen beginnen in der ersten Woche mit einer gründlichen Musterung. Wer im Reich Gottes mitmachen will, lässt sich auf Herz und Nieren überprüfen. Die Überprüfung nimmt Jesus Christus selbst vor. In den folgenden drei Wochen begleitet der Übende Jesus auf seinem Weg von Galiläa über Judäa nach Jerusalem und gelangt anhand der biblischen Berichte zu den Tat-Orten der Reich-Gottes-Politik.
Hilfsmittel
Für den Besuch der Tat-Orte werde ich mit einigen Hilfsmitteln vertraut gemacht. Das erste ist die Schriftbetrachtung. Der Exerzitienbegleiter gibt mir einen Abschnitt aus dem Evangelium, der ein Ereignis schildert. Was Jesus spricht, ist wichtig, aber wichtiger ist, was er tut. Ich lerne, mich in die Szene hineinzuversetzen, so als ob ich selbst dabei wäre, mit Kopf und Herz und mit allen fünf Sinnen. Dabei verhalte ich mich wie ein Regisseur und Bühnenbildner, der vor seinem geistigen Auge die biblische Szene entstehen lässt. Ich sehe die Landschaft, das Zimmer, den Marktplatz; ich sehe die Menschen und höre, was sie sprechen. Ich höre die Geräusche ringsum. Ich rieche Düfte oder Gestank. Ich schmecke Speisen und Getränke. Ich fühle einen Händedruck, eine Umarmung oder einen Stoß. Vor allem aber erlebe ich Jesus aus der Nähe: Ich lasse seine Worte und sein Tun auf mich wirken. Nicht die Interpretation des Textes und die Würdigung seiner literarischen Qualität sind wichtig, sondern meine Berührung durch das Erlebte.
Ein zweites Hilfsmittel ist das Durchhalten der Zeit, die ich für die Betrachtung verwenden soll. Manchmal vergeht die Zeit wie im Fluge, weil mich so vieles packt und ergreift. Manchmal schleppt sich die Zeit dahin; Langeweile stellt sich ein. Am liebsten möchte ich weggehen und etwas Vernünftiges tun. Ich lerne, dieser Anwandlung zu widerstehen. Ich bleibe dran und harre aus. Es kann sein, dass ich plötzlich durch ein Aha-Erlebnis belohnt werde, es kann aber auch sein, dass mein Lohn nur in der Genugtuung besteht, durchgehalten zu haben.
Aus dem zweiten ergibt sich ein drittes Hilfsmittel: die Wiederholung. War eine Betrachtung das erste Mal mühsam wie das Kauen eines zähen Stückes Fleisch, kann dieselbe Geschichte beim zweiten Mal schmecken wie ein Stück Erdbeertorte mit Sahne. Und umgekehrt. Ich lerne, meine Lust- und Unlustgefühle zu hinterfragen. So gewinne ich Distanz von meinen Stimmungen, werde wetterfest und geländegängig.
Ein viertes Hilfsmittel ist das Achthaben auf Ablenkungen. Ablenkungen sind Gedanken und Gefühle mit anderer Thematik. Sie überblenden den Betrachtungsstoff und lenken mich anderswohin. Sie können hartnäckig sein und lassen sich nicht so leicht verscheuchen. Ich lerne, diese Störenfriede anzuschauen und zu fragen: „Wes Geistes Kind seid ihr? Woher kommt ihr? Wohin wollt ihr mich bringen?“ Will jemand meinen Wunsch hintertreiben, Jesus Christus genauer kennenzulernen?
Zum Handwerkszeug gehört noch ein fünftes Hilfsmittel: das Gespräch. Gesprächspartner ist vor allem Jesus Christus selbst. Das Gespräch mit ihm findet auf der Du-Ebene statt. Sie ist die Ebene des Betens. Der zweite Gesprächspartner ist der Exerzitienbegleiter. In diesem Gespräch geht es nicht