und Katastrophen verursachen? Alles, was in der Zentralafrikanischen Republik geschieht, ist Menschen-gemacht. Gott – der abwesende Gott – wird als eine verzweifelte Erklärung herbeigezogen angesichts des völligen Versagens von Menschen in ihrer Freiheit. Wir Menschen halten den Abgrund der menschenmöglichen Barbarei nicht aus und brauchen wenigstens da noch den abwesenden Gott als Letztentschuldigung.
So verständlich diese Frage nach Gott sein mag, so bleiben Menschen – allein Menschen – verantwortlich für die vielen Gräueltaten und Unmenschlichkeiten, die anderen Menschen angetan werden. Es ist unsere gottgegebene menschliche Freiheit, die uns befähigt, so oder anders zu handeln. Wir sind verantwortlich für das, was wir tun oder nicht tun.
Gott bleibt für mich dieser Urgrund unserer menschlichen Freiheit und Verantwortung, der uns ernst nimmt in unserer Freiheit, auch wenn wir versagen und Unmenschliches tun. Aber gerade dort, in der menschlichen Katastrophe des völligen Versagens und der Eigenverschuldung des Menschen, ist Gott, der uns selbst in unserem Versagen auffängt. Da ist Gott in denen, die geschunden werden. Nirgendwo ist Gott mehr präsent als in den Leidenden, in den Gekreuzigten unserer Tage. Gott ist da im stummen Leiden. Aber wo ist der Mensch – der Mitmensch?
Peter Balleis SJ, Genf, geb. 1957
Gott – fern und nah
Der alte Mann mit wallendem weißem Bart fern oder über den Wolken – diese Erinnerung an Gott habe ich überhaupt nicht. Von (meist ungarischen) Sacré-Cœur-Schwestern religiös sozialisiert – Kindergarten und Grundschule im Kloster Riedenburg in Bregenz –, wurde ich anhand von großen, anschaulichen Schaubildern im Nazarenerstil mit Jesus vertraut gemacht: dem Heiler und Menschenfreund, dem Prediger und Meister, dem Freund. Auch wenn ich diese Tafeln heute kitschig nennen würde: Damals regten sie meine kindliche Phantasie an. So einer will ich auch sein – ein Jünger in der Nähe Jesu!
Gott spielte dabei keine große Rolle. Keine, an die ich mich erinnern kann. Das blieb lange so. Als Seminarist (1981/84) stand ebenfalls Jesus im Vordergrund. Bewusst wurde mir der Kontrast in den Gebeten, die sich an Gott richteten, etwa im Stundengebet, oder bei den Psalmen. Erst die Bibelschule in Nazareth und Jerusalem im Sommersemester 1984 brachte eine Horizonterweiterung: Am Sinai, auf dem Berg Horeb und im Katharinenkloster, fühlte ich mich – bei einem unglaublich klaren Sternenhimmel – Gott nahe: dem Schöpfer und Gestalter der Welt, auch wenn ich mich mitten in der Wüste vorfand. Die Psalmen, etwa Ps 8, begannen neu zu wirken. Ein Jahr später trat ich in Innsbruck in den Jesuitenorden ein.
Als mir mein hochverehrter Lehrer Walter Kern SJ empfahl, Karl Rahner SJ zu lesen, ihn selber, seine Texte, nicht Artikel über ihn, konnte ich anfangs mit dem »namenlosen«, »unergründlichen«, »schweigenden«, »fernen« Gott wenig anfangen. Das klang für mich zu abstrakt und zu unpersönlich – und kontrastierte stark mit meiner Heilig-Land-Erfahrung: mit den Augen Jesu sehen und staunen. Erst allmählich, zunächst eher auf der intellektuellen Schiene, entdeckte ich Gott – als »Gott meines Herrn Jesus Christus«. Dass ich mit Jesus dem Christus zusammen vor Gott stehe, zu Gott, dem Vater und Schöpfer, bete, dass ich mich wie Jesus verloren und von Gott verlassen fühlen kann – das brachte mich in die Nähe Gottes. Er war plötzlich fern und nah zugleich. Und weil ich das IHS als »Iesum Habemus Socium« (Wir haben Jesus zum Gefährten) lese, bedeutet mir die Stelle im Kolosserbrief sehr viel: in Jesus »das Bild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15) vor mir zu haben. Oder Joh 14,9: »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.«
Etwas kam dazu: Gebete und Meditationen, liturgische Texte, in denen Gott Attribute zugesprochen wurden, die ihn »verfügbar« machen wollen, unbewusst oder bewusst, stießen mich mit der Zeit zunehmend ab als religiöser Kitsch. Vielleicht ist das eine Alterserscheinung. Die »Gras-und-Ufer«-Romantik, so lautstark ich sie als Jugendlicher mitsang, erschien mir unerträglich. So einen Kuschel-Gott wollte ich nicht (mehr). Die beiden Tagebücher von Fridolin Stier (»Vielleicht ist irgendwo Tag« und »An der Wurzel der Berge«) lösten ein gewaltiges Aha-Erlebnis aus und ließen mich Gott neu entdecken – als den nahen, mir innerlicher als ich mir selbst, wie Augustinus sagt, und als den fernen, unantastbaren Gott zugleich.
Deswegen kann ich »Großer Gott, wir loben dich« mit derselben Ergriffenheit singen wie Huub Oosterhuis: »Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott … Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?«
Andreas Batlogg SJ, München, geb. 1962
Du führst mich hinaus ins Weite
Gott ist es, der mir den Mut schenkt, neue Schritte zu gehen. Das ist mein Glaube. Und so verstehe ich den Sinn meines Lebens: weiterzugehen.
Im Paradies zu leben, fest und immer am gleichen Ort – das hat dem Menschen nicht gutgetan. Seitdem ist die jüdisch-christliche Glaubensgeschichte voller Bewegungen: Abraham macht sich auf den Weg, Mose und das erste Volk Gottes und auch Jesus Christus, der Wanderprediger aus Nazareth. Wir Menschen sind für den Weg geschaffen, für die Veränderung und die damit einhergehende Entwicklung.
Zugleich bin ich manchmal müde: vom Tempo der Veränderungen und von der Mühe, weiterzugehen, wenn sich die Versuchung meldet, alles beim Alten zu belassen. Als anstrengend empfinde ich bisweilen die Aufmerksamkeit, die notwendig ist, um etwas Neues zu verstehen, oder um Menschen, die neu in mein Leben treten, gerecht zu werden.
Dann wird mein Glaube zum Gebet: Ich kann Gott ansprechen im Vertrauen, dass er sich schon immer mir zugewandt hat. Gott ist für mich nicht bloß ein Deutungsmuster für verschiedene offene Fragen oder Situationen. Deshalb habe ich mir über die Jahre in der Feier der Liturgie angewöhnt, die Gebete immer mit der direkten Anrede »Du, unser Gott« zu eröffnen. »Du führst mich hinaus ins Weite« ist eine solche Anrede. Als mein Gebet ist es zugleich Bekenntnis und Selbstbeteuerung.
Seit drei Jahren lebe ich im Kosovo in einer kleinen, ständig sich verändernden internationalen Jesuitengemeinschaft und arbeite als Leiter unseres Schulverbundes. Vieles, was den Alltag, die Aufgaben und menschliche Begegnungen betrifft, ist unvertraut. So hatte ich mir mein Leben nie vorgestellt: Als ich vor fast 30 Jahren ins Priesterseminar eintrat und dann vor fast 20 Jahren ins Noviziat der Jesuiten, waren meine Perspektive und meine Vorstellungskraft erheblich begrenzter. Als ich vor gut zehn Jahren einwilligte, Internatsleiter in Sankt Blasien zu werden, konnte ich nicht ahnen, in welche Tiefen seelsorglicher Begleitung mich diese Aufgabe führen würde. Dass ich mich zum Abschluss meiner Ordensausbildung in Sri Lanka wiederfand, war so nicht geplant. Beworben hatte ich mich zuvor für Afrika. Deshalb ist »Du führst mich hinaus ins Weite« ein Bekenntnis. Eine Beteuerung ist es in den Momenten, in denen es sich in mir sträubt, schon wieder weiterzugehen und loszulassen, Gewohntes gegen Fremdes einzutauschen und Routine gegen Vortasten. Dann, wenn ich in Veränderungen noch nicht den guten Willen und die liebevolle Herausforderung Gottes erkennen kann.
Wenn ich nicht erstarre und nicht festhalten will, wenn es mir stattdessen gelingt, dem Mut zu trauen, den Gott mir schenkt, dann wird mein Leben lebendig. Dann kann sich Gott als der erweisen, der er ist: der Lebendigmacher, der mich aus der Begrenztheit meines eigenen Vermögens und meiner Vorstellungskraft in eine neue Weite führt. Das ist die Weite, in der Gott mich und uns leben sehen will. Davon bin ich überzeugt.
Nur selten zerrt er uns heraus aus der Enge, gegen unseren Willen. Dann kann es wehtun, auch das ist mein Glaube.
Treu zu bleiben, dass dieser Vers, »Du führst mich hinaus ins Weite«, immer mehr zum Gebet meines Lebens wird, dieses Bemühen finde ich mit anderen Worten in den Erfahrungen meines Ordensmitbruders Alfred Delp. Das ist ein Satz, der Lust zum Glauben und zum Leben macht: »Wir müssen die Segel in den unendlichen Wind stellen, dann erst werden wir spüren, welcher Fahrt wir fähig sind.«
Axel Bödefeld SJ, Prizren (Kosovo), geb. 1969
Nimm dich nicht so wichtig!
»Friede sei mit euch!« Mit diesen Worten grüßt Jesus seine Jünger nach der Auferstehung. Auferstehung und Frieden – sind dies Realitäten, die wir in unserem Leben wahrnehmen? Immer wieder ringe ich mit Gott. Die Evangelien berichten davon, dass sich die Jünger bei dem Gruß Jesu fürchten; sie spüren scheinbar