Vitus Seibel

Wer ist dein Gott?


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Realität? Der Blick in die Welt ist ernüchternd: Terroranschläge, Gewalt, Verfolgung etc. Gegenüber all dem wirke ich klein und ohnmächtig. Was kann ich schon tun?

      Als Priester bin ich auch zu Menschen gesandt, die keinen inneren Frieden haben, und ich muss immer wieder feststellen, wie ohnmächtig ich bin, wie ich an meine Grenzen komme. Was kann ich schon? Der Orden hat mir die Chance gegeben, viel zu studieren, und ich habe sie genutzt. Und doch fühle ich mich hilflos. Ich begegne vielen verschiedenen Menschen: Einige haben psychische Probleme oder sehen keinen Sinn in ihrem Leben, andere haben Zukunftsängste, sei es, wie es in Deutschland weitergeht, sei es, ob sie einen Arbeitsplatz finden, wieder andere leiden unter materieller Not.

      Selbst bei der Feier der Sakramente komme ich immer wieder an meine Grenzen. Ich feiere die Eucharistie und bemerke beim Sprechen der Wandlungsworte, dass ich etwas tue, was mich vollkommen übersteigt. Ich höre Beichte, versuche etwas Gutes zuzusprechen und bemerke, wie mich die Worte der Absolution übersteigen. Christus ist auferstanden! Der Friede sei mit euch! Das Glück dieser Aussagen kann ich so oft nicht fassen. Die Menschen, zu denen ich gesandt bin, stoßen an ihre Grenzen. Ich stoße an meine Grenzen und bin ohnmächtig, hilflos.

      Da sage ich zu mir selbst: Nimm dich nicht zu wichtig! Im Anschluss an die Auferstehung Christi ziehen Petrus und Johannes umher. Sie treffen einen gelähmten Bettler. Petrus und Johannes haben kein Silber und kein Gold. Aber sie verkünden das Evangelium Christi und Petrus sagt: »Im Namen von Jesus von Nazareth: Steh auf und geh!« Ebenso kommt es nicht auf mich an, sondern auf Christus, in welchem allein die Vollendung zu finden ist.

      Es kommt nicht auf mich an, es ist Gott, der in den Sakramenten wirken muss und selbst seine Gegenwart offenbart. Es kommt nicht nur auf mich an, wenn mir in Gesprächen Menschen ihr Leid klagen. Gott muss wirken; er ist es, der den inneren Frieden schaffen muss. Sicher: Ich bin gerufen, Zeugnis zu geben und Christus in meinem Leben, meiner Arbeit nicht zu verleugnen und das Evangelium zu verkünden. Ich bin gerufen, bei den Menschen zu sein, um Sorgen und Nöte mit den Menschen zu teilen. Ich bin gerufen, mit den Menschen Glaube, Hoffnung und Liebe zu teilen. Ich bin gerufen, meinen Dienst in Treue zu verrichten. Das Glück der Auferstehung ist dabei für mich: Es kommt nicht so sehr auf mich an – Christus selbst verheißt den Jüngern den Heiligen Geist, der es richten muss! Es kommt auf den Heiligen Geist an! Er muss den Frieden schaffen, er muss in den Sakramenten und in den Menschen wirken. Es ist Gott, der in das Herz der Menschen einzieht und sie verwandelt. Hiervon darf ich häufig voll Freude Zeuge sein.

       Christian Braunigger SJ, Leipzig, geb. 1980

       Wenn ich Gott sage …

      In meiner Studienzeit las ich das Buch eines französischen Dominikaners mit dem Titel: Quand je dis Dieu … Wenn ich Gott sage … Dieser Buchtitel mit seiner offenen Frage hat mich seither begleitet. Ich habe sie lebensgeschichtlich immer anders beantwortet. Meine Antwortversuche nahmen unterschiedliche Farben an und meine konkreten Lebensperspektiven auf. Die Frage hat ja zwei Seiten: Wann fällt Gott ins Leben ein, und wie sieht das Leben aus, wenn ich Gott sage?

      Ich möchte mit drei französischen Wörtern umschreiben, was mir bedeutsam geworden und geblieben ist. – Naissance: Geburt. Das Faktum, geboren zu sein, lässt sich rational nicht einholen. Entbunden werden, zur Welt kommen und als Erdenbürger in eine Familie, in eine historische Zeit und an einem Ort geboren und dort begrüßt worden zu sein. Diese »Vorgabe« des Lebens verbinde ich mit Gott, gerade auch in ihrer Dimension jenseits aller Kausalitäten. Lebenslang werde ich nun vor der durchaus auch schwierigen Herausforderung stehen, was Romano Guardini einmal die Annahme seiner selbst nannte. Wenn ich Gott sage, dann glaube ich daran, dass ich bei aller Tatsache des Geborenseins mich damit in eine Dimension der Gnade und der Verheißung stellen darf, trotz allem. Es ist recht so, dass es mich gibt.

      – Renaissance: Wiedergeboren werden und neu anfangen zu dürfen, trotz aller Sackgassen und Verstrickungen des Lebens. Diese Ermutigung zum Wiederund Neugeborenwerden verbinde ich mit den Versen aus Psalm 18: Er führte mich ins Weite … Mit dir überspringe ich Mauern. Im Gespräch mit Nikodemus abseits der Straßen und in der Nacht spricht Jesus vom Wiedergeboren-werden-von-oben. Dazu bedarf es der göttlichen Ermutigung und auch des glaubenden Übermutes.

      - Reconnaissance: Das Französische verbindet in diesem einen Wort die Bedeutung von Einsicht und Dankbarkeit. Diese Verbindung liegt wohl nahe, wenn man älter wird: die Einsichten in das Leben auch in seinem irreversiblen Charakter in den übergreifenden Zusammenhang der Dankbarkeit zu stellen. Von Hans-Magnus Enzensberger gibt es ein Gedicht mit dem Titel: Retour à l’expéditeur: Zurück an den Absender. Der Brief des Dankes findet seinen göttlichen Adressaten nicht. Wenn ich Gott sage …, dann glaube und vertraue ich, dass es den Adressaten meiner Lebensbriefe gibt, einen barmherzigen Gott, der sie annimmt mit den klaren Zeilen, auch mit den krummen Zeilen, mit der Geheimschrift und den Palimpsesten, die mir selbst oft nicht durchschaubar sind.

      Reconnaissance: Was bleibt, wenn ich geworden sein werde? Wenn ich dann Gott sage, halte ich eine letztgültige Antwort offen und erinnere mich an die Mutation des Lebens ins Futur II: Wenn ich geworden sein werde.

      Es gibt eine anrührende und auch streitbereite Passage in einem Brief von Hannah Arendt an ihren ehemaligen Geliebten, den Philosophen Martin Heidegger, über die Liebe und das Futur II: »Volo ut sis: kann heißen, ich will, dass du seiest, wie du eigentlich bist, dass du dein Wesen seiest. Aber kann das nicht auch Herrschsucht sein, die unter dem Vorwand der Liebe das Wesen des anderen zum Objekt des eigenen Willens macht? Es könnte aber auch heißen: Ich will, dass du seiest, wie immer du auch schließlich gewesen sein wirst. Nämlich wissend, dass niemand ante mortem der ist, der er ist, und darauf vertrauend, dass es gerade am Ende recht gewesen sein wird.«

      Augustinus spricht in seinen Bekenntnissen seine Gotteserfahrung einmal so aus: Quaestio mihi factus sum. Vor dir bin ich mir zur Frage geworden. Ich glaube, er hat verstanden, worum es auch bei mir geht, wenn ich Gott sage.

       Hermann Breulmann SJ, Berlin, geb. 1948

       Wir und Gott: nüchternes Feststellen und jubelnder Dank

      1. Immer schon fragten und klagten viele Menschen: Weshalb hilfst du mir nicht, Gott? Weshalb mir so wenig und anderen mehr? Wofür soll ich dir überhaupt danken? Zahlreiche Menschen, die tiefgründig ihre Zeit und Gesellschaft untersuchten, zogen den Schluss, dass Gott sich nicht um sie kümmert, entweder weil er sich erhaben über seine Schöpfung fühlt oder weil er tief enttäuscht über seine Geschöpfe ist, ja, dass er sich tieftraurig über uns Menschen wegen unserer Sünden von uns trennte.

      Menschen beschlossen deshalb, sich von Gott zu befreien, um bloß für sich selbst zu leben und nur noch vor sich selbst Rechenschaft ablegen zu müssen. Manche leugneten die Existenz eines Gottes überhaupt.

      2. Wie will ich, der ich weiterhin bewusst und gewollt Christ bleiben will, darauf antworten? Meine im Gebet und im Verlangen nach Wahrheit errungene, zugleich bereits vor Jahrhunderten errungene Antwort lautet:

      Gott Vater erschuf in Liebe zu seinem Sohn und zum Heiligen Geist diese Welt und stellt an deren obersten Platz den mit und zur Freiheit begabten Menschen und liebt ihn.

      Gott fordert und fördert wiederum die Liebe des Menschen in den drei Richtungen: 1. zu sich, Gott, 2. des Menschen zum Menschen und 3. des Menschen zu sich selbst. Diese dreifache Ausrichtung lässt uns erkennen: Gott verzichtet bewusst und gewollt aus Liebe zu uns darauf, vorrangig verehrt zu werden, wenn bloß die Menschen, z.B. die Mitglieder eines Staates, sowohl einander wie sich selbst lieben und untereinander für Freude, Frieden und das Gemeinwohl sorgen. Gott bevorzugt insofern das Geschöpf vor sich selbst!

      Und so wie Gott von sich selbst absieht und auf seine Verehrung – und sogar um unseretwillen auf das irdische Weiterleben seines Sohnes – verzichtet, so soll je nach Situation auch der Mensch auf eine ihm von Menschen entgegenkommende Liebe verzichten können. Mit ehrfürchtigem Stolz kann uns dies erfüllen!

      3. Also: Gott sah sich und sieht sich nie durch eine Sünde zum Rückzug und Ausstieg aus dieser Liebesbeziehung veranlasst, sondern liebt vielmehr ununterbrochen und unvermindert stark die Menschen, ja einen jeden Menschen, auf jedem Schritt