sowie als Experte beim Projektwettbewerb fühle er sich diesem markantesten Einzelobjekt des Nationalstrassenbaus besonders verbunden. Seit einigen Jahren werde der Konkurrenzkampf im schweizerischen Tunnel- und Stollenbau aufs Schärfste geführt. Prader verglich Erfahrungszahlen vom Bau der Tunnels am Lopper und vor allem am San Bernardino mit jenen Zahlen, die in den Offerten – seiner Ansicht nach wider besseres Wissen – angeboten worden waren. So seien beim Felsausbruch am San Bernardino 1,7 Arbeitsstunden pro Kubikmeter aufgewendet worden. Am Gotthard wurde mit einer Stunde gerechnet. Bei den Leistungsangaben zu Materialtransport und Vortriebsleistung hätten die Konkurrenten auf reine Hoffnungen und Experimente gesetzt, schrieb Prader an das EASF. Die unwahrscheinlichen Erwartungen ohne soliden Rückhalt in der Praxis könnten zu Rückschlägen führen, schrieb Prader in einem zweiten Brief.27
Übertriebene Versprechungen waren damals im Schweizer Strassentunnelbau häufig. Eine minuziöse Aufstellung von Tunnelprojekten aus den Jahren 1959 bis 1968 zeigte, dass die bei Schweizer Strassentunnelbauwerken offerierten Vortriebsleistungen in drei von vier Fällen doppelt so hoch waren wie die effektiv erbrachten.28 Beim Gotthard-Strassentunnel waren die höchsten Offerten durchwegs ein Drittel oder gar um die Hälfte teurer als die günstigsten – üblich waren im Baugewerbe Preisunterschiede von fünf oder zehn Prozent. Auch die gebotenen Kubikmeterleistungen waren so unterschiedlich, dass Fragen hätten aufkommen müssen.
Mit beachtlichem Aufwand versuchte die Baukommission die Zahlen der offerierenden Firmen zu verifizieren. Auf einer Informationsreise liess sich eine Delegation in Schweden neuste Atlas-Copco-Geräte vorführen.29 Mit eigenen Feldversuchen im Stollen des Zementwerks in Balerna und im Tunnel Arisdorf ermittelte die Bauleitung zudem die Effizienz von Pneuschaufelbaggern.30 Am 22. Mai 1969 erstattete sie Bericht, und in ihrem Antrag für den Zuschlag der Bauarbeiten versuchte sie sich noch einmal abzusichern. «Generell ist festzustellen, dass alle Submittenten ihren Angeboten sehr hohe Vortriebsleistungen zugrunde gelegt haben. Diese optimistischen Annahmen haben sich in verhältnismässig niedrigen Ausbruchpreisen ausgewirkt.»31 Die Baulose im Norden und im Süden sollten an zwei verschiedene Unternehmensgruppen vergeben werden.
Am 2. Juni 1969 folgte der Antrag des EDI an den Bundesrat und dieser bestätigte ihn am 16. Juni: Es solle das Strassentunnelprojekt der Ingenieurgemeinschaft Lombardi, Gellera und Elektrowatt mit vier Lüftungsschächten gebaut werden, und es solle zusätzlich ein Sicherheitsstollen erstellt werden.32 Der Bundesrat beschloss einen Rahmenkredit von insgesamt 306 Millionen Franken. Das 6807 Meter lange Baulos Nord vergab er zum Offertpreis von 75,4 Millionen Franken an die Arbeitsgemeinschaft Gotthard Nord; das war das Konsortium mit der federführenden Conrad Zschokke AG in Zürich. Das Baulos Süd mit seinen 9515 Metern Länge vergab der Bundesrat für 95,9 Millionen Franken an das Consorzio Gottardo Sud mit der Zürcher Walo Bertschinger AG an der Spitze.
Letzte Mahnungen
Bald sollten die Bauarbeiten beginnen. Der 1925 geborene und 1995 verstorbene Rudolf Amberg führte ein Planungsbüro für Untertagebau, er war beim Bau des Strassentunnels der ständige Experte der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Zuhanden der Gotthardbaukommission verfasste das Ingenieurbüro Amberg im August 1969 einen Bericht, in dem die Ursachen der später eintretenden Krisen weitsichtig vorhergesagt wurden. «Das Bauprogramm für einen Tunnelbau wird massgebend durch die kalkulierte durchschnittliche Vortriebsleistung bestimmt. Alle übrigen Arbeiten, wie das Einziehen der Betonverkleidung, Abdichtungen, Montagen usw. folgen dem Vortrieb in einem bestimmten Abstand und können leistungsmässig je nach Bedarf ohne grössere Schwierigkeiten forciert werden. Sie lassen sich der Vortriebsleistung anpassen. Entscheidend bleibt somit letztere, und auf ihr basiert so betrachtet grösstenteils auch die Kostenkalkulation.»33 In der Vergangenheit sei diesem Sachverhalt wenig Beachtung geschenkt worden. Die gewählten Baumethoden und die Art und Weise, wie das Bauprogramm und die Kosten eingehalten werden könnten, sei Sache des Unternehmers gewesen. Sehr oft seien trotzdem Nachforderungen erhoben worden.
«Die scharfe Konkurrenzsituation im Bereich des schweizerischen Tunnelbaus, sowie das Prestige der schweizerischen Unternehmer in einer Submission unter Teilnahme ausländischer Firmen haben dazu geführt, dass mit hohen absoluten und spezifischen Leistungen kalkuliert werden musste. Dementsprechend wurden durchwegs hohe Vortriebsleistungen angenommen, wie sie bis heute in der Schweiz noch nicht erreicht worden sind. Da, wie eingangs erwähnt worden ist, Programm und Kostenentwicklung weitgehend von der Einhaltung der kalkulierten Vortriebsleistung abhängen und diese wesentlich über dem bisher Erreichten angenommen wurde, ist eine kritische Beurteilung der von den Unternehmern zur Erreichung dieser Leistungen vorgesehenen Installationen und Geräte notwendig.»34 Bis ins Detail befasste sich der Bericht mit Arbeitsabläufen, Transportfragen und Sprengschemas. Amberg warnte zum Beispiel vor grobstückigem Sprengschutt, bei dessen Zerkleinerung und Abtransport Mehrkosten drohten. Auch hier hatten die Konsortien Rekordleistungen versprochen. Deshalb müsse die Bauleitung ein verstärktes Mitspracherecht bei Installationen und Baumethoden haben, monierte der Autor, sie müsse sich im Gegensatz zur bisherigen Praxis intensiv mit der Durchführung der Vortriebsarbeiten beschäftigen.
Die Konfliktlinien waren so vorprogrammiert. Die Konsortien standen unter Druck, sie hatten Höchstleistungen, wie sie im Schweizer Tunnelbau noch nie erreicht worden waren, versprochen. Zugleich sollte die Baukommission bis ins Detail in die Bauausführung hineinwirken, wobei die Unternehmen die Folgen zu tragen hatten.
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