Группа авторов

Lebensbilder aus dem Bistum Mainz


Скачать книгу

sondern steht durch ihre Klostergründung auch stellvertretend für die weiblichen Kongregationen, die seit dem 19. Jahrhundert im sozial-karitativen und erzieherischen Bereich Großes für die Menschen im Bistum geleistet und einen regelrechten „Catholicisme au féminin“ (Claude Langlois) ausgebildet haben.

      Die drei folgenden Lebensbilder führen hinein in die pastorale „Mikrohistorie“ der Zeit unter und vor allem nach Bischof Ketteler, die von der Forschung bisher weniger wahrgenommen worden ist. Der Fall des Wormser Pfarrers Nikolaus Reuß zeigt unter anderem, welch prekärer Ausgleich hier konkret vor Ort unter den Bedingungen konfessionell-gesellschaftlicher Polarisierung jeweils neu zu suchen war. Die Pfarrer Friedrich Elz und Carl Forschner sind Musterbeispiele für den Aufbau eines „katholischen Milieus“, der sich während und nach dem Kulturkampf verstärkt vollzog. Elz stand dabei an der Wiege eines katholischen Verbandes von reichsweiter Bedeutung (des KKV), trug aber auch entscheidend zum Ausbau des Darmstädter Katholizismus in neuen katholischen Vereinen, in neuen Pfarreien und nicht zuletzt in dessen römisch-liturgischer Durchformung bei. Carl Forschner benutzte ebenfalls vor allem das Mittel des Vereins zur Intensivierung der Pfarrseelsorge in Mainz, aber auch zum weltanschaulichen Kampf gegen die in seinen Augen atheistische Sozialdemokratie im ganzen Bistum. In diesen drei Lebensbildern entsteht damit eine interessante Binnensicht auf den pastoralen Ausbau des Bistums bis hin zum Ersten Weltkrieg.

      Der Schwerpunkt dieses Bandes liegt damit auf dem 19. Jahrhundert, doch auch das 20. Jahrhundert bis hin zum II. Vaticanum wird mit drei Schlaglichtern ausgeleuchtet: Mit dem Lebensbild von Wilhelm Kastell wird zum einen die Geschichte des Darmstädter Katholizismus exemplarisch für die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus weitergeführt, zum anderen hatte Kastell ab 1945 als Generalvikar von Bischof Stohr besonderen Anteil am mühsamen Wiederaufbau im Bistum. Mit Br. Raphael Tijhuis Ocarm ist ein Ordensmann aus den Niederlanden im Band vertreten, der in Mainz wirkte und sich als Glaubenszeuge in der Zeit der Gewaltherrschaft bewährt hat. Mit dem Priester und Pädagogen Ernst Plum tritt abschließend eine Gestalt vor Augen, die sich in besonderer Weise der Bildungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg angenommen hat.

      Die „Lebensbilder aus dem Bistum Mainz“ wollen nicht nur christliche Persönlichkeiten würdigen und die innere Vielfalt der Bistumsgeschichte verdeutlichen, sondern auch übergreifende Themen identifizieren, welche die Einzelbiographien durchziehen und sich für die weitere Forschung anbieten. Neben dem schon angesprochenen Thema der katholischen Mobilisierung und Milieubildung führt hier eine besonders lohnenswerte Fährte nach Frankreich. Die inneren Zusammenhänge und Abhängigkeiten von Entwicklungen im französischen Katholizismus und dem Denken und Agieren prägender Gestalten der Mainzer Bistumsgeschichte ergaben sich nicht nur aus dem Erbe Bischof Colmars und der Ausbildungstätigkeit elsässischer Geistlicher am Mainzer Priesterseminar zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Diesen bestimmenden Einfluss französischer Reformtheologie kann man etwa aus dem Lebensbild Kaspar Riffels deutlich herauslesen. Auch Adam Franz Lennigs Studienaufenthalt in Paris 1824/27 und sein in dieser Zeit geknüpfter unmittelbarer Kontakt zu Hugo Félicité Robert de Lamennais und dem Grafen Charles René Montalembert stehen für derartige innere theologische Zusammenhänge. Darüber hinaus zeigt ein Blick in die vorgestellten Lebensbilder, dass in der Folgezeit weitere französische Initiativen zeitnahe „Übersetzung“ in Mainz fanden, welche beispielsweise die Organisationsform des Katholizismus betrafen: So orientierte sich Ida Hahn-Hahns Mainzer Klostergründung am Beispiel der hl. Maria Euphrasia Pelletier und eines im französischen Kontext entstandenen neuen Ordenscharismas, das strenge weibliche Klausur mit „karitativer Öffnung zur Welt“ (H. Hinkel) kombinierte. Johann Baptist Heinrich übertrug nicht nur die Werke französischsprachiger Autoren wie Victor Auguste Dechamps und Prosper Guéranger ins Deutsche, er „reimportierte“ im Auftrag Bischof Kettelers auch die Ideen zu einem kommunitär gestalteten Leben der Weltpriester, die Bartholomäus Holzhauser Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelt hatte und die in Frankreich mittels einer Lebensbeschreibung Holzhausers durch den Generalvikar von Orléans, Jean Pierre Laurent Gaduel, eine Renaissance erlebt hatten. Das „Praktikum“, das Ernst Plum schließlich 1958 in Lyon absolvierte, stand unter ähnlichen Vorzeichen: Inwieweit konnten in Frankreich entwickelte Modelle von an den gesellschaftlichen Wandel angepasster Pastoral und priesterlicher Lebensform (konkret das Phänomen der Arbeiterpriester und die Priestergemeinschaft des Prado) zukünftig gewinnbringend in die Mainzer Verhältnisse überführt werden? Diese theologischen, kulturellen und pastoral-praktischen transnationalen Beziehungen, die sich am Mainzer Beispiel so eindrücklich zeigen, verdienten sicherlich eine eingehendere Betrachtung.

      Dass ein Buchprojekt wie die „Lebensbilder“ relativ rasch realisiert werden konnte, ist in erster Linie der prinzipiellen Bereitschaft, dem nimmermüden Engagement und der großen Geduld der beteiligten Autoren geschuldet. Sie stellten ihre Expertise und vor allem ihre Zeit zur Verfügung, um jeweils ein möglichst quellennahes und detailreiches Portait vorzustellen. Ihnen soll in erster Linie der Dank der Herausgeber gelten. Engagiert und interessiert beteiligt waren aber noch zahlreiche weitere Personen: Der für die meisten der in diesem Band vereinigten Aufsätze nötige Einblick in das vorhandene Quellenmaterial wurde durch die Verantwortlichen – genannt seien vor allem der Direktor des Dom- und Diözesanarchivs Dr. Hermann-Josef Braun und seine Mitarbeiter sowie der Generalvikar des Bistums Mainz, Prälat Dietmar Giebelmann – völlig unkompliziert und mit tatkräftiger Unterstützung gewährt. Namentlich ungenannt müssen viele weitere Personen bleiben, die auf die unterschiedlichste Art und Weise dabei halfen, quellenmäßige Hinweise und teilweise noch erhebbare persönliche Erinnerungen an die vorgestellten Menschen zu sammeln. Auch diese Vernetzung ist ein positiver (Neben-)Effekt der „Lebensbilder“. Ute Blankenheim M.A. hat den Band mit großer Akribie Korrektur gelesen. Dass der Leser nunmehr auch ein buchhandwerklich gut gearbeitetes Exemplar in Händen halten darf, ist der aufmerksamen und erfahrenen Arbeit von Dr. Barbara Nichtweiß und Gabriela Hart zu verdanken. Aus dem gelieferten Rohmaterial aus Texten und Bildern ließen sie ein „richtiges Buch“ werden. Der Kooperation mit der Abteilung „Publikationen Bistum Mainz“ ist es auch zu verdanken, dass der erste Band der „Lebensbilder“ zugleich als „Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz“ erscheinen kann.

      Ein herzliches Vergelt’s Gott ihnen allen.

      Mainz, im Februar 2016

       Claus Arnold und Christoph Nebgen

      Institut für Mainzer Kirchengeschichte

      Johann Baptist Lüft (1801–1870)

      Bedeutender Gießener Theologe und prägende Gestalt des Darmstädter Katholizismus

       Uwe Scharfenecker

      Seine edlen Charaktereigenschaften, sein ausgezeichnetes Wissen, seine abgemessene Klugheit und seine kindliche Frömmigkeit sichern ihm ein treues Andenken auch in die fernsten Zeiten.1 Mit diesen überschwänglichen Worten pries Alfred Bang-Kaup 1957 das Wirken des Darmstädter Pfarrers Johann Baptist Lüft. Und als herausragender Theologe wurde er in den letzten Jahren wieder entdeckt, als Franz Kohlschein seine große Bedeutung für die „Wissenschaftsgeschichte der Liturgiewissenschaft“ ins Bewusstsein rief und den hohen Reflexionsgrad seiner „Liturgik“ rühmte2. So lohnt es sich, Lüft auf den verschiedenen Stationen seines Wirkens zu begleiten, um ihn als Professor, als Bischofskandidat, als Liturgiker und schließlich als Pfarrer kennen zu lernen.

      Retter in der Not: Johann Baptist Lüft als Professor und Pfarrer in Gießen

      Im Wintersemester 1830/31 wurde in Gießen, der Landesuniversität des Großherzogtums Hessen-Darmstadt, eine Katholisch-Theologische Fakultät eröffnet. Nachdem das Land im Gefolge der Napoleonischen Kriege einen erheblichen Gebietszuwachs zu verzeichnen hatte und dem zuvor fast rein evangelischen Territorium nun auch viele katholische Bewohner zugehörten, hatte sich Großherzog Ludwig II. (1777–1848, 1830 Großherzog) zu dieser Maßnahme entschlossen. Sie kam nicht von ungefähr, entsprach sie doch den Maximen, zu denen sich die südwestdeutschen Staaten bekannt hatten, die seit 1817 auf den Frankfurter Verhandlungen nach einer einheitlichen Lösung der Kirchenfrage suchten. Die Theologenausbildung hatte demnach an staatlichen Fakultäten und nicht an kirchlichen Seminaren zu erfolgen. Im Königreich Württemberg stand die Katholisch-Theologische Fakultät in Tübingen, im Großherzogtum Baden